Maurice Banach
Vor acht Tagen schrieb ich meinen letzten Beitrag in diesem Blog. Natürlich hatte meine Abstinenz von der Tastatur auch etwas mit Robert Enke zu tun. Ich bin aber auch so ehrlich zuzugeben, dass ich keine bewusste „einwöchige Schweigeminute“ eingelegt habe. Ich hatte mir vorgenommen, ein, zwei, vielleicht auch drei Tage nichts zu schreiben, doch dann musste ich feststellen, dass mir schlicht und einfach die Lust und der Antrieb fehlte, in der fußballlosen Zeit etwas auf den Bildschirm zu bringen. Robert Enke wurde am Sonntag unter überwältigender Anteilnahme beigesetzt. In den letzten acht Tagen wurde viel geredet und noch viel mehr geschrieben. Keine TV-Sendung, keine Zeitung und keine Internetseite kam ohne das Thema der letzten Woche aus. Das ist ja auch durchaus verständlich und selbst wenn es einige Dinge gab, über die ich mich in der Berichterstattung sehr geärgert, ganz oft auch fremd geschämt habe, möchte ich nun nicht weiter darauf eingehen. Wie hieß es am Sonntagabend noch so treffend im Medienmagazin „Zapp“ in der ARD: „Wir werden die grenzwertige Berichterstattung über den Tod von Robert Enke nicht noch dadurch aufwerten, indem wir sie rezitieren.“ Dem möchte ich mich anschließen. Trotzdem fällt es natürlich schwer, nach einer Woche wie der zurückliegenden zur Tagesordnung zurückzukehren.
Vor 18 Jahren und zwei Tagen stand ich als damals 16-Jähriger in der Südkurve des Parkstadions. Ja, es war wirklich die Südkurve. Denn eine Zeitlang – ich glaube es waren ein oder zwei Spielzeiten – hielt ich mich lieber in dieser deutlich ruhigeren Ecke der Schüssel auf und beobachtete die Spiele der Schalker. Aber das nur am Rande. Ich erinnere mich nicht mehr besonders an das Match gegen den 1. FC Köln. Das ist insofern erstaunlich, weil ich soeben recherchiert habe, dass Schalke – gerade erst wieder in die Bundesliga aufgestiegen – 3:0 gegen die Domstädter gewinnen konnte! Noch heute Mittag hätte ich Stein und Bein auf ein trostloses 0:0 gewettet. So kann einem die Zeit doch einen Streich spielen.
Warum ich mich dennoch daran erinnern kann, dass ich damals dieses Spiel sah? Weil für Köln der aufkommende Stern des deutschen Fußballs antrat. Maurice Banach war sein Name. Der gebürtige Münsteraner spielte im Profibereich zunächst für Borussia Dortmund, dann für die SG Wattenscheid 09, wurde dort Zweitliga-Torschützenkönig, und landete schließlich beim „Eff-Zee“. Ein Mann, auf den man achten musste. 90 Minuten lang. Zumal Maurice Banach eine Woche zuvor beim Kölner 4:1-Sieg im Derby gegen Fortuna Düsseldorf zweimal getroffen hatte! Und so achteten wir in der Kurve auf Maurice Banach. Genau so, wie man eben auf einen Spieler achtet, wenn er für die gegnerische Mannschaft aufläuft. Mal ehrfürchtig, wenn ihm eine gute Situation gelingt. Mal stolz, wenn die Schalker Abwehr ihm seine Grenzen aufzeigt. Und manchmal auch verhöhnend, wenn ihm ein Ball verspringt. Letztendlich gelang ihm kein Tor. „Der Banach, der kann nix! Der Banach, der is‘ zu blöd zum kacken!“, feixte mich ein (für meine damaligen Verhältnisse) echt alter Kerl mit einer unglaublichen Bierfahne an, als ich nach dem Spiel aus dem Block in Richtung Straßenbahn drängte. Ich nickte.
Am nächsten morgen war Maurice Banach tot. Auf dem Weg zum Training prallte er mit seinem Auto auf der Autobahn bei Remscheid vor einen Brückenpfeiler. Ich hörte die Nachricht zuerst im Radio, danach berichtete auch das Fernsehen über das Unglück. Am nächsten Tag stand es dann in der Zeitung. Internet – geschweige denn Twitter – gab es damals noch nicht. Fußball-Deutschland stand für ein paar Tage still.
Ich war geschockt. So geschockt, dass es für mich ist, als wenn es gestern gewesen wäre. Todesfälle im Fußball kannte ich sonst nur von den „alten Herren“. Da starb mal hier ein 54er-Weltmeister, da ein 58er-Meister und dort ein armer Mensch, der angeblich früher einmal der größte Fußballer der Welt war, zumeist in Brasilien. Doch zu diesen Verstorbenen hatte ich keinen persönlichen Bezug. Zu Maurice Banach schon. Am Tag vor seinem Tod hatte ich ja noch nickend zugestimmt, als ihm die Fähigkeit zum Stuhlgang abgesprochen wurde. Und jetzt war er einfach tot? Als 16-Jähriger fühlt man sich in so einem Moment schuldig. Maurice Banach, der Arsch!
Ich hatte nach dem Tod von Maurice Banach noch einige Situationen, in denen ich kurz davor stand, meine Einstellung zum Fußballgeschäft zu überdenken. Der tragische, schleichende aber dennoch außerhalb von Wolfsburg kaum wahrgenommene Tod von Krzysztof Nowak beispielsweise. Oder der 11. September 2001, als ich mit mehr als 56.000 anderen Menschen wie paralysiert in der Arena stand und ein Fußballspiel sah, das niemals hätte angepfiffen werden dürfen. Aber Maurice Banach war mein erstes Mal. Das erste Mal, dass sich für mich Fußball und Tod direkt, erschreckend, plastisch und greifbar, miteinander verbanden. Drei Jahre später verunglückte ein guter Kumpel von mir nur wenige Kilometer entfernt von dem Brückenpfeiler tödlich. Als ich diese Nachricht hörte und sie nicht realisieren konnte, dachte ich an Maurice Banach.
Vor zwei Wochen verabschiedete sich der deutsche Fußball von Achim Stocker, einem der bemerkenswertesten Vereinspräsidenten, die es nach Papa Unkel gegeben hat. Achim Stocker verfolgte seit Jahrzehnten kein Spiel seines SC Freiburg mehr im Stadion, weil er sein Herz schonen wollte. Genau das Herz, das am SC Freiburg hing. Es versagte am 1. November 2009.
Vor fünf Tagen verstarb mit Klaus Steilmann der letzte echte Fußball-Mäzen der alten Schule. Ein Mann, der einfach nur so sein gesamtes Geld in einen eigentlich uninteressanten Fußballclub steckte, ohne mit einem Return of Investment zu kokettieren. Würde ich Klaus Steilmann als Joachim (siehe Kommentar 2) Dietmar Hopp der 80er-Jahre bezeichnen, könnte ich genauso gut auf Steilmanns Grab pinkeln.
Vor acht Tagen starb Robert Enke. Am kommenden Samstag spielt Schalke gegen Robert Enkes Verein Hannover 96. Normalerweise ist ein Spiel gegen die 96er nichts Besonderes. Meistens gewinnt Schalke. Das gesamte Stadion wird am Samstag an Robert Enke denken. Ich auch. Und ich werde an Maurice Banach denken. Er war der Mann, der für mich den Tod in die Bundesliga brachte.
Maurice Banach starb gestern vor 18 Jahren, am 17. November 1991.
Ich weiß, wie banal es klingt. Der Fußball ging nach seinem Tod weiter.
Abgelegt unter Fußball allgemein,Leben analog,Münster,Schalke
8 Kommentare zu “Maurice Banach”
Als Kölner bedanke ich mich bei Dir für diese Zeilen. Selten so treffende Worte, noch dazu von einem Fan einer anderen Mannschaft, gelesen.
Vieles wird banaler nach solchen Ereignissen, aber die Erinnerung bleibt bestehen.
DANKE!
Ich dachte beim Tod Enkes zuerst an den Tod Lutz Eigendorfs der unter sehr seltsamen Umstaenden einen Unfall hatte, vielleicht sogar einem politischen Mord zum Opfer fiel (das war natuerlich bei Enke nicht so, aber ebenso tragisch).
Schade fand ich tatsaechlich, dass das Werk Klaus Steilmanns kaum gewürdigt wurde. Er hat ja alles für die Region Wattenscheid getan, den SGW vorbildlich geführt und sich sogar gegen die Eingemeindung nach Bochum gewandt. Dies alles ist leider nach dem Tod Enkes kaum in den Medien vorgekommen, eine bessere Würdigung wäre nur gerecht gewesen.
Aber wer soll „Joachim Hopp“ sein ??? (Dietmar??) und was soll der Satz „Würde ich Klaus Steilmann als Joachim Hopp der 80er-Jahre bezeichnen, könnte ich genauso gut auf Steilmanns Grab pinkeln.“
Hopp tut für die Region Rhein Neckar ebenso viel wie es KS für Wattenscheid getan hat. Von daher ist ein Vergleich nicht soweit hergeholt.
mfg
Claus
Sehr schön geschrieben. Mal die Vereinsbrille ausgezogen und den Blick nur auf den Menschen gerichtet. Top!
Danke für diese schönen Zeilen & Danke für die Erinnungen ….
Ein EFF ZEH Fan !
Ich war 8 Jahre alt, als „Mucki“ Banach starb. Ich heulte tagelang.
Ich kann mir gut vorstellen wie es den ganz jungen Enke-Fans in diesen Wochen gehen muss.
Ein sehr schön geschriebener Blog-Eintrag von Dir. Respekt.
Sportliche Grüße aus Köln
David
Denk mal bitte an den Zugführer!!!
Der lebt noch!!!
Hat aber lebenslänglich!!!
Ihm gilt mein grösstes Mitleid!
Peter
Vielen Dank für den Artikel. Ich war damals beim Spiel, wir hatten meinem Opa zum 70. Geburtstag Tribünenkarten geschenkt, mein Bruder und ich (ein Leben lang FC-Fans) waren mit…es war furchtbar nebelig, daran erinnere ich mich, ich konnte fast nix sehen. Auf der Rückfahrt hörten wir von seinem Tod. Ich trauere immer noch um ihn, jedes Jahr denke ich am Todestag an ihn.
Hallo Bine, ich bin die Mama
jeden Tag denke ich an Matthias.
Danke für deine Zeilen!