Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

07. Mrz. 2009 | 6 Kommentare

Schalke gewinnt mit 1:0 gegen den 1. FC Köln – immerhin der zweite Ligasieg in Folge und das dritte Bundesliaspiel ohne Niederlage in Serie – und fast die gesamte Arena pfeifft. Warum eigentlich? Schalke hat das gespielt, was es derzeit spielen kann! In der ersten Halbzeit war man die deutlich bessere Mannschaft und belohnte sich nach 28 Minuten mit dem sehenswerten 1:0 durch Jermaine Jones, der toll von Vicente Sanchez und Ivan Rakitic in Szene gesetzt worden war. In der zweiten Halbzeit hielt man die zuletzt starken Gäste lange Zeit sehr gut organisiert vom eigenen Strafraum entfernt. Erst in der Schlussphase wurde es ein Zitterspiel, als Schalke sich zu tief zurückzog, das Kontern gänzlich vergaß und Köln den Schaden von 75 grottenschlechten Minuten noch einmal durch hohe und weite Bälle wett machen wollte. Aber letztendlich war’s ein verdienter Sieg. Und dennoch pfeifft fast die gesamte Hütte derart, dass sogar die Mannschaft, die sich sicherlich über ein paar Streicheleinheiten gefreut hatte, ohne Gruß in der Kabine verschwindet. Unverständlich?

Ja und nein. Ich kann Jermaine Jones verstehen, der sich nach dem Abpfiff enttäuscht vom Verhalten der Fans zeigte und anmahnte, dass die Ränge das „Rackern“ (von „spielen“ spricht Jones schon lange nicht mehr) der Akteure doch gefälligst honorieren sollten. Ich kann aber auch den Fan verstehen, der nach den Nackenschlägen der letzten Wochen schlichtweg keine Lust mehr darauf hat, eine Schalker Mannschaft zu sehen, die sich nach einem selbst erzielten Tor im eigenen Strafraum einigelt und jegliche Offensivbemühungen einstellt. Der Fußball, der von Schalke in der Spielzeit 2008/09 geboten wird, eignet sich schlichtweg nicht für Jubelstüme. Das ist nicht erst seit gestern klar. Doch gestern, so schien es, hat es auch der letzte Optimist in der Arena erkannt.

Gepfiffen wurde aus Frust und Enttäuschung. Enttäuschung darüber, dass alle glänzenden Vorschusslorbeeren der Spielzeit nur ein Distelkranz sind. Der im Sommer für über fünf Millionen Euro als Star geholte Orlando Engelaar schmorte gestern 90 Minuten lang auf der Bank und wurde von wirklich keinem Zuschauer in der Arena vermisst. Der doppelt so teure Stareinkauf Jefferson Farfán entpuppt sich immer mehr als ein besserer Mitläufer, der nur dann glänzt, wenn er im direkten Zusammenspiel mit Rafinha sein Können aufblitzen lässt. Leider geschieht dies eher selten und wenn überhaupt, dann nur an der Seitenlinie. Vor dem Tor bleibt Farfán regelmäßig blass. Am ersten Spieltag, nach dem 3:0 gegen Hannover, glaubten viele – mich eingeschlossen – Schalke sei auf einem sehr guten Weg. Kein dreiviertel Jahr später ist Ernüchterung eingekehrt, einergehend mit unendlichem Frust.

Bei aller berechtigten Kritik an Trainer Fred Rutten und Manager Andreas Müller: Gestern konnten einem die beiden einfach nur leid tun, denn gestern war Tag der Abrechnung. Nur ein hoher, überzeugender Sieg mit drei, vier oder fünf Toren hätte da für eine bessere Grundstimmung gesorgt. Ein mageres und am Ende erneut dahingezittertes 1:0 gegen den FC Köln reichte dafür nicht. Und so bekamen Manager und Trainer den geballten Volkszorn zu spüren, der sich in den vergangenen Monaten aufgestaut hat. Und mittendrin stand eine Mannschaft, die sich vorkommen musste, wie in einem ganz schlechten Film.

Das was Schalke gestern gegen Köln zeigte, ist das obere Limit dieses Teams. Schalke kann defensiv ganz ordentlich stehen. Das Mittelfeld ist zu einem Vorhof der Abwehr verkommen, der Sturm hängt in der Luft und verteibt sich mit gelegentlichen Schüssen in die Walachei die Zeit. Dass man mit derart begrenzten Mitteln sogar den erweiterten Anschluss an die obere Tabellenregion halten kann zeigt, dass die einzelnen Spieler gar nicht so schlecht sind, wie sie manchmal gemacht werden. Jeder einzelne, der gestern auf dem Feld stand, spielte das, was er kann. Als Ensemble aber funktionieren die Elf auf dem Rasen nicht.

Dass Schalke der Esprit fehlt ist nicht erst seit gestern bekannt. Dass zur kommenden Spielzeit unbedingt in einem kreativen, torgefährlichen Mittelfeldspieler investiert werden muss, ist ebenfalls kein Geheimnis. Dass die Mannschaft generell einer Erneuerung bedarf und man sich von einigen Stammkräften trennen muss, ist eine Erkenntnis, die nicht erst in den 90 Minuten gegen Köln reifte. Das alles ist so eklatant offensichtlich, dass es dämlich ist, sich die Seele aus dem Leib pfeiffen. Aber der Anspruch, den die Fans an dieses Schalker Team haben, ist immer noch viel zu hoch. Jetzt, da die Wirklichkeit Schalke mehr und mehr einholt,  wollen die Meisten das immer noch nicht wahr haben und retten sich in die Illusion, dass kurzfristige Maßnahmen langfristige Erfolge bringen könnten.

Was ich besonders schlimm finde: Bei aller Tristesse, die Schalke derzeit auszeichnet, fallen die kleinen Lichtblicke schon gar nicht mehr auf. Doch es gab sie. Vicente Sanchez ist so ein kleiner Lichtblick. Wirkt er als Einwechselspieler immer total überdreht, so macht er seine Sache als Stammspieler doch insgesamt wirklich ordentlich und zeichnet sich durch eine enorme Präsenz auf dem Feld aus. Seine Auswechslung nach etwas mehr als 70 Minuten mag unverständlich erscheinen, doch angesichts seines Laufpensums war es nur logisch, Sanchez durch eine frische Kraft zu ersetzen. Benedikt Höwedes ist ein weiterer Lichtblick. In nur einem dreiviertel Jahr hat er sich vom Nachwuchstalent zum unmstrittenen Stammspieler hochgearbeitet und verdrängte gestern sogar erstmals Marcelo Bordon aus der Startelf. Dass mit Jermaine Jones, der seit Wochen unbestritten der aktivste Schalker ist, nun erstmals ein Mittelfeldspieler traf, darf und sollte ebenfalls unter „Lichtblick“ verbucht werden. Es sind eben die kleinen Dinge, an denen man sich als Schalkefan aufrichten kann.

Mehr zum gestrigen Spiel schreibt „Spiegel Online„. Am kommenden Freitag reise ich Schalke nach Wolfsburg nach. Ganz ehrlich: Ich rechne mir da überhaupt nichts aus. Aber vielleicht straft mich das Team ja Lügen.

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6 Kommentare zu “Zwischen Anspruch und Wirklichkeit”

  1. Old-Schalkeam 8. März 2009 um 00:38 1

    Zu dieser Analyse gibt es im Prinzip nicht viel zu sagen da sie eigentlich wie immer sehr zutreffend ist.Aber schon unmittelbar vor dem „genialen“Treffer von Jones ist mir beim Fehler von Kristajic in der Abwehr wie in vielen Situationen danach fast das Herz stehen geblieben.Und als dann auch noch Asamoah eingewechselt wurde,war für mich der Ausgleich nur noch eine Frage der Zeit.Zum Glück hat Neuer diesmal in der Schlußphase besser reagiert als in Mainz.
    Die Aussagen von Jones bei Premiere haben m.E.dann aber den ganzen Charakter der Mannschaft offenbart:Er versteht es nicht daß die Fans die seit ewigen Zeiten für S04 ihr letztes Hemd geben und nichts anderes als ehrliche Arbeit auf dem Platz einfordern nach dem Spiel ihren Idolen huldigen und den gut bezahlten Stars zu Füßen liegen.Dabei haht er wohl eines vergessen:Die Fans haben immer ihre Leistung abgerufen,die Mannschaft schon lange nicht mehr.
    Ich hoffe nur ,daß man diese Runde mit Anstand zu Ende bringt,sich jemand findet der den einen oder anderen „Ladenhüter“auf seine Gehaltsliste nimmt und im Verein richtig ausgemistet wird!

  2. tumulderam 8. März 2009 um 15:07 2

    Danke für Deinen Hinweis darauf, daß das Positive oftmals nicht beachtet wird. Ich habe jetzt Sanchez dreimal hinter einander von Anfang an spielen sehen. Dreimal hat er gut gespielt, und ich frage mich was für ein Sanchez die letzten 12 Monate nicht von Anfang an spielen durfte. Was er verkehrt gemacht haben könnte im Training, um regelmäßig von beiden Trainern nicht beachtet zu werden. Farfan sehe ich längst nicht so pessimistisch, weiß ich doch, daß er meist allein auf verlorenen Posten seine Arbeit verrichtet, da er keine Abnehmer für seine Pässe findet. Und damit wären wir beim Sturm. Es ist unübersehbar, daß hier die größte Schwäche der Mannschaft liegt. Da gibt es kein Wenn und kein Aber, da kann man nichts mehr schön reden.

  3. Blaubäram 8. März 2009 um 15:26 3

    Der Unmut der Fans richtete sich nach meiner Ansicht nicht gegen die Mannschaft sondern gegen die doch sehr unverständlichen Wechsel des Trainers.
    Der Wechsel Bordon für Rakitic (der für mich eines seiner besseren Spiele auf Schalke gemacht hat) war ein Zeichen das nicht der zweite Treffer erzielt werden sollte, sondern die magere Führung über die Zeit zu retten ist. Damit waren vier Innenverteidiger im Spiel und Höwedes im Mittelfeld (was sollte denn dieser Quatsch).
    Die Chancen auf einen Einsatz für Carlos Zambrano dürften steigen, denn fünf Innenverteidiger ist sicherlich die nächste Variante die getestet wird.
    Das dieser durch den Trainer verordnete Angsthasenfußball keine Begeisterung bei den Fans auslöst ist für mich kein Wunder.
    Auch Schade in diesem Zusammenhang war das Verhalten von Mladen Krstajic, der offensichtlich nicht begriffen hatte woher der Unmut kommt. Lieber Mladen Krstajic für solche Aktionen gibt es keinen Stammplatz!
    Als dann noch unser bester Stürmer Vicente Sanchez, und nicht der Totalausfall Kevin Kuranyi, für Asamoah weichen mußte, sind dann alle Dämme gebrochen. Herr Rutten, ein platter Sanchez hat immer noch eine erheblich bessere Leistung gezeigt als Kevin Kuranyi!!!
    Nicht diese „tollen Wechsel“ haben die drei Punkte gerettet sondern Manuel Neuer!!!!!!!

  4. heinricham 8. März 2009 um 16:33 4

    erstmal, matthias, danke für deine einschätzung. uns trennt
    zwar eine generation, nicht aber die liebe zum verein.ich war am
    freitag nicht da, wäre ich es gewesen , ich hätte mich geschämt.
    nun, der verein ist gespalten. wer sagt denn, das die lauten schreihälse in der nordkurve recht haben. rutten oder wir lese ich da.
    was soll das? wenn schon so gefragt wird ,sage ich: ihr.
    soviel hass und hochmut, gepaart mit arroganz und selbstüberschätzung habe ich noch nie gesehen. wollen sie ein „menschenopfer“?. spieler wie neuer, höwedes, jones, sanchez
    derart niederzumachen,da kann man nur sagen , sucht euch einen neuen verein. geht zu chelsea, dortmund oder hassia bingen.
    schalke 04 steht 5 punkte hinter dem tabellenzweiten, es sind noch zehn runden. warum soll ich dann aufgeben, wenngleich auch ich
    die erwartungen an das schöne spiel im moment ad acta legen muss.
    aber das wird wiederkommen. hier liegt eine karte bei mir,eins von vielen spielen saison 1988/89 schalke gegen bayreuth, sonntag
    nachmittag im parkstadion. war das eine spielerische offenbarung?
    ich weiß es nicht mehr genau, auf jeden fall habe wir damals gewonnen
    4:0, und wir sind wiedergekommen.
    der trainer muß sich ja schon rechtfertigen wie ein angeklagter,
    wegen einer auswechselung . will man ihm den prozess machen?
    das ist doch krank. der fehler bei müller war, das er zu hohe
    erwartungen geweckt hat, die können wir im moment nicht erfüllen.
    manchmal fehlt dann noch , wie in mainz, in köln, gegen city die
    richtige einstellung. nun das kann man lösen, indem man sich
    von einigen spieleren trennt. fragt man rum , ist es klar.
    wie immer im fußball., 10leute, 20meinungen. aber noch nie
    habe ich gesehen das eine, kleine aber laute und medienwirksame
    minderheit soviel politik machen kann.
    denn, ich bezweifle , das das meinungsbild unter uns vereinsmitgliedern so eindeutig ist, wie es immer dargestellt wird.
    nur , wir kommen nicht immer mit transparenten ins stadion.
    will man die konfrontation innerhalb des eigenen lagers?
    ruhig noch mal nachdenken und dann die richtigen schlüsse ziehen.
    glück auf

  5. Blaubäram 8. März 2009 um 20:24 5

    @heinrich
    Was hast du denn geraucht?
    Bei den“lauten schreihälsen in der nordkurve“ sind reichlich Leute die seit über 30 Jahren unserem Verein die Treue halten. Das sind die Leute die unter Einsatz ihres Jahresurlaubs und großer Teile ihres Einkommens unsere Jungs zu jedem Spiel begleiten um sie dort zu unterstützen. Ob es richtig ist diesen Fans solche Vorwürfe zu machen sollte gut überlegt sein. Denke bitte einmal darüber nach.

  6. heinricham 9. März 2009 um 09:40 6

    @blaubär
    wie du schon sagst, früher wurde die mannschaft unterstützt,
    nicht niedergemacht.klaus fischer hat gestern in der sportschau
    seine meinung dazu gesagt und ich bin sicher, viele denken wie er.
    ich bleibe dabei, der verein ist gespalten und heute wird es mal wieder, wie so oft auf schalke 04, so enden, das die am lautesten
    mit der „bildzeitung“ schreien, ihren sieg feiern können.
    na dann, viel spaß. wer ist der nächste???