Ein persönlicher Nachruf auf den SC Preußen Münster
Der SC Preußen Münster hat schon bessere Tage erlebt als diese. Im Jahr 1951 zum Beispiel. Da stand man mit dem legendären 100.000-Mark-Sturm im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft und verlor vor rund 100.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion denkbar knapp mit 1:2 gegen Fritz Walters 1. FC Kaiserslautern. Zwölf Jahre später zählte der SCP zu den Gründungsmitgliedern der Bundesliga, stieg dann aber direkt ab und ward seitdem nie wieder im Oberhaus des deutschen Fußballs gesehen. Der Rest der Vereinsgeschichte spielte sich in der zweiten und dritten Liga ab. Nun werden die ruhmreichen Adlerträger ein neues Kapitel in der Historie aufschlagen. Ein Kapitel, das mit „Vierte Liga“ überschrieben werden wird. Denn seit vergangenem Samstag ist der SCP so gut wie sicher aus der Regionalliga Nord abgestiegen.
Obwohl ich nun seit zwölf Jahren in Münster lebe – Preußen war nie „mein Verein“. Es heißt zwar so schön „Support your local Team“, aber ich gebe zu, dass derartige Apelle an mir recht wirkungslos abprallen. Ein, zwei, dreimal pro Saison zieht es mich dennoch in diese Bruchbude genannt „Stadion an der Hammer Straße“, in der seit Jahrzehnten kein Geld in Sanierungsmaßnahmen mehr gesteckt wurde, die Blöcke nach und nach verwittern, eine ganze Kurve sogar unbenutzbar geworden ist und hinter Werbeplakaten versteckt werden musste.
Ich gehe deshalb zu den Preußen, weil es manchmal ganz schön ist, einfach nur „Fußball pur“ zu erleben. Ohne Stars, ohne Böcklunder-Fanbox, ohne Chipkarten-Bezahlsysteme, ohne Dach und zumeist auch ohne ansehnlichen Fußball. Zu den Preußen gehe ich, wenn ich mal nichts anderes vorhabe und zufällig ein Spiel stattfindet. Das Preußenstadion liegt vielleicht zwei Kilometer von meiner Haustür entfernt – wenn Anpfiff um 14 Uhr ist reicht es da allemal, kurz nach halb zwei die Wohnung zu verlassen. Dann noch schnell eine Eintrittskarte für sieben Euro gekauft, ein Würstchen für 2,20 Euro hinterher und nichts wie ab auf die Gegengerade, pünktlich zum Anpfiff ist man da.
Zu den Preußen gehe ich aber auch wenn ich merke, dass mir in Bezug auf den Fußball eine gewisse Art vom Demut abhanden gekommen ist. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Ich habe Schalke auch in der zweiten Liga begleitet, habe mir so bahnbrechende Spiele wie gegen Victoria Aschaffenburg (0:0), Hessen Kassel (0:0) oder SV Meppen (0:0) angetan. Ich war auch dabei, als Uli Gäher am 10. September des Jahres 1989 in der 54. Minute den 1:0-Siegtreffer für Preußen Münster im Parkstadion erzielte. Und ich war dabei, als Schalke im Rückspiel in Münster am 18. März 1990 wieder verlor, damals mit 2:1. Aber – und auch das muss man zugeben – das ist alles schon verdammt lange her. Seitdem hat sich auf Schalke unglaublich viel getan. Beim SC Preußen hingegen ist die Zeit stehen geblieben.
Da stand ich nun also am vergangenen Samstag und wartete auf den Anpfiff des „Schicksalsspiels“ gegen den Wuppertaler SV. Die Ausgangslage war ganz einfach. Gewinnt Preußen, kann man vielleicht noch einmal den Kopf aus der Abstiegsschlinge ziehen. Verliert Preußen, dann war es das mit der Regionalliga, dann steht der schwere Gang in die Oberliga Westfalen an. Viertklassigkeit. Und es kam, wie es kommen musste. Das „Wunder von der Hammer Straße“, das so oft in den letzten Jahren eingetreten war, blieb in diesem Jahr aus.
Preußen ging zwar völlig unverdient aus heiterem Himmel kurz vor der Halbzeit in Führung, doch dann freute man sich so lange, bis Wuppertal im Gegenzug den Ausgleich und später – in der 81. Minute – sogar noch den Siegtreffer erzielte. Zu diesem Zeitpunkt weinte nicht nur Münster, auch der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet und beglückte die rund 7.000 Zuschauer mit einem Wolkenbruch sondergleichen. Transferkönig Ansgar Brinkmann, der in der Saison zum x-ten mal als Messias nach Münster gewechselt war, schleppte seinen Körper nur gute 60 Minuten über den Platz und verschwand dann unter den Pfiffen und Beschimpfungen der resignierenden Zuschauer in den Katakomben. Unter dem Strich eine völlig verdiente Niederlage. Ein unsägliches Spiel, einfach zum möglichst schnell vergessen.
Schlusspfiff, Ende, Aus! Völlig durchnässt trete ich den Heimweg an, will das Stadion verlassen. Vor mir eine Gruppe Jugendliche. Ein angetrunkenes und nicht mit übermäßigem Intellekt gesegnetes Mädchen, vielleicht 15 Jahre alt, pöbelt offensichtlich grundlos eine Gruppe gleichaltriger Jungs am Würstchenstand an. Als die das Mädchen zunächst ignorieren fängt es an wild um sich zu schlagen – die Jungs setzen sich zur Wehr und schieben die Nachwuchsfurie weg. Es folgt die übliche Massen-Rangelei in der die Proletenehre hochgehalten wird. „Man schlägt keine Mädchen, Alter, das macht man nicht, Alter!“
Fäuste fliegen, der Würstchenstand schwankt, die Würstchenverkäuferin schreit grell auf. Umstehende Besucher versuchen die Streithähne zu trennen. Die Provokateurin hat sich zu diesem Zeitpunkt schon längst in ihre Gruppe zurückgezogen, beschaut sich das Gerangel aus der Entfernung, weint bittere Krokodilstränen und stachelt ihre Jungs weiter an, den bösen Mädchenschlägern die Fresse zu polieren. Auftrag ausgeführt. Am Abend wird sie stolz berichten können, dass sie in ihrer Clique so beliebt ist, dass sich die Jungs für sie sogar schlagen. Wenigstens eine Erfolgsmeldung an diesem tristen Tag.
Und ich? Ich gehe nach Hause, ziehe mir etwas trockenes an und schaue mir die Regionalliga-Zusammenfassung im WDR-Fernsehen an. Preußen habe noch eine minimale Restchance, heißt es da. Man müsse lediglich am kommenden Wochenende in Leverkusen einen Kantersieg einfahren und gleichzeitig darauf hoffen, dass Abstiegskonkurrent Erfurt mächtig einen auf die Mütze bekommt.
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Man kann es ihr nicht verbieten. Ich befürchte allerdings, dass die längst totkranke Hoffnung am vergangenen Samstag als letzte Amtshandlung die Beerdigung des SC Preußen Münster besucht hat.
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