WM-Berichterstattung: Meine persönliche TV-Kritik
Gleich vier TV-Sender bringen uns in diesem Jahr die WM live ins Wohnzimmer. Neben der ARD und dem ZDF darf im Free-TV auch erstmals – an insgesamt drei Sonntagen – RTL seinen Beitrag leisten. Im Pay-TV-Sektor ist es Premiere, dass das Monopol auf die WM-Spiele beansprucht. Vier Sender, vier sehr verschiedene Ãœbertragungsphilosophien. Nein, auf dem Platz sind sie alle gleich. Mehr oder minder motivierte Moderatoren kommentieren Bewegungen mehr oder minder motivierter Fußballstars. Da tun sich alle nichts. Aber neben dem Platz ist es doch erstaunlich, wie unterschiedlich die vier TV-Sender die „Mammutaufgabe Weltmeisterschaft“ angegangen sind. Es folgt mein ganz persönliches TV-Ranking.
Platz 4: Premiere
Der Bezahlsender Premiere arbeitet die WM sauber ab. Das ist aber auch schon das einzige, was man positiv wie negativ dazu sagen kann. Es macht echt keinen Unterschied, ob Premiere gerade ein Bundesligaspiel, ein Formel1-Rennen, die US-Golf-Masters-Serie, die NBA-Finals oder eben die Weltmeisterschaft überträgt: Es sind immer dieselben glattgeleckten Gesichter, die immer dasselbe Zeug von sich geben.
Es mag ja sein, dass Premiere früher mal so etwas ähnliches wie ein „Gesicht“ besaß. Doch spätestens seit im übergeigten CI-Wahn jeder Kugelschreiber in rot/gelb auf einem rot/gelben Notizblock liegend von einem Moderator mit rot/gelben Mikrophon und rot/gelber Krawatte stoisch angestarrt wird, hat Premiere sämtliche Ecken und Kanten und somit auch sein Profil verloren. Insgesamt erscheint es so, als bestellte Premiere seine Moderatoren bei derselben Firma, bei der der FC Bayern seine Spielerfrauen ordert.
„Ja, Hallo? Premiere hier! Können Sie uns bitte noch einmal das Modell ‚Profilloser Bankkaufmann‘ fertigmachen? Ja, gerne auch mit dem Zusatzmodul ‚Stures Starren in die Kamera’… Was? ‚Streng journalistisch auf der Unterlippe kauen‘ ist im Sonderangebot? Dann nehmen wir das gleich zweimal! Und bitte machen Sie noch fix zweimal „Blondiert, Sonnenbrille, goldene Haarspange und Sommerkleidchen‘ fertig, binden ein gelb/rotes Schleifchen drumherum und schicken Sie es zur Säbener Straße. Nein, ein Kärtchen ist nicht notwendig – die wissen schon von wem das kommt. Danke!“
Natürlich hat auch Premiere sogenannte „Experten“, wobei die Auswahl in Bezug auf eine Weltmeisterschaft etwas merkwürdig anmutet. Da hätten wir zum Beispiel einen Trainer, der deshalb nicht Bundestrainer wurde, weil er gekokst hat. Oder einen Spieler, der deshalb einen Großteil seiner Karriere nicht in der Nationalmannschaft verbracht hat, weil er mitgereisten deutschen Fans beim 1994er-Turnier in den USA den Stinkefinger gezeigt hat. Bin ich eigentlich der einzige, der diese Konstellation zum Brüllen komisch findet?
Platz 3: ZDF
Sorry Mainzer, aber das ist ein Griff ins Rockfestival-Dixiklo! Was 2002 an Vormittagen vielleicht noch ganz nett funktionierte – ein offenes Studio mitten in Berlin – ist in diesem jahr einfach nur nervig. Gröhlende Fans im Hintergrund, wie auf einem Präsentierteller stehende, nervös tippelnde Moderatoren im Vordergrund, dazu eine ständig rauschige Geräuschkulisse und Moderatorenmikros, bei denen der „Echo-Effekt“ fest eingebaut ist – die „ZDF-Arena“ ist wirklich unerträglich! Zwischen den Spielen erwarte ich Analysen, das ZDF liefert Gekreische.
An „Experten“ mangelt es dem ZDF nicht. Fast könnte man meinen, die Mainzelmännchen hätten jeden verpflichtet, der nicht bei drei auf den Bäumen war. Mainz-05-Trainer Jürgen Klopp und der Ex-Schiedsrichter Urs Meier gehören zur festen Belegschaft mit der sich Johannes Der Täufer den Stehtisch teilt. Die brasilianische Fußballikone Pelé, der nie mit seinen Mannschaftskameraden in der Kabine über Potenzprobleme gesprochen hat, und so ein grauhaariger Herr, den man häufiger im Werbefernsehen sieht, schauen immer mal wieder rein und lästern dann über die Schiedsrichter.
Aber das ist eher die Ausnahme. Normalerweise gehören ZDF-Tage dem Dreigestirn „Kloppo“, „Urs“ und „JBK“. Die drei eint nicht nur, dass sie alle vom selben Moderatorenbeauftragten des deutschen Friseurhandwerks betreut werden, sondern auch, dass sie es tatsächlich schaffen, ganze Stunden ohne Sinn und Verstand wegzulabern. Da wird dann der Trainer zu Fragen des Regelwerks befragt, der Schiedsrichter bezieht Stellung zur Viererkette und der Moderator bringt bei Live-Schaltungen zum 100. Mal den abgenudelten Interviewgag „Aber hier können Sie es doch sagen, wir sind ja unter uns…“ Yo! Und schon wieder ist eine Stunde rum…
Den Bereich „Fußball-Comedy“ meint das ZDF mit der After-Match-Show „Nachgetreten“ ideal besetzt zu haben. Da sitzt dann eine zum Großteil unbekannte Comedians-Selbsthilfegruppe unter der Leitung von Ingolf Lück in einem Studio und übertrifft sich in Unlustigkeit. Es sollte wohl eine Mischung aus „7 Tage, 7 Köpfe“ und „Frei Schnauze“ werden – ist auch super gelungen! Das Plagiat steht den Vorbildern in Nichts nach. Mich erinnert das Ganze an einen tantigen Kaffeeklatsch – und plötzlich weiß ich auch wieder, warum ich früher immer geweint habe, wenn mich meine Oma zum Seniorenkaffee mitgenommen hat.
Eine Frage habe ich noch an das ZDF: Wie viel Geld hat eigentlich Sony-Pictures dafür bezahlt, dass nun schon seit 13 Tagen dasselbe „The DaVinci Code“-Filmposter fein platziert im Hintergrund hängt?
Platz 2: RTL
Aus der Not eine Tugend gemacht hat RTL. Wohlwissend, dass es sich für drei Ãœbertragungstage kaum lohnt ein eigenes WM-Studio aufzubauen, wandert man mit Open-Air-Bühnen von Spielort zu Spielort. Und merkwürdiger Weise funktioniert dieses Provisorium im Vergleich zur „ZDF-Arena“ erstaunlich gut. Die Fans im Hintergrund nerven bei weitem nicht so wie bei den Mainzern und es kommt sogar ein wenig echtes WM-Flair auf.
Leider hat RTL die Weltmeisterschaft aber mit einer Jubiläumsausgabe von „Der, der SKL-Millionär geworden ist sucht die ultimativen 100 Superstars!“ verwechselt. Denn mit Fußball und der WM hat das, was RTL über weite Phasen sendet, herzlich wenig zu tun. Um ganz ehrlich zu sein wundert es mich, warum die Dicke Tine noch nicht auf die Umkleidekabinen in den Stadien („Und hier über dem ollen Entmüdungsbecken machen wir einen ganz tollen Sternenhimmel mit einer ganz tollen Lichterkette und einem ganz schönen Stoff…“) losgelassen wurde – hätte doch super ins RTL-WM-Konzept gepasst…
Es ist schon tragisch, wenn man lediglich zwei Moderatoren hat, wovon der eine aber Sätze nur mit „Moin Moin, und jetzt Platz 21..“ beginnen kann. Also musste – Ãœberraschung! – Günther Jauch ran. Und – sag‘ es mir wenn ich mir irre – ich glaube, dem ist sein WM-Auftritt ziemlich peinlich. Anstatt mit echten Experten über die Spiele reden zu dürfen, muss er sich „Ringelpietz mit Anfassen“ für die „Eventgäste“ ausdenken. Da wird dann Tim Mälzer – nein, nicht zum Logopäden sondern auf die Fanmeile – geschickt um zwei dahergelaufene Personen mit Eintrittskarten zu belästigen. Oder die niedliche Eva Padberg (Wer zum Teufel ist das eigentlich?) muss sich in einem Hauch von Seidenkleidchen einen kompletten Nachmittag lang in einen Biergarten setzen und von besoffenen Fußballfans gesungene Loblieder auf ihre Mäusefäustchen anhören um anschließend zu säuseln: „Ich war noch nie im Stadion. Aber das war ganz toll!“
Als „Experten“ wartet RTL mit Rainer Calmund und Tante Käthe auf. Und weil es anscheinend jedem im Mundwinkel juckt, wenn der den Namen Rainer Calmund auch nur hört, möchte ich jetzt höchstoffiziell und beinahe schon FIFA-lizensiert feststellen:
Rainer Calmund ist dick! Er ist wirklich dick! Sehr dick sogar! Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass er neben Ottfried Fischer zu den dicksten Menschen gehört, die regelmäßig im Fernsehen auftreten.
Doch jetzt kommt’s: Das weiß er. Das weiß ich. Das weißt du. Das weiß jeder! Wirklich jeder!
Es ist absolut nicht notwendig, in jedem zweiten Satz eine Anspielung auf Rainer Calmunds Leibesfülle zu machen. Ich glaube kaum, dass es TV-Zuschauer gibt, die RTL kucken und sich dabei fragen: „Sag mal, der Calli… ist der eigentlich dick?“ Nein, das glaube ich wirklich nicht. Manchmal denke ich, wenn ich mir den Calli so bekucke, dass er bereits einen konkreten Plan schmiedet, wie er Günther Jauch nach der letzten Klappe des letzten RTL-Sendetages am kommenden Sonntag so richtig geschmeidig die Fresse polieren kann.
Platz 1: ARD
Bei Premiere wird stumm gestarrt, beim ZDF laut gekreischt, bei RTL werden Kindergeburtstags-Spiele neu erfunden – wie wohltuend ist da doch die Berichterstattung in der ARD. Da sitzen Detzer und Nelling im Studio, schwitzen heimlich den Stoffbezug der Studiositzbank voll und halten Small-Talk. Man muss die beiden nicht mögen – ich jedoch tue es. Natürlich, die Rededuelle wirken mitunter etwas einstudiert, wahrscheinlich weil sie es in weiten Teilen auch sind. Aber Gerhard Delling besitzt eine wohltuend schelmische Art, mit der er einfachste Feststellungen in Fragen verpackt und Günter Netzer zum Fraß vorwirft. Da wird zwar ab und zu auch mal etwas dumm in der Gegend herumgelabert, aber in der Regel geht es doch tatsächlich um die Spiele.
Ein etwas nachteiliger Nebeneffekt der ARD-Berichterstattung ist, dass mich meine Freundin immer angenervt ansieht, wenn ich ganz auf Netzer konditioniert während der WM Sätze mit der ständig wiederkehrenden Floskel „In der Tat, ja…“ beginne.
In der ARD ist das Studio eine Experten-freie Zone. Wahrscheinlich käme es aber auch zu dramatischen Fällen von Stutenbissigkeit, wenn neben Netzer noch ein weiterer Fußball-Savant sein Revier absteckte. Stattdessen schaltet die ARD ganz gerne mal zum deutschen Mannschaftshotel, wo die adrette Monika Lierhaus, die (wie Waldemar Hartmann sie einmal so schön titulierte) „Rote Gefahr“, vor einem verschlossenen Hoteltor stehend Oliver Bierhoff interviewt. Der hat mittlerweile nahtlos die Rolle von Holger Osieck übernommen und gibt auf jede Frage in jeder Situation dieselbe Antwort. Wenn die ARD geschickt ist, baut sie fix einen Bluescreen auf, lässt Oliver Bierhoff ein paar Statements abfeuern und hat dann genug Sendematerial für die kommenden drei Turniere. Holger Osieck hat doch nach 1987 auch kein echtes Kabinengang-Interview mehr gegeben…
Keine Frage – die ARD ist mein persönlicher Favorit wenn es um die Ãœbertragung der Weltmeisterschaft geht. Delling, Netzer, Lierhaus – das war’s dann auch und die drei machen ihre Sache erstaunlich gut. In den Bereich Comedy abgeschoben wurde derweil „Der gute Geist von Mottram Hall“, Waldemar Hartmann. Er reißt in „Waldis WM-Club“ zotige Witze über amerikanisches Bier, englische Spielerfrauen sowie andere Sendeanstalten und passt dabei wie ein Chamäleon in die biedere Studio-Deko im Stil eines 70er-Jahre-Vereinsheims. Einzig seine zum Teil wirklich guten Gäste bewahren den Fernsehzuschauer davor, beim vorbeizappen spontan in eine Peinlichkeitsstarre zu verfallen. So hat dann doch jeder noch die Möglichkeit, auf eine niveauvollere Sendung umzuschalten: „La Notte“ bei 9Live beispielsweise.
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