Endlich wieder Leidenschaft
Liegt es tatsächlich „nur“ daran, dass ein Trainer gehen musste und seine Assistenten – die stets betont haben, nichts anders machen zu wollen als ihr ehemaliger Chef – jetzt die Verantwortung tragen? Oder liegt es daran, dass es schlechter als in den letzten Wochen wirklich nicht mehr ging. Sicherlich liegt es ein Stückweit auch daran, dass der gestrige Gegner Arminia Bielefeld nicht zu den Top-Teams der Liga zu zählen ist. Mir ist’s gleich. Nach all‘ den Querelen, Spekulationen, unglücklichen Äußerungen des Vorstandes und der von Aufsichtsratschef Clemens Tönnies inszenierten und vom Boulevard dankbar aufgenommen „Oliver Kahn ist ein guter Typ“-Show zeigte das Team gestern auf der Bielefelder Alm endlich mal wieder, worum es auf Schalke auch und vor allem geht: um Fußball. Mit 2:0 gewinnen die Knappen in Ostwestfalen. Ein Ergebnis, das sich sicher und souverän anhört, allerdings jeweils mit Last-Minute-Treffern in der ersten und der zweiten Halbzeit zustande kam. Dennoch war es ein sehr verdienter Sieg, der leicht hätte höher ausfallen können. Die Mannschaft zeigte eine Reaktion, die man ihr kaum noch zugetraut hat.
Ich mag Bielefeld. Nicht die Stadt, die kenne ich zu wenig. Aber den Verein. Jahr für Jahr kämpfen die Ostwestfalen um nichts anderes als die blanke Existenz. Dann steigen sie mal ab, dann wieder auf, dann wieder ab und irgendwann wieder auf. Der UEFA-Cup der Arminia nennt sich DFB-Pokal – und selbst dort ist für den DSC häufig ganz früh Schluss. Aber irgenwie schaffen sie es immer wieder, eine Mannschaft zu formen, die zumindest die realistische Chance hat, am Ende einer Spielzeit noch drei andere Teams zu finden, die in der Tabelle schlechter dastehen. Das was bei uns der ironisch umgekehrte Schmähspruch „Ruhrpott-Kanacken“ ist, heißt in Bielefeld „Ostwestfalen-Idioten“. Und Schlachtrufe wie „Niemand erobert den Teutoburger Wald“ sind nicht nur im Varus-Jahr wirklich witzig. Kurzum: Bielefeld tut mir nicht weh. An 32 von 34 Spieltagen gönne ich den Arminen jeden Punkt. Und obwohl ich das bereits seit Jahren so sehe, war die Alm bislang ein weißer Fleck auf meiner persönlichen Stadienlandkarte. Gestern hatte ich dann endlich einmal die Gelegenheit, zusammen mit meiner Freundin Sarah und meinen beiden Fanclub-Kumpels Marc und Benne ein Spiel in der kleinen aber schmucken Arena zu sehen.
Nach einer erstaunlich kurzen Abtastphase begann Schalke, etwas Struktur in das Spiel zu bringen. Ãœber einen sicheren Ballbesitz wollte man die Arminia in die eigene Hälfte zurückdrängen um dann durch schnelle Flankenwechsel die Lücke zu reißen, die den Erfolg bringen sollte. Ein netter Plan, der anfänglich auch aufzugehen schien. Insbesondere der quirlige Vicente Sanchez deutete an, dass „über Außen“ etwas funktionieren könnte. Doch der gute Eindruck währte nur ein paar Minuten, denn im Offensivspiel schlichen sich bei Schalke zu viele Fehler gegen eine vielbeinige Bielefelder Abwehr ein. Den ersten Chancen durch Sanchez (6. Minute, zu spitzer Winkel um Eilhoff ernsthaft zu prüfen) und Kobiashvili (9. Minute, Fernschuss) folgte einige Zeit nichts mehr.
Bielefeld verlegte sich auf Konter aus einer sicheren Abwehr heraus. Nach gut 20 Minuten haben die Gastgeber Pech, als sowohl Wichniarek als auch Katongo in zwei aufeinander folgenen Möglichkeiten an Keeper Manuel Neuer scheitern. Dass auf Seiten Bielefelds nach dem Spiel davon gesprochen wurde, dass man die erste Halbzeit eigentlich dominiert habe, lag wohl exakt an dieser Phase zwischen Minute 15 und 30. So ganz richtig ist die Einschätzung jedoch nicht, denn auch in dieser Phase hatte Schalke seine Möglichkeiten. Die größte vergab Kevin Kuranyi nach 28 Minuten, als er – bedient von Altintop – frei auf Arminia-Keeper Eilhoff zulief, den Ball aber am Tor vorbeischoss.
Kurz vor der Halbzeit wurde es dann turbulent. Zunächst klärt Bielefelds Bollmann im eigenen Strafraum per Hand, wird vom (in manchen Szenen etwas indisponiert wirkenden) Schiedsrichter Seemann jedoch nicht bestraft. Drei Minuten später – das ganze Stadion wartete bereits auf den Halbzeitpfiff – hat sich Schalke wieder einmal am Bielefelder Strafraum festgebissen und droht den Ball durch zur viele Kurzpässe im Abwehrbeine-Gewühl zu verlieren. Doch dann hat Sanchez einen Geistesblitz: Per Hacke legt er auf Christian Pander ab, der den Ball kurz vor der Torauslinie scharf vor das Tor flankt, wo wie aus dem Nichts Jefferson Farfán auftaucht und aus kürzester Distanz zum 1:0 einköpft. Ein schönes Tor, ein Tor mit Esprit und Tempo – davon möchte man gerne mehr sehen.
In die zweite Halbzeit startete Schalke mit viel Schwung und hatte nach 50 Minuten Pech, als Kuranyi einen Kopfball nur auf die Querlatte setzt. Doch schon kurz darauf durfte Schalkes Nummer 22 jubeln – wenngleich nur sehr kurz. Sein Treffer zum vermeintlichen 2:0 in der 53. Minute wurde wegen einer Abseitsstellung nicht anerkannt. Doch Schwamm drüber – endlich konnte man als Zuschauer mal den Willen einer Schalke Mannschaft sehen, eine Führung nicht nur zu verwalten, sondern auch auszubauen.
Dass das bis zum Schluss einfach nicht gelingen wollte und Bielefeld naturgemäß durch Konter und Standards immer mal wieder Gefahr ausstrahlte, kann man den Blauen nicht zum Vorwurf machen, weil man bis zum Schlusspfiff weiter nach vorne agierte. Zehn Minuten vor dem Ende verpasst zunächst Farfán allein vor Eilhoff die endgültige Entscheidung, kurz darauf knallt Kuranyi den Ball an den Pfosten und wieder nur Momente später wird ein Tor von Jermaine Jones nicht anekannt – angeblich schon wieder Abseits. In der Nachspielzeit der Partie gelingt es schließlich doch noch. Jones legt bei einem Konter klug auf Kuranyi ab, der trifft aus knapp zehn Metern sicher zum – jetzt auch beständigen – 2:0 und belohnt sich somit für eine sehr engagierte Partie.
Nicht alles, was gestern auf dem Rasen stattfand, war Gold. Aber es war besser als das, was man im letzten halben Jahr sehen konnte. Schalke spielte nicht nur vom Personal her offensiv ausgerichtet, sondern agierte auch so. Sanchez wirbelte auf dem gesamen Feld und Altintop spielte im Mittelfeld den Prellbock für Kuranyi wirklich gut. Jones, Kobiashvili, Westermann und der in der Schlussphase durch Krstajic ersetzte Bordon hielten den Laden hinten zusammen, so dass Rafinha und Pander sich ein ums andere Mal in der Offensive versuchen durften. Trotz seines schönen Tores agierte lediglich Jefferson Farfán etwas unglücklich und hatte in zu vielen Szenen nicht die Traute, einfach mal den Abschluss zu suchen. Dass sich kurz vor Schluss auch Ivan Rakitic und Orlando Engelaar ein paar Einsatzminuten verdienen durften, werte ich als ein Zeichen dafür, dass das Schalker Interims- Trainer-Trio zwar durchaus etwas ändern will, dafür aber nicht über Leichen gehen will. Gut so. Es gab bereits zu viele Sündenböcke in diesem Jahr. Irgendwann müssen die Zeichen auch wieder auf Versöhnung gestellt werden.
Stichwort Versöhnung: Die gestrige Aktion der Ultras, die ihr neues Motto „Schalke sind wir“ lediglich mit „Tönnies raus“-Rufen zu füllen wussten und dabei auch nicht davor zurückschreckten, Schalker Fans, die nicht mitbrüllen wollten, körperlich anzugehen, fand ich persönlich peinlich. Es ist durchaus wichtig, auf Missstände im Verein aufmerksam zu machen. Wenn die Ultras jedoch glauben, dass sie nur ein paar Handzettel verteilen müssen und danach jeder Stadiongänger zu 104% auf ihrer Seite zu stehen hat, missversteht den mündigen Fan als williges Klatschvieh.
Mehr zum Spiel schreibt der „kicker„. Im „Reviersport“ macht sich derweil Ivan Rakitic Luft, der sich einmal mehr als missverstandenes Fußballgenie sehen möchte. Ich rege mich über die ständigen Nörgeleien dieses blonden Bübchens schon lange nicht mehr auf. Der soll erst einmal zeigen, dass er vor den Ball treten und nicht nur in Gedanken Weltmeister-Pokale auf dem Kaminsims polieren kann.
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3 Kommentare zu “Endlich wieder Leidenschaft”
Sehr schöner Bericht, danke dafür. Nach dem gestrigen Sieg bin ich jetzt mal gespannt wie sich die Rest-Saison unter Büskens und Mulder noch entwickeln wird. Wenn das ähnlich erfolgreich wird wie in der letzten Saison, dann muss man sich doch ehrlich fragen ob man Mike Büskens nicht doch zum Cheftrainer ernennen will. Der macht meiner Meinung nach einen guten Job, verkörpert in der aktuellen Personallage Schalke wie kein Zweiter, und ist mit Verstand und Herz bei der Sache.
Wenn da nur die Sache mit dem Manager nicht wäre,…
Ja, vor allem glaube ich ein anderes Selbstbewußtsein ausgemacht zu haben. Hat mir wirklich gut gefallen die gestrige Vorstellung. Altintop hat definitiv seine beste Saisonleistung abgeliefert, die Laufbereitschaft aller Schalker war wirklich klasse. Und wenn Sanchez noch an seinen letzten Pass feilt, könnten wir noch eine Menge Spaß mit ihm haben.
Matthias‘ Bericht spricht auch mir aus dem Herzen. Wo bitte muss ich Kerzen anzünden, damit Mulder & Büskens endlich zu Cheftrainern ernannt werden? Die beiden sind hundertprozentige Schalker, das weiß man nicht erst seit ihrer fulminanten Serie Ende letzter Saison. Aber durch diesen beschissenen Minderwertigkeitskomplex der Ruhrgebietler, die nie der Stärke der eigenen Leute vertrauen, sondern ihr Heil immer bei Predigern aus der Fremde suchen, werden wir wohl wieder so einen „anerkannten Fachmann mit internationaler Erfahrung“ kriegen. Es ist zum Heulen.