„Drin das Ding und der FC Schalke hat es!“
Heute Abend spielt der FC Middlesbrough gegen die Schalke-Bezwinger des FC Sevilla in Eindhoven um den UEFA-Cup (ab 20.15 Uhr, live im ZDF). Ein dämliches kleines Tor, das in insgesamt 210 Spielminuten einfach nicht fallen wollte, hat gefehlt, sonst stünde heute Schalke im Endspiel. Zwangsläufig erinnert man sich in solchen Momenten an den 21. Mai 1997, an den Tag, als Schalke gegen Inter Mailand den größten Erfolg der Vereinsgeschichte feiern durfte und Werner Hansch die unvergessenen Worte „Drin das Ding und der FC Schalke hat es!“ in sein Mikrophon schmetterte. Unglaublich, das ist ja auch schon wieder fast neun Jahre her! Ich bin deshalb heute etwas tiefer in mein Archiv hinabgestiegen und habe meinen Reise- und Erfahrungsbericht vom UEFA-Cup-Finale in Mailand hervorgekramt. Vier Computer und etliche HDD-Formats hat er überstanden, jetzt stelle ich ihn wieder online.
Schon am Montag Nachmittag kamen mein Mitfahrer Frank und ich auf dem Campingplatz „Cita di Milano“ an. Wir waren bereits am Samstagmorgen mit Franks Fiat Punto von Münster aus losgefahren und hatten uns auf dem Hinweg das entäuschende Spiel beim TSV 1860 München angesehen, das 1:2 verloren ging. Doch so richtig traurig war deshalb niemand, schließlich war eine 1:2-Niederlage genau das Ergebnis, das wir uns alle in Mailand wünschten. Der UEFA-Cup wäre damit nach Gelsenkirchen gewandert. Ein schöner Traum! Der Campingplatz lag nicht gerade in der besten Wohngegend Mailands. Nur wenige Meter neben dem Haupteingang begann der Straßenstrich und der der Dealertreff der lombardischen Hauptstadt. Dunkle Gestalten drückten sich den ganzen Tag auf dem Platz herum. Einem unachtsamen Schalke-Fan stahlen sie quasi vor unseren Augen die Brieftasche mitsamt wertvollem Inhalt – die Eintrittskarten! Auf dem Schwarzmarkt mußte er sich und seinem Mitfahrer neue Tickets besorgen.
Wir fanden Anschluss zu ein paar anderen Fans aus Gelsenkirchen und Recklinghausen. Ihr Pavillion wurde schnell zu einem der zahlreichen blau-weißen Treffpunkte auf dem Platz. Der Campingplatz war alles andere als komfortabel. Jeden Tag flossen maximal drei Liter warmes Wasser in den Sanitäreinrichtungen – wenn es überhaupt Wasser gab. Aber das war uns in diesen Tagen völlig egal. Und überhaupt: Dafür war unser Bier wenigstens lauwarm. Ein wenig störender war der steinige Boden. Der Campingplatz erinnerte fast an eine Abraumhalde – Steine pur! Unser Zwei-Mann-Zelt, dessen Aufbau auf dem Schotterboden eine Ewigkeit gedauert hatte, mussten wir schließlich an einem Stromkasten festbinden.
Achtung, Kultur! Noch ahnen weder die Straßen von Mailand, noch der Dom oder die Nobel-Fußgängerpassage (Gucci war da nach fast wie ein Aldi) was in den kommenden Tagen auf sie zukommen sollte. Diese Bilder entstanden am Dienstagvormittag. Doch schon am Nachmittag ging es dann vor Statue gegenüber des Doms so richtig rund. Mehrere hundert Schalke-Fans sorgten für eine Bombenstimmung. Reporter von Funk und Fernsehen fielen wie die Geier über die Schalker Vorhut her und brachten so schon am Dienstag erste Eindrücke aus Mailand in die deutschen Wohnzimmer. Dann war der Dienstag fast vorbei. Ein letzter Blick noch auf den durch Werbeflächen erleuchteten Domplatz und schon ging es zurück auf den Campingplatz, wo die Nacht zum Tage gemacht wurde. Nur noch 24 Stunden, der Countdown läuft…
Am Mittwoch wollte ich meinen Augen nicht trauen. Wo am Vortag noch einige hundert deutsche Fans ein paar blau-weiße Farbtupfer im Straßenbild Mailands bildeten, erstrahlte nun die gesamte Stadt in unseren Vereinsfarben. Allein auf dem Domplatz tummelten sich zu Spitzenzeiten um die 10.000 Schalker!
Von den Mailänder Tifosi war bis dato nichts zu sehen und wenn sie dann doch einmal auftraten, so feierten sie friedlich mit uns ein tolles Fußballfest.
Unvergesslich war aber vor allem die Stimmung in der überdachten Nobel-Fußgängerpassage. Wo sich die Superreichen ansonsten ihren Armani-Anzug maßschneidern lassen, herrschten nun ohrenbetäubende Schlachtgesänge, sah man hüpfende Schalker, blau-weiße Fahnen. Schals, Trikots – und mittendrin immer wieder ein paar staunende Mailänder, die nicht wussten, in welchen Film sie da gerade geraten waren.
Endlich war der Spieltag gekommen. Nach gut 1300 Kilometern und fünf Tagen quälender Warterei seit unserer Abreise von Münster stand nun die Entscheidung an. Schon gegen 16 Uhr trafen wir ungeduldig vor dem Stadion ein. Natürlich waren wir viel zu früh und mussten noch auf den Einlass warten.
Ungläubig wurde das „größte Parkhaus Südeuropas“ in Augenschein genommen. Dass es sich dabei um das berühmte Meazza-Stadion handelte, konnte man einem unscheinbaren Hinweisschild entnehmen. Endlich wurden die Stadiontore geöffnet. Mehrere tausend Schalker drängten in den Fußballtempel. Noch immer glaubte keiner so richtig an einen möglichen UEFA-Cup-Sieg. Doch die Chance war eindeutig gegeben, schließlich führten wir nach dem Hinspiel mit 1:0. Mit einem Mal wurde es gespenstisch still unter den ansonsten recht sangesfreudigen Fans. Jeder schien dasselbe zu denken: „Was wäre, wenn es heute wirklich klappen sollte…?“
Frank (der mit der Fahne in der Bildmitte) und ich hatten uns die Eintrittskarten schon in Gelsenkirchen zum offiziellen Preis gesichert. Rund 150 D-Mark kosteten unsere Tickets pro Stück. Dafür landeten wir auf der Gegengerade – zwar in einem Schalker Fan-Block, aber nur durch einen etwa ein Meter breiten Durchgang von den wilden Tifosi hinter uns getrennt. Das legendäre „Steht auf wenn ihr Schalker seid“ wurde somit zu einer gewaltigen Mutprobe. Immer dann wenn wir uns erhoben (und das war sehr oft!) flogen von hinten Flaschen und Münzen. Nur die Besonnenheit der Blau-Weißen und das massive Auftreten der Polizei mit Gewehren und archaischen Schlagstöcken konnten eine Eskalation verhindern. Es stellt sich die Frage, warum ein international so erfahrener Verein wie Inter Mailand auf der Gegengerade „gemischte“ Blöcke zuließ. Durch eine einfache Umverteilung der Sitzplätze hätten auch wir uns ohne Gefahr von den Sitzen erheben können. Den Schalke-Fans in der Kurve erging es auch nicht besser. Immer wieder sahen wir, wie vom Oberrang Gegenstände auf „unsere“ flogen.
Schade, dass die ansonsten so friedliche Reise ausgerechnet im Stadion eine ungewünschte Wendung erfuhr. Dann ging’s los und die Zeit verstrich quälend langsam. Spätestens eine Viertelstunde vor dem Schlusspfiff begann ich an einer Chance zu glauben. Doch dann kam diese verflixte 84. Minute – der Ausgleich durch Zamorano. Auch in der Verlängerung hatte Mailand mit einem Lattenschuß durch Ganz noch eine riesige Chance. Nach 120 Minuten war dann Schluss – Elfmeterschießen! Nun sollte also diese Form der Fußball-Lotterie über den Sieger entscheiden. Auch unter den Tifosi, die ohnehin nur kurzfristig Stimmung machten, war es still geworden. Es waren schließlich die Schalker, die den Hexenkessel neu entfachten.
Denn plötzlich fingen wir alle an zu singen: „Wir sind stolz auf unser Team, FC Schalke!“ Vielleicht haben diese Gesänge unseren Spielern die notwendige Sicherheit gegeben, um im Nervenkrimi bestehen zu können. Der Rest ist Geschichte… Keine zehn Minuten später war es vollbracht. Unglaublicher Jubel, bengalische Feuer und unbeschreibliche Freudentänze im Schalke-Block. Mein Sitznachbar umarmte mich. Ich erkannte, dass er vor Freude wie ein kleines Kind heulte. Dann wurde es kurzfristig schwarz. Ich klappte zusammen und kam erst ein paar Sekunden oder Minuten später wieder zu Bewusstsein. Diese Stimmung ist mit Worten einfach nicht zu beschreiben. Wir hatten es tatsächlich geschafft…!
Kein Schalker wollte das Stadion verlassen (konnten wir im übrigen auch gar nicht). Während sich die enttäuschten Fans des Favoriten schleunigst aus dem Staub machten wollte der Jubel unter uns Schalkern gar kein Ende nehmen. Die Cup-Übergabe habe ich in der Euphorie ganz verpasst. Erst als die Mannschaft plötzlich mit dem Silberpokal auf uns Fans zugelaufen kam, erkannte ich, dass an diesem Abend Geschichte geschrieben wurde. Realsiert habe ich es bis heute nicht.
Aber ich war dabei!
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