Im Land der Fußballplätze, Kleinwagen und Güterzüge
Es zählt für mich zu den liebenswerten Eigenarten der Deutschen, dass sie unfassbar groß erscheinende mathematische Angaben – ganz gleich ob Größe, Gewicht oder Volumen – grundsätzlich durch das Heranziehen eines anschaulichen Vergleiches verdeutlichen. Kaum ist die Rede von einem Waldbrand in Kalifornien, heißt es auch prompt in den Nachrichten, eine Fläche von rund 10.000 Fußballplätzen sei von den Flammen betroffen. Hat die BILD-Zeitung irgendwo im Orbit einen Meteoriten ausgemacht, der mit einer Chance von 1 zu 500 Milliarden (laut Bild also ziemlich sicher) auf die Erde stürzen könnte, wird geistesgegenwärtig erwähnt, dass dieser Felsbrocken über das Gewicht von etwa 5.000 VW-Polo verfüge. Die größten Kriegsschiffe der Welt, die im Nachtprogramm von N24 regelmäßig heroisch präsentiert werden, verfügen auch nicht etwa über die Größe von zigtausend Bruttoregistertonnen, sondern schlichtweg über das Volumen eines zwei Kilometer langen Güterzuges. Als jemand, der mit der Mathematik auf extremen Kriegsfuß steht, freue ich mich über derartige Vergleiche, helfen sie mir doch, die Realität richtig einzuschätzen. So ein doofer Meteorit soll mir doch ruhig mal auf den Kopf fallen – das macht mir nichts. Aber 5000 VW-Polo? Aua! Vielleicht sollte ich mich besser auf einem von 10.000 Fußballplätzen unter einer von 40.000 Eckfahnen verschanzen. Oder ich setzte mich in meinen zwei Kilometer langen Güterzug und brause davon.
Unglaublich groß ist auch die Summe, die derzeit gebetsmühlenartig mit unserem FC Schalke 04 in Verbindung gebracht wird. Wohl dem Redakteur, der eine Tastatur mit programmierbaren „F-Tasten“ sein eigen nennt. Da legt man sich den Satzbaustein „Schalker Finanzsumpf immer tiefer“ auf die „F9“, die Floskel „aus vereinsnahen Kreisen“ auf die „F10“, den Querverweis „wie die SZ berichtete“ auf die „F11“ und schließlich die Summe „136,5 Millionen Euro“ auf die „F12“. Danach lässt man einen eingefangenen Straßenkater zwei, dreimal über das Keyboard laufen und schon steht er: der exklusive Aufmacher!
Nein, ich möchte nichts verharmlosen, was ich nicht einschätzen kann. Dass es finanziell um Schalke nicht gut steht, dürfte hinlänglich bekannt sein. Um das zu wissen, brauche ich keine Heerschar von Lokaljournalisten, die sich die Zeit zwischen den Wochenenden damit vertreiben, aus der Samstags-Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ abzuschreiben, um so den Mantelteil ihrer mitteldeutschen Regionalzeitung zu füllen. Dazu genügt mir ein Blick in den „Schalker Kreisel“, der zur letzten Jahreshauptversammlung erschien und in dem das Finanzloch bereits sehr deutlich kommuniziert wurde. Nur hat das damals irgendwie niemanden interessiert. Jetzt schon. Noch besser: Jetzt ist es eine Exklusiv-Nachricht. Immer und immer wieder, was das Wörtchen „Exklusiv“ mitunter „exklusiv lächerlich“ erscheinen lässt.
„Die DFL prüft Schalkes Lizenz“ heißt es derzeit unisono in den Medien. Dass auch 19 andere Vereine der ersten und zweiten Bundesliga sich dieser in den Statuten der DFL seit längerer Zeit fest verankerten Prozedur unterziehen werden, lässt man jedoch unter den Tisch fallen. Doch daran habe ich mich längst gewöhnt. Aus diesem Grund halte ich es mit Trainager Felix Magath: Auch ich blicke dem Nach-Lizensierungsverfahren optimistisch entgegen. Was soll schon rauskommen? Das Schalke pleite ist? Ãœberraschung! Dass der Verein auf Jahre hinweg kleinere Brötchen backen muss? Uiuiui! Dass wir wahrscheinlich schon im Winter, spätestens aber im kommenden Sommer, einige lieb gewonnene Leistungsträger abgeben müssen? Wo bitte ist da die Neuigkeit?! Die Prüfung der DFL wird hoffentlich Fakten schaffen. Vielleicht sind es auch Fakten, die uns Fans nicht gefallen werden. Aber es werden Fakten sein, auf die man sich endlich wieder beziehen kann. Das gilt sowohl für den Verein als auch für die Medien. Bei Letzteren glaube ich jedoch nicht, dass sie es wirklich darauf anlegen. Spekulieren und „vereinsnahe Kreise“ zitieren ist schließlich witziger. Wer diese „vereinsnahen Kreise“ sind und ob es sie überhaupt gibt, werden wir wahrscheinlich nie erfahren. Ich habe da zwar eine Vermutung, aber dafür müsste der Schnee schmelzen, damit man sieht, wo die Kacke liegt.
Zurück ins Land der Fußballplätze, Kleinwagen und Güterzüge. Obwohl ich mit der Mathematik – wie bereits erwähnt – auf extremen Kriegsfuß stehe, habe ich einmal versucht, die im Raum stehenden 136,5 Millionen Euro in urdeutscher Manier greifbar zu machen. Warum? Weil ich der BILD diesen Spaß einfach nicht gönne. Es liegt jetzt an dir, ob du erschrocken, amüsiert oder fassungslos bist.
Ein Betrag von 136.500.000 Euro entspricht:
- der Menge H-Milch vom Discounter (1,5 % Fettgehalt), die man benötigt, um ziemlich genau 130 vom Weltschwimmverband als wettkampftauglich zugelassene 50-Meter-Pools bis zum Rand zu füllen.
- knapp zwei Drittel des Listenpreises für einen Airbus A380.
- nahezu eineinhalb Christiano Ronaldos (das Gehalt allerdings nicht mitgerechnet).
- einem Turm mit einer Höhe von ca. 22.795 Kilometern, wenn man den Betrag zuvor in Euro-Cent umgetauscht und die Münzen aufeinandergestapelt hat. Zum Vergleich: Wer jetzt beginnt, ein Loch zu graben, mit dem Ziel, auf der anderen Seite der Erde wieder herauszukommen, hat nur knapp 12.800 Kilometer vor sich.
- in etwa 750 Metern Streckenlänge der unlängst im „Schwarzbuch“ des „Bundes der Steuerzahler“ gerügten „Kanzler-U-Bahnlinie U55“ im Berliner Regierungsviertel.
- 91 Ausgaben der teuersten regelmäßig ausgestrahlten europäischen TV-Show „Wetten dass …“.
- der Summe, die dazu nötig wäre, um den Zuwachs der deutschen Staatsverschuldung für knapp 8,5 Stunden aus eigener Tasche zu stoppen.
- dem Kostenaufwand, wenn man jedem Bürger der 130.000-Einwohner-Stadt Würzburg ein vertragsfreies „iPhone 3GS“ unter den Weihnachtsbaum legen wollte.
- etwa 16.646.341 Maß Bier auf dem Münchner Oktoberfest. Das hätte gereicht, um jedem der insgesamt 5,7 Millionen Besucher in diesem Jahr knapp drei Bier auszugeben. Aber ganz ehrlich: Wer will das schon? Offensichtlich niemand, denn in diesem Jahr wurden insgesamt nur 6,5 Millionen Maß getrunken.
- der Gesamtsumme der vom DFB zu zahlenden Prämien an die Spielerinnen der Frauenfußball-Nationalmannschaft, wenn diese auch bei den nächsten 517 Turnieren auf europäischer Ebene als Championessen vom Feld gehen. Der DFB könnte sich jedoch Zeit mit der Auszahlung lassen. Die letzte derart zu entlohnende Europameisterschaft fände nämlich erst im Jahr 4077 statt. Bei den Männern müsste sich Theo Zwanziger da schon etwas mehr sputen. Hier reicht die Summe nur, um die Prämien für die nächsten knapp 25 Europameister-Titel auszuzahlen. Bereits im Jahr 2112 könnte es so weit sein.
- dem Betrag, den der italienische Automobilhersteller „Ferrari“ in Zeiten der größten Michael-Schumacher-Euphorie als Gegenleistung für etwa 450 Tage „ganz schnell im Kreis fahren“ auf das Konto des Kerpeners überwies.
- ziemlich genau der Summe, die Borussia Dortmund dereinst im Jahr 2000 durch den Gang an die Börse erwirtschaftete und danach binnen kürzester Zeit vernichtete.
- in etwa einem 124stel des Gesamtvermögens eines Albrecht-Bruders. Nur zur Erinnerung: Von denen gibt es zwei!
- dem Dreifachen des Staatshaushaltes des afrikanischen Staates Gambia. Für alle, die das jetzt erschrocken hat, ein kleiner Trost: Der Staat Togo könnte mit der Summe nicht einmal neun Monate lang seine Staatsfinanzen im Griff behalten.
Offensichtliche Rechenfehler dürfen gerne in den Kommentaren gegeißelt werden.
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4 Kommentare zu “Im Land der Fußballplätze, Kleinwagen und Güterzüge”
Würde man alle 5 Sekunden 100×10 Euro-Scheine aus dem Fenster werfen, hätte man nach fünf Wochen Schufterei (Nettoarbeitszeit 37,5h/woche) immer noch 1,5 Mio übrig.
Anders ausgedrückt sind 136,5 Mio Euro 71,5 % der kolportierten Arenabaukosten. 1. Kann sich jeder ausrechnen wann das Teil endlich abgestottert ist (ja, ja Schnusi – 2015 ist schon klar). 2. Kann sich jetzt jeder ausrechnen warum Schalke überhaupt einen so hohen Schuldenberg mit sich herumschleppt.
Ich glaube ja sogar, dass die „Endrate“ für die Arena tatsächlich einmal für 2015 anvisiert war. Allerdings scheint es derzeit so, als habe man im Hin- und Her-Umgeschulde irgendwann den Ãœberblick verloren. Ist allerdings nur eine Vermutung meinerseits.
Die Krux ist, dass der wahre Wert einer derartigen Sonderimmobilie wie der Arena schlichtweg nicht zu beziffern ist. Sie hat nur dann einen Wert, wenn Schalke sie regelmäßig füllt – dann aber auch einen ziemlich hohen. Ohne Schalke hingegen wäre die Arena für den Betreiber allein schon von den Betriebskosten her nur ein riesiger Klotz am Bein. Ebenso wie es das nicht mehr genutzte Parkstadion für die Stadt Gelsenkirchen war, weshalb es aus Sicht der Stadt sogar sinnvoll war, das Berger Feld für ein paar symbolische Euro an Schalke zu verbimmeln.
2015 wenn regelmäßig international gespielt wird, die Pokalauslosungen günstig sind und man vielleicht noch 5 bis 6 jährliche Großveranstaltungen (ausverkauft) unterbringen kann. Vielleicht ist die Arena wirklich einmal abbezahlt und Schalke erwirtschaftet Geld, das war ja der langfristige Plan. Und warum sollte der jetzt plötzlich völlig auf der Kippe stehen? Klar ist, daß Schalke wohl keine Angst vor einer Zwangsversteigerung der Arena haben muß. So wie etwa die ganzen Regionaljournalisten, die monatlich gucken müssen wie sie von ihrem kläglichen Gehalt gestiegene Nebenkosten und Raten für ihr Eigenheim aufbringen können. Das war jetzt vielleicht böse, aber nicht so böse wie die Schlagzeilen, die sie selbst fabrizieren. Schalke wird wie die Bayern immer im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen, ist halt neben ihnen der spannendste Verein. Echte Sorgen mußte man sich in den 80ern und 90ern um den Verein machen, aber Schalke hat sich schon damals aus viel schwierigeren Situationen selbst erlösen können. 136,5 Millionen Euro sind so viel Schulden, daß die Gläubiger gerne bereit sind Zugeständnisse zu machen. Der Verlust der Gläubiger im Falle eines Konkurses wäre einfach zu hoch.
Meines Wissens nach hat Schalke die aktuelle Lizenz ohne Auflagen erhalten, oder irre ich mich da? Wenn das so ist frage ich mich warum in den meisten Artikeln davon geschrieben wird, daß die DFL überprüft ob Schalke gegen Auflagen verstoßen hätte. Und wenn das Ergebnis der DFL Nachprüfung etwaige Auflagen wären, dann würden diese unter Garantie nicht dem aktuellen Kurs des Trainagers widersprechen. Geld sparen, besser wirtschaften – fertig. Das Gespenst des Punktabzugs wird meines Wissens erst dem Keller gelassen, wenn gegen Auflagen verstoßen wurde. Auch so eine Unkorrektheit in nahezu jeder Meldung, die am Wochenende in den Medien zu Schalke kursierte. Nur gut, daß Felix die Springerpresse anscheinend besser im Griff hat, als jeder andere in seinem Geschäft.;)