„Ohne Albert habt ihr keine Chance!“
Erster Tag: Anreise, Einchecken im Hotel, danach Party. Zweiter Tag: Frühstück, ein bisschen in der Stadt herumlaufen, dann ins Olympiastadion und schließlich noch ein Abschlussbierchen. Dritter Tag: Frühstück im Café Einstein unter den Linden, Spreerundfahrt, Heimreise. Grob beschrieben sahen so meine letzten beiden Jahre in Berlin aus, wenn Schalke dort zum Gastspiel antrat. Im kommenden Jahr wird es wieder so sein, die Karten sind längst bestellt und bestätigt, die restliche Reiseplanung wird gerade zusammengeschustert. Es wird das vorerst letzte Mal sein, dass es mich in Sachen Bundesliga-Fußball in die Hauptstadt ziehen wird. Es sei denn, Union gelingt das Kunststück des Durchmarsches. Aber dass Hertha in der Saison 2010/11 in der 1. Bundesliga auflaufen wird, ist für mich seit gestern so wahrscheinlich wie die zeitnahe Erschließung des Jupiter-Mondes Lysithea durch Wanderarbeiter aus der Asphalt-Branche oder eine DFB-Präsidentschaftskandidatur von Ante Sapina. In den – wie üblich – nicht lesenswerten Kommentaren zum – wie üblich – kaum lesenswerten Spielbericht der WAZ giftete gestern Nacht ein Troll unter dem Pseudonym „herthafrosch48“, Schalke sei:
… definitiv bisher die schlechteste Mannschaft, gegen die unsere Hertha verloren hat.
Ja, so kann man auch mit Niederlagen umgehen. Oder besser gesagt: So muss man mit Niederlagen umgehen, wenn man sein Herz an die Hertha verschenkt hat. Zum allersten Mal taten mir gestern die Anhänger der Berliner richtig leid. Denn in der Tat hatten sie die weite Anreise in Kauf genommen, um ein schlechtes Bundesligaspiel sehen zu müssen und erneut ohne Punkte die Rückreise anzutreten. Doch was noch schlimmer wiegen dürfte: Die Niederlage gegen spielerisch limitierte Schalker war auch noch durch die Bank verdient und den Hohn der Nordkurve gab es als i-Tüpfelchen gratis dazu: „Ohne Albert habt ihr keine Chance!“ hallte es zum Spielende durch das Stadion. Das tut weh.
Alle hatten es geahnt, Felix Magath hatte es gesagt und die Presse hatte es brav geschrieben: Gegen Hertha wird Schalke nicht spielerisch brillieren können. Das oft bemühte Bild des „angeschlagenen Boxers“ wurde im Vorfeld gleich mehrfach gezeichnet. Doch dass die Hertha derart angeschlagen ist, wie Maggie Fitzgerald in der letzten halben Stunde von „Million Dollar Baby“ hatte auch niemand erwartet. Spiele gegen abgeschlagene Tabellenletzte sind „Schweinespiele“, die man irgendwie gewinnen muss. Genau das tat Schalke. Eine Stunde lang biss man sich an der dichten Hertha-Abwehr die Zähne aus, dann war es eine Standardsituation, die wie bereits vor zwei Wochen beim Spiel gegen Hannover 96 die Erlösung brachte: Ein zunächst abgewehrter Eckball, dann die Hereingabe von Lukas Schmitz, die Kopfballablage in Marcelo Bordon, bei der er so waagerecht in der Luft steht, wie ich nachts im Bett liege, und der entscheidende Kontakt von Kevin Kuranyi, der den Ball über die Torlinie drückt. Kein wirklich schönes Tor, noch dazu haarscharf an der Grenze zum Abseits, aber ein wichtiges. Danach war Hertha gezwungen, etwas zum Geschehen beizutragen.
Sie versuchten es, brachten mit Ramos einen Stürmer, der in 20 Minuten alleine mehr Wirbel auf dem Feld verursachte als die komplette Gästemannschaft in den 70 Minuten zuvor, hatten sogar noch durch eben diesen Ramos die riesige Chance zum Ausgleich, doch bis auf diese eine Szene blieb Hertha schwach, bieder und bemitleidenswert. Schalke hatte sein Tagwerk durch den Treffer von Kuranyi verrichtet und schaukelte die Partie ohne größere Mühen über die Bühne. Das späte 2:0 in der Nachspielzeit durch einen verwandelten Elfmeter von Rafinha hübschte die Bilanz schließlich sogar noch auf.
Schalke muss sich einmal mehr den Vorwurf gefallen lassen, dass man von der Ästhetik des Spiels her kaum Teams wie Leverkusen oder Bremen das Wasser reichen kann. Das ist richtig und sollte eine Baustelle sein, an der in den nächsten Monaten gearbeitet wird. Die Punktausbeute – nun sind es schon 28 aus 15 Spielen – stimmt jedoch. Vor der Saison hätte das Schalke niemand zugetraut. Ich schon mal gar nicht. Und deshalb kann ich mit spielerisch schwachen Leistungen wie gestern auch sehr gut leben, zumal der Sieg gegen Hertha von allen Schalker Beteiligten herrlich realistisch und selbstkritisch eingeordnet wurde.
Am kommenden Wochenende geht es nach Bremen. Schalke muss dann auf Marcelo Bordon verzichten, der sich gestern die fünfte gelbe Karte abholte. Auf einen Punktgewinn im Weserstadion zu hoffen, wäre utopisch. Wahrscheinlicher ist eine „brave“ Niederlage mit zwei Toren Unterschied. Um so wichtiger war der gestrige Sieg. Ich bin zufrieden. Mehr zum Spiel schreibt der kicker.
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