Entzaubert
Bremen spielt tollen Fußball. Mesut Özil ist bereits jetzt besser als Diego. Aaron Hunt wird der neue Megastar der Nationalmannschaft. Marko Marin ist Deutschlands Supertalent. Thomas Schaaf gehört zu den zehn besten Trainern der Welt, mindestens. Werder ist der Inbegriff für attraktives Offensivspiel. Die Elf von der Weser hält den anderen Mannschaften seit Jahren den Spiegel vor, indem sie beweist, wie man durch Talentförderung das Maximale erreichen kann. Bla Bla Bla. Ich kann diese nervige Lobhudelei schon lange nicht mehr hören. Sie ödet mich an. Zugegeben: Fans des SV Werder haben in den letzten Jahren überproportional viele gute Fußballspiele gesehen. Aber letztendlich beginnt auch der SVW seine Spiele auf einem grünen Rasen mit einem runden Ball beim Spielstand von 0:0. Und wenn Bremen auf eine Mannschaft trifft, die einfach einen besseren Tag erwischt hat, taktisch besser ausgerichtet ist und Werders Stärken partout nicht zur Entfaltung kommen lässt, dann ist dieses Über-Team urplötzlich eine stinknormale Mannschaft. Schalke war am Samstagabend dieser Typus von Gegner, der den Bremern überhaupt nicht liegt. Das heißt jetzt nicht, dass ich Schalke insgesamt über eine komplette Saison als das bessere Team sehe, doch in diesen 90 Minuten am Samstag waren die Schalker es. Der 2:0-Triumph kam unerwartet. Sensationell war er jedoch nicht. Denn Schalke hatte sich diesen Sieg über 90 Minuten hinweg redlich verdient, indem die Mannschaft einmal mehr genau das machte, was sie kann, und damit Werder gründlich entzauberte.
Schalke, zumindest das Schalke, das wir in den letzten Monaten erleben, kann einen Gegner nahezu vollständig aus dem Spiel nehmen. Diese taktische Fähigkeit ist im Fußball nicht neu. Doch Schalke ist kein klassischer Spielzerstörer, der dem Gegner 90 Minuten auf die Knochen haut und sich so Respekt verschafft. Im Gegenteil waren die Blau-Weißen am Samstag das fairere von zwei Teams. Nickelige Fouls, kleinere Provokationen und wildes Reklamieren sah man nur von den Spielern mit dem grünen Tannenbaum unter dem geschwungenen „W“. So etwas hatte der S04 am Samstag nicht nötig. Schalke funktionierte als Kollektiv einfach zu gut, als dass es einen van Bommel’schen „Wachrüttler“ gebraucht hätte. Es ist einfach, im Vorfeld zu sagen, dass man Werder im Mittelfeld den Zahn ziehen will. Es ist unglaublich schwer, dies dann auch über die Zeit eines gesamten Spiels hinweg zu tun. Schalke tat es.
Schalke agierte dabei nicht einmal übermäßig defensiv. Felix Magath musste durch die Gelb-Sperre von Marcelo Bordon die Abwehr umbauen und entschied sich für eine nominell überraschend offensive Ausrichtung. Westermann, Höwedes und Zambrano bildeten den „harten Kern“ der Abwehr. Lukas Schmitz, Joel Matip, Rafinha und Ivan Rakitic regierten im Mittelfeld. Lewis Holtby erhielt die Jokerrolle als „Wandler zwischen den Welten“ und im Sturm waren es erneut Jefferson Farfán und Kevin Kuranyi, die die gegnerische Abwehr beschäftigen sollten. Ich hätte vor dem Spiel Stein und Bein darauf gewettet, dass Magath Mineiro in die Schlacht wirft – Fehlanzeige! Der vor der Saison als „Backup“ für genau solche Situationen wie am Samstag verpflichtete Brasilianer nahm auf der Bank Platz. Seine Position wird seit Wochen perfekt von Joel Matip ausgefüllt und auch in Bremen hatte ich in keiner Sekunde ein schlechtes Gefühl, wenn der lange Schlacks in Ballnähe war.
Die ersten 45 Minuten waren sicherlich nichts für Eventfans. Wohl aber durfte man als Freund der geordneten Taktik durchaus angetan davon sein, wie diszipliniert Schalke die Gastgeber vom eigenen Tor fernhielt. Bereits in der ersten Halbzeit ergaben sich für die Königsblauen einige gute Konterchancen, doch sie wurden nicht konsequent zu Ende gespielt. Das änderte sich nach dem Seitenwechsel. Der Balleroberung im Mittelfeld folgt in der 47. Minute eine herzerfrischende Ballstafette über Rakitic, Holtby, Matip und nochmal Holtby, die im tödlichen Pass auf Kuranyi mündet. Werder Keeper Wiese stürzt dem Schalker Torjäger entgegen, der legt den Ball cool am Schlussmann vorbei und schiebt sicher ins leere Tor ein. Kuranyis 101. Treffer war einer der schöneren der letzten Monate, eben weil er so unglaublich abgezockt war.
Abgezockt – das ist überhaupt das Wort des Spiels. Nach dem 1:0 verwaltete Schalke das Ergebnis nicht, sondern konterte konsequent auf die Vorentscheidung. Nur Minuten nach der Führung kann diese fallen. Farfán war durchgebrochen und hätte in der 1:1-Situation gegen Wiese sogar noch die Option des Abspiels auf den mitgelaufenen Kuranyi gehabt, wird jedoch von Sebastian Boenisch an der Strafraumgrenze zu Fall gebracht. Es ehrt Schiedsrichter Fleischer, dass er nach dem Spiel beim Betrachten der TV-Bilder eingestand, dass eine Rote Karte für den Bremer fällig gewesen wäre. Im Spiel entschied er sich jedoch für Gelb und ließ Gnade walten.
Werder biss sich an Schalke auch in der Folgezeit die Zähne aus. Ein einziges mal wurde es im zweiten Durchgang brenzlig, als Özil in einem seiner ganz wenigen lichten Momente den endlich wieder starken Westermann austanzte und aus kurzer Distanz frei zum Schuss kam. Manuel Neuer blockte den Ball nicht nur, sondern pflückte den Abpraller auch noch souverän aus der Luft. Das wars mit der Bremer Herrlichkeit. Im Gegensatz dazu hatte Schalke sein Pulver noch nicht verschossen und erhöhte nach 72 Minuten auf 2:0. Kevin Kuranyi wandert hart bedrängt von gleich einem halben Dutzend Gegenspielern einmal über das halbe Spielfeld, dringt in den Strafraum ein und spitzelt den Ball zum Sekunden zuvor eingewechselten Moravek, dessen Abschluss durch Mertesacker unglücklich und somit für Tim Wiese unhaltbar abgefälscht wird. Bremen kann in der Folgezeit nicht mehr, Schalke muss nicht mehr. Das Spitzenspiel des 16. Spieltags findet einen verdienten Sieger.
Das 2:0 in Bremen garantiert, dass Schalke in den internationalen Rängen überwintern wird. Im schlimmsten Fall wird es der 4. Platz sein. Selbst die „Herbstmeisterschaft“ ist noch drin, wenngleich ich gerne auf diesen „Titel“ verzichte. Auch wenn Schalke eine unerwartet starke Hinrunde gespielt hat, weigere ich mich zu träumen, weil bereits der jetzige Status mehr einem Traum denn der Realität ähnelt. Am Freitag schließen die Königsblauen das Fußballjahr mit dem Heimspiel gegen Mainz ab. Es wird ein ganz anderes Match werden, als die Partie in Bremen. Auch das Spiel gegen Mainz wird auf einem grünen Rasen mit einem runden Ball beim Stand von 0:0 beginnen. Mal schauen, was Schalke daraus macht.
Mehr zum Spiel schreibt der „kicker„.
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3 Kommentare zu “Entzaubert”
Gegen Bremen wurde exzellente Arbeit abgeliefert. Wurde schon mal festgestellt, ob Mannschaften unter Magath in der Rückrunde grundsätzlich besser werden oder war das nur bei Wolfsburg so deutlich? Der Schlüssel wird sein, dass die Jungs weiterhin blindes Vertrauen in Magath haben, weil so das Team insgesamt am besten – durchaus in seiner Schlichtheit – funktioniert. Ich mache mir dafür aber recht wenig Sorgen. Die Jungen hat Magath zum Schotter gebracht und Bordon, Kuranyi sind auch im Boot. Neuer macht seinen Job, Westermann und Höwedes werden hoffentlich ihre wechselnden Rollen weiterhin akzeptieren. Rafinha und Farfan scheinen auch klar zu kommen. Jones und Pander dürften heiß darauf sein, endlich eingreifen zu dürfen. Sieht doch ganz gut aus. Meiner Meinung nach wird Magath diese Saison nicht mehr gefeuert.
Hach Matthias, du glaubst gar nicht wie lustig gestern die Tweets der Bremer waren. Das wäre ja gar kein Fußball, was Schalke da zeigt.;) Das war einfach ein tolles Fußballspiel unserer Mannschaft. Vor allem Matip macht den Eindruck, er hätte schon 150 Bundesligapartien auf dem Buckel. Wie abgezockt der gestern wirkte. Immer im richtigen Zeitpunkt genau da, wo er sein mußte. Schön zu sehen, dass wir auch ohne Bordon auskommen können. Schließlich geht er bald in Rente. Gegen Mainz sind wir aber wieder klarer Favorit, und als Favorit sahen wir diese Saison noch nicht einmal gut aus. Bochum ausgenommen, gegen die gewinnen jetzt sogar schon die Bayern. Ich hoffe Hertha bestätigt nächste Woche den leichten Aufwärtstrend.
Ich kann auch ganz gut auf den Herbstmeisterschaftstitel verzichten… somal die meisten eh schon wieder Höhenflüge bekommen, was mir schon wieder gar nicht gefällt… Von mir aus können die Bauern den haben damit se sich freuen können nur 50x ohne Platz 1 gewesen zu sein oder so ähnlich xD