EM-Tagebuch: Leider wurde noch Fußball gespielt
Klagenfurt im Ausnahmezustand! Wo am Vortag eigentlich nur ein durch die Gassen gewehter Dornbusch fehlte, um ein Remake des Western-Klassikers „High Noon“ zu drehen, ging gestern richtig die Post ab. Mehr als 60.000 Kroaten waren in die EM-Stadt gereist, zusammen mit mehr als 20.000 Deutschen und etlichen Einheimischen, die sich nun endlich auf die Straßen trauen, wurde in der Stadt eine riesige Party gefeiert. Eine friedliche und farbenfrohe Party, bei der man an jeder Ecke mit netten Fans aus Kroatien ins Gespräch kam. Ein unvergessliches Erlebnis! Wenn nur dieses vermaledeite Fußballspiel nicht gewesen wäre. Ich denke, dazu muss man nichts mehr sagen.
Ich verzichte an dieser Stelle einfach mal auf große Worte und lasse stattdessen die Bilder für sich sprechen.
Klagenfurt hat organisatorisch wirklich alles richtig gemacht. An allen Ecken und Enden warteten die sogenannten „EM-Volunteers“ darauf, den Besuchern hilfsbereit zur Seite zu stehen.
Eine Kunst-Performance auf den Straßen der EM-Gastgeberstadt.
An der mobilen Fanbotschaft der deutschen Fanprojekte war aufgelistet, was in den vergangenen Tagen in Klagenfurt aus deutschen Fanhänden verschwunden und wieder aufgetaucht ist.
Der Fanbus des „Fanclubs Nationalmannschaft“ war übrigens auf eigener Achse nach Klagenfurt gerollt. Maximal mögliche Geschwindigkeit: 65 km/h…
Rund um den Fanbus spielte sich das deutsche Fanleben in Klagenfurt ab – allerdings auch nur hier. Der Rest der Stadt war komplett in kroatischer Hand.
Eines muss man dem „Fanclub Nationalmannschaft“ ja lassen: Die Jungs sind supergut organisiert und kümmern sich trotz des großen Andrangs wirklich um jeden Fan. Und das (natürlich) kostenlos.
Noch ein paar Impressionen aus der „deutschen Ecke“…
Nun aber direkt ab zu den Kroaten: Unglaublich was die Jungs für ein Feuerwerk in der Innenstadt abgebrannt haben. Die waren so positiv drauf, dass ich Kroatien zu diesem Zeitpunkt (und auch später) den Sieg sogar gegönnt habe.
Ob diese vier Knaben das Spiel allerdings noch erlebt haben, wage ich zu bezweifeln.
Seinen Namen weiß ich nicht mehr, aber wir haben uns lange mitten im Pulk der Kroaten unterhalten. Ich wurde kein einziges Mal schräg angemacht, obwohl ich einer der ganz wenigen als solcher erkennbarer Deutscher war, der sich zu den „bösen Kroaten“ getraut hatte.
Chicken mit zwei anderen kroatischen Fans, die sich die Konturen ihres Staates in Landesfarben auf die Wangen gemalt hatten.
Positiv aufgefallen ist mir auch, dass die kroatischen Fans unheimlich viele Kinder mitgebracht hatten. Klar, da waren auch einige dabei, denen man besser nicht im Dunkeln begegnen möchte, aber in der breiten Masse wurde das Spiel als „positiv patriotisches“ Ereignis gefeiert. Und daran sollten eben auch die Kleinsten teilhaben.
Und schau mal einer an: Plötzlich waren auch die Österreicher da! Endlich feierten die Klagenfurter mit den auswärtigen Fans. Gerade noch rechtzeitig. Die netten Damen auf diesem Bild posieren mit mit übrigens auf dem „Titelfoto“ dieses Berichts mit der „Immer wieder Österreich“-Werbefahne, die mir ein freundlicher Mitarbeiter von Coca-Cola als Gegenleistung für ein Freibier überlassen hat. Die Fahne ist mein persönliches Highlight-Souvenier meines EM-Trips.
Warum nur wusste ich, dass mich meine Freundin Sarah, die leider nicht mit nach Österreich kommen konnte, auf dieses Foto als erstes ansprechen würde…
Hier werde ich gerade von englischen Hooligans aufgemischt. Wir trafen die beiden auf dem Weg zum Stadion und unterhielten uns natürlich auch über die in den Tagen zuvor verbreitete Panik in Klagenfurt. Und weil Fußballfans nun einmal böse, böse Menschen sind, mussten wir natürlich dokumentieren, wie zwei Engländer (die übrigens beide seit Jahren in Den Haag leben und arbeiten) einen Deutschen misshandeln.
Im Shuttle-Bus ins Wörtherseestadion.
Von der Endstation des Shuttle-Busses aus waren es locker noch einmal 20 Minuten bis zum Stadion. Ein Fußmarsch, der allerdings durch zahllose nette Kontakte zu kroatischen Fans aufgelockert wurde.
Endlich am Stadion angekommen. Die Schwarzmarktpreise pro Ticket lagen hier übrigens bei ca. 450 Euro. Hätte ich gewusst, wie blutleer sich die deutsche Mannschaft präsentieren sollte, hätte ich mein Ticket dem erstbesten Kroaten geschenkt.
Ich denke, man erkennt, wie „begeistert“ die deutschen Fans vom Auftritt der Nationalmannschaft waren.
Eine von ganz wenigen Chancen für unser Team.
Hurra, hurra – die Schalker die sind da!
Das Wörtherseestadion ist übrigens echt der Hammer! Ich habe selten eine so tolle und atmosphärische Arena gesehen. Schade, dass das Spiel so mies war, sonst hätte es vielleicht ab und an auch mal deutschen Support gegeben. So aber saßen alle deutschen Fans nur mit offenem Mund auf ihren Plätzen und bestaunten das Spektakel, das von kroatischer Seite aus veranstaltet wurde. Und die Kroaten sind derart abgegangen, dass man ihnen noch nicht einmal die hämischen „Deutschland, Deutschland alles ist vorbei!“-Rufe übel nehmen konnte, mit denen man auf dem Weg zurück vom Stadion in die Innenstadt bedacht wurde. So wie das Team sich gestern präsentierte, hatten die siegestrunkenen Kroaten ja sogar recht.
Das zweite Spiel des Tages sahen wir nicht beim Public-Viewing, sondern ganz gemütlich in einer Innenstadtkneipe. Der glückliche, späte Ausgleich für Österreich gegen Polen spielt Deutschland letztendlich in die Karten. Nun kommt es am kommenden Montag in Wien zum „Endspiel um Gruppenplatz 2“. Und wenn Deutschland dann gegen die EM-Gastgeber nicht wenigstens einen Punkt holt, hat man auch nichts im Viertelfinale einer EM zu suchen.
Für mich endet morgen mein EM-Trip. Es geht zurück nach Münster. Die Dortmunder Reisegruppe hat sich heute morgen schon verabschiedet. Schade, dass der tolle Urlaub so schnell vorbeiging. Es hat Spaß gemacht. Wenn nur dieses vermaledeite Fußallspiel nicht gewesen wäre. Aber das schrieb ich ja bereits.
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