Schalke siegt und Magath grantelt
Mit dem Etikett “Jugendstil” wurde ursprünglich eine kunstgeschichtliche Epoche um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bezeichnet. Heute trifft man diesen Begriff seltener in den Feuilletons der Zeitschriften, sondern bei den meisten Print-Publikationen etwas weiter vorne, im Sportteil. Sobald es ein Trainer wagt, mehr als drei Spieler aufzustellen, die noch nicht auf die Erfahrung von 10 Bundesliga-Spiele zurückgreifen können, hat der ambitionierte Sportjournalist flink eben jenen “Jugendstil” ausfindig gemacht. Jugend steht dann sinnbildlich für unverbrauchte Erneuerung, für einen Aufbruch zu neuen Ufern, oft auch für einen kompletten Wandel in der Vereinsphilosophie. In jeder Saison gibt es mindestens eine Mannschaft, die als Prototyp des Jugendstils herhalten darf. In diesem Jahr könnte diese Rolle dem FC Schalke 04 zukommen. Denn in Nürnberg setzte Trainer Felix Magath insgesamt sieben Spieler ein, die 21 Jahre oder jünger waren. Zählt man noch Manuel Neuer, mit 23 Lenzen ja auch nicht unbedingt ein Methusalem der Liga, zum Schalker Jugendstil hinzu, sind es sogar acht und damit mehr als die Hälfte der 14 Akteure, die am Samstag den ersten Saisonsieg beim 1. FC Nürnberg einfuhren.
Vergessen wird bei diesem Jubel über die neue Magath’sche Jugendkultur allerdings, dass es mit Ausnahme der Personalie Christoph Moritz eigentlich keine echte Überraschung gab. Benedikt Höwedes (21) und Manuel Neuer zählten schon unter Magaths Vorgängern längst zum festen Stamm. Carlos Zambrano (20) hatten viele bereits seit Monaten auf dem Zettel und es war absehbar, dass er seine ersten Einsätze in der ersten Mannschaft absolvieren wird. Levan Kenia (18) wurde vor eineinhalb Jahren verpflichtet und angesichts der Vorschusslorbeeren, mit denen er auf Schalke begrüßt wurde, muss man seinen ersten längeren Einsatz in die Kategorie “Jetzt erst?!” einordnen. Vasileios Pliatsikas (21) ist nur einer von zwei Profi-Transfers, die Schalke in dieser Saison tätigte. Und Lewis Holtby (18) war sogar der einzige kleine “Stareinkauf”, den das beschränkte Budget vor der Saison hergab. Ergo durfte auch bei den beiden letztgenannten getrost davon ausgegangen werden, dass Magath sie zumindest einwechseln wird. Das alles soll das Lob auf die Jugend-integrative Leistung des neuen Trainermanagervorstandes sicherlich nicht schmälern. Doch die Kirche sollte angesichts dieser vorhersehbaren Überraschungen mitten im Dorf stehenbleiben.
Überhaupt nicht vorhersehbar war hingegen, dass Schalke in Nürnberg recht locker zu einem nur in der Schlussphase kurzfristig gefährdeten Auswärtssieg kam und somit optimal in die Saison startete. Auch wenn Felix Magath nach dem Abpfiff derart grantelte, dass manch ein Schreiber darin bereits ein durchweg durchschaubares System vermutet, wird auch ihm angesichts des ersten Dreiers ein riesiger Stein vom Herzen geplumpst sein. Zu holperig war die Vorbereitung verlaufen, als dass man zum Auftakt gegen aufstiegseuphorisierte Nürnberger fest mit einem Sieg rechnen konnte. Zu groß ist nach wie vor die Skepsis in die wahre Leistungsfähigkeit des Kaders, als dass man jetzt völlig sorgenbefreit in das anstehende Derby gegen den VfL Bochum gehen könnte. Auf Schalke bleiben derzeit noch alle auf dem Teppich, was vor allem ein Verdienst Magaths ist. Denn der wird nicht müde, seinem Team einen holperigen Start in die Spielzeit zu prophezeien und die Rolle des Vereins im Treiben der Liga zumindest fürs Erste kleinzureden.
Früher – und damit meine ich noch vor ein paar Monaten – war es so, dass auf Schalke nach jedem Sieg die Bäume in den Himmel zu wachsen schienen. Heute wird auch im Falle des Erfolges – immerhin hat Schalke die ersten beiden Pflichtspiele des Jahres auf gegnerischen Plätzen gewonnen – vehement auf die Defizite hingewiesen. In Nürnberg begann man zunächst recht engagiert und ballsicher, schenkte dann aber die Spielanteile ab und kam letztlich überraschend durch einen Konter über Bordon, Moritz, Farfán und Kuranyi zum ersten Bundesliga-Tor des Jahres (36. Minute). Nur drei Minuten später muss Ivan Rakitic nach Vorlage von Kuranyi das 2:0 machen, schießt aber völlig freistehend vor FCN-Keeper Schäfer deutlich am Tor vorbei. Schalkes Überlegenheit wurde in dieser Phase, in der plötzlich auch das Kombinationsspiel funktionierte, greifbar und manifestierte sich nur kurz nach dem Wiederanpfiff im 2:0 – wieder durch Kuranyi. Levan Kenia, der in der Halbzeit für Ivan Rakitic gekommen war, hatte sich auf der linken Seite bis zur Grundlinie durchgewuselt und flankte blitzsauber zurück in die Mitte. Farfán lässt den Ball passieren, Kuranyi rauscht von hinten heran und zieht aus 16 Metern voll ab. Sekunden zuvor hatten Moritz und Kuranyi noch Chancen zum 2:0 gegen Schäfer vergeben, diesmal war der der Club-Torwart chancenlos.
Mit der scheinbar sicheren Führung im Rücken schaltete Schalke dann jedoch mindestens einen Gang zurück, was nicht nur den Trainer auf die Palme brachte. Plötzlich war der FCN am Zug und hatte mehr als einmal die Möglichkeit zum Anschlusstreffer. Doch entweder scheiterten die Hausherren an Manuel Neuer und seinen Vorderleuten, die sich für meinen Geschmack viel zu häufig in gefährliche Schüsse werfen mussten, oder an der eigenen Chancenverwertung. Gerade der in der Schlussphase eingewechselte Angelos Charisteas tat sich dabei – aus Schalker Sicht – besonders wohltuend hervor. Nach vorne versuchte Schalke sein Glück nur noch mit Kontern, vergab diese zum Teil aber fahrlässig oder mit ein wenig Pech (Höwedes trifft nach 71 Minuten aus spitzen Winkel nur den Pfosten). Hinten half der Liebe Gott, der am Samstag jedoch definitiv nicht den Namen Marcelo Bordon trug. Der Meister des defensiven Stellungsspiels präsentierte eine – wohlwollend ausgedrückt – denkwürdige Leistung und war alles andere als ein Stützpfeiler. Glücklicherweise präsentierten sich aber – mit Abstrichen – Heiko Westermann und vor allem Carlos Zambrano standfester in der Brandung und so reichte es für den Club letztendlich nur noch zum Ehrentreffer. Ein Konter über Charisteas wird von Manuel Neuer zunächst noch geklärt, den Abpraller verwertet aber der mitgelaufene Mintal zum 1:2 (88. Minute). Letztendlich fiel dieser Treffer aber zu spät – Schalke konnte sich über die Ziellinie retten.
Eine abschließende Randbemerkung noch: Schalke schießt zwei Tore – und beide aus dem Spiel heraus! Dass man ein Spiel siegreich gestalten konnte, ohne mindestens einen Treffer aus einer Standardsituation heraus zu realisieren, gelang zuletzt am 27. Spieltag der vergangenen Saison beim 2:0 gegen den Karlsruher SC. Ist das bereits ein erstes Anzeichen für eine neue Spielkultur auf Schalke? Felix Magath würde dies sicherlich strikt verneinen.
Mehr zum Spiel schreibt der “kicker”. Bewegte Bilder – und das ist seit dieser Saison neu – gibt es bei www.bundesliga.de im Videoarchiv.
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2 Kommentare zu “Schalke siegt und Magath grantelt”
Kann mich Deinen Worten nur anschließen.
Finde es auch ganz gut, wenn unsere Jungs nach dem ersten Sieg am anderen Tag um 9 Uhr wieder trainieren müssen. Letztes Jahr hätte man sicherlich noch ausschweifend gefeiert.
Die zwei Tore aus dem Spiel heraus sind mir auch aufgefallen und ich denke auch, dass die Tore Kevin Kuranyi sehr gut tun werden.
Hoffe auf jedenfall, dass der Schwung der ersten 60 Minuten mit in die Arena getragen werden und wenn das klappt haben wir nach zwei Spielen 6 Punkte – was will das Schalkeherz mehr!
ja es ist zwar super und auch ne kleine überraschung das es recht gut läuft, aber das zu feiern wäre vermessen.
bei anderen clubs ist es normal das man wieder um 9 uhr zum training muss am nächsten tag, was meiner meinung nach auch richtig ist.