Schalkes langer Marsch
„Das Dach ist kaputt! Die haben einen Dachschaden, muahahaha! Spieler haben sie verpfändet. Und Schulden haben sie immer noch!“ Pünktlich zum Rückrundenauftakt startet auch wieder die Berichterstattung, die ich gar nicht einmal Medienhetze nennen möchte, da sie doch nur den üblichen Gesetzmäßigkeiten folgt. Wen interessiert schon, ob Schalke an irgendeinen Finanzinvestor aus Taka-Tuka-Land zukünftige Transfererlöse für Spieler XY verpfändet hat, wenn er gerade im Schnee der Alpen seine Bahnen zieht oder den Silvesterkater ausschläft und dabei die letzten Weihnachstplätzchen vernichtet? Niemanden! Selbst mich nur am Rande. Ab heute rollt der Ball wieder in der Bundesliga und wer meinte, dass der zwischenzeitliche Waffenstillstand zwischen Schalke und der Medienöffentlichkeit die Winterpause überdauern könnte, den heiße ich herzlich in der realen Welt willkommen. Dafür ist die „Story“, die Schalke in dieser Spielzeit bislang geboten hat, einfach zu gut, als dass auch nur eine Zeitung oder ein TV-Sender darauf verzichten könnte, sie immer wieder anzupacken: Sportlich erfolgreich und gleichzeitig pleite. Arm aber sexy. Der solide Magath und die dubiosen Schalker Finanzjongleure. Und jetzt auch noch das Arenadach. Einfach großartig!
Aber das auch gut so, denn lieber eine Situation wie derzeit auf Schalke, in der selbst dass Reißen einer Fieberglasdachmembran zum Weltereignis wird, als eine Situation wie bei Hertha BSC, wo sich wahrscheinlich selbst die Journalisten mittlerweile schämen, immer und immer wieder die Frage nach der Hoffnung auf den Klassenerhalt zu stellen.
Die Winterpause verlief für Schalke bislang viel spektakulärer als erwartet. Auch die ständig aufkommenden Wechselgerüchte um Rafinha, Kuranyi und Höwedes reagierte Trainager Felix Magath auf seine ganz eigene Weise: er verpflichtete Spieler. Und das nicht zu knapp. Tore Reginussen? Nie gehört! Besart Ibraimi? Ich bin ja schon froh, dass ich weiß, wo Mazedonien liegt! Bogdan Müller? Hat irgendwie was von Mehmet Scholl – mehr fällt mir zu dem auch nicht ein. Edu? Ach ja, der UEFA-Cup-Depp aus Bochum! Lebt der also auch noch. Schön für ihn.
Vier der sechs Neuverpflichtungen für die Rückrunde sind No-Names, wie es schon besser gar nicht geht. Aber es sind Verpflichtungen mit Sinn und Verstand, von Magath mit langer Hand und in großer Voraussicht geplant. Reginussen, ein junger Abwehrspieler aus Norwegen, wird keinerlei emotionale Anlaufschwierigkeiten in der Bundesliga haben. Wie überhaupt Skandinavier in der Geschichte der Bundesliga wahrscheinlich die Spieler sind, bei denen „finanzieller Aufwand und sportlicher Ertrag“ am häufigsten im Einklang standen. Ibraimi darf sicherlich als ein typisch Magath’scher „Try & Error“-Transfer gewertet werden. Schon in Wolfsburg probierte Magath in eineinhalb Jahren knapp zwei komplette Mannschaften aus, bevor er das Team gefunden hatte, mit dem er die sensationellste Rückrunde der letzten Bundesliga-Jahrzehnte spielen konnte.
Ich sah Edu erstmals am vergangenen Sonntag bei diesem total verhunzten Spiel in St. Pauli im Schalker Trikot. Mein Gedanke nach ein paar Minuten war: Genau so hüftsteif und uneffektiv wie Altintop! Doch da sind wir genau beim Thema. Halils Vertrag auf Schalke läuft im Sommer aus und wird nicht verlängert werden. Definitiv nicht. Also ist es richtig, seine „Qualität“ adäquat zu ersetzen. Genau das tat Magath mit Edu, der allerdings erstens um einiges weniger verdienen dürfte als der Ex-Torschützenkönig und zweitens noch nicht alle Hoffnungen auf einen Formanstieg in dreieinhalbjähriger akribischer K(l)leinarbeit zunichtegemacht hat. Es war also ein 1:1-Tausch bei gleichzeitiger Ersparnis von locker zwei Millionen Euro pro Jahr. Es gibt Schlechteres.
Bogdan Müller zählt auch zu dieser Kategorie der „sportlich unspektakulären aber finanziell deutlich leichter zu stemmenden“ Alternativen im Kader. Ohne den Verbandsliga-Kicker auch nur einmal gesehen zu haben, weiß ich, dass er gar nicht viel schlechter sein kann, als Vicente Sanchez oder Gerald Asamoah. Beide sind noch mit guten Müller/Aussauer-Verträgen ausgestattet und spielen in den aktuellen Planungen des Trainagers maximal noch eine Nebenrolle. Diese Nebenrolle kann Bogdan Müller auch spielen, für viel weniger Geld.
Ãœberraschend waren sicherlich die Transfers von Alexander Baumjohann und Peer Kluge. Erstgenannter war einmal eines der größten Talente, die Schalke zu bieten hatte. Größer gar als Özil, von Matip, Schmitz und Moritz ganz zu schweigen. Viel mehr hat Baumjohann allerdings noch nicht gezeigt. Ein gutes halbes Jahr in Gladbach, selbst da mit erheblichen Formschwankungen, und dann ein viel zu früher, für junge Fußballer aber leider üblicher, Wechsel zu den Bayern. Mann kann es ja mal ausprobieren, sagten sich Uli Hoeneß und Alexander Baumjohann unisono, wohlwissend, dass ein Ausprobieren immer auch die Option des Scheiterns birgt. Sei’s drum. Im Gegensatz zu Schlaudraff versauerte Baumjohann nur eine halbe Spielzeit auf der Bayern-Bank und ist jung genug, um neu zu starten. Dass er sich für diesen Neustart seinen „Heimatverein“ ausgesucht hat, wärmt das Herz. Nun muss er allerdings auch noch den Kopf überzeugen.
Peer Kluge – da bin ich ehrlich – hatte ich nie großartig auf dem Schirm. Ich könnte ihn jetzt „googeln“ (bzw. „transfermarkten“) und dann den großen Experten raushängen lassen, doch das will ich gar nicht. Ich weiß, dass er solide spielt. Ein solider Mitläufer. Nichts anderes war Heiko Westermann auch, als er einst von Bielefeld zu Schalke wechselte. Er wird eine zusätzliche Option im Mittelfeld sein. Nicht schlecht, wenn man sich vor Augen führt, dass die Schalker Rasselbande zwar bislang tolle Arbeit geleistet hat, etwas zusätzliche Erfahrung aber niemals schaden kann.
Die Rückholaktion von Hoogland, der erst im Sommer kommen wird, sehe ich gleich aus zwei Gründen positiv. Zum einen hat sich das Schalker Eigengewächs in Mainz wirklich gut gemacht, ist inzwischen Leistungsträger und Kapitän der Mannschaft. Es war richtig, dass er einst von Schalke wegging, wo ihm mit Rafinha, Krstajic, Bordon und später auch noch Westermann vier Spieler vor die Nase gesetzt wurden, in deren Schatten er wahrscheinlich verkümmert wäre. Nun kommt er zurück – ablösefrei! Und das ist auch schon der zweite positive Aspekt, den man bei Hoogland beachten muss. Denn anders als in den Vorjahren war Schalke diesmal nicht versucht, einen Gratis-Wechsel im Sommer durch ein sattes Transferentgelt im Winter zu beschleunigen. Als Beispiele dafür seien einfach die Herren Azaouagh und Streit genannt, die Schalke für viel Geld holte, obwohl sie fünf Monate später umsonst gekommen wären. Magath lässt Weitsicht walten – auch in diesen Teilaspekten. Bravo!
Rund drei Millionen Euro hat Schalke in dieser Wintertransferperiode ausgegeben. Bei allen Unkenrufen wie „Da steht man morgens auf und Schalke hat schon wieder einen Spieler geholt“ ist dies im Vergleich zu den Vorjahren wirklich sehr kleines Geld. Ob es gut angelegtes Geld ist, wird die nahe und fernere Zukunft zeigen. Auf jeden Fall aber ist es kein verbranntes Geld, wird es doch – böse ausgedrückt – bereits in einem halben Jahr durch das Vertragsende von Halil Altintop wieder „eingespielt“.
Schalke wird auch noch Spieler abgeben. Auch noch in der aktuellen Transferperiode. Natürlich hofft man auf Altintop, Asamoah, Streit und Rakitic. Wahrscheinlicher aber ist, dass es Höwedes, Rafinha, Kuranyi oder gar Farfán sein werden. Heute berichtet die Presse (Bild zuerst, und alle anderen werden im Lauf des Tages nachziehen) beispielsweise von einem 20-Millionen-Euro-Deal zwischen Wolfsburg und Schalke bezüglich Benedikt Höwedes und Rafinha. Ob etwas dran ist? Wer weiß das schon! Mir würde im Falle von Höwedes richtig das Herz bluten und bei Rafinha würde ich den Abgang eines sportlich sehr wertvollen Spielers bedauern. Aber Schalke könnte beide Abgänge überstehen und wäre einen ersten großen Schritt auf dem Sanierungsweg weiter.
Felix Magath hat in dieser Winterpause gezeigt, wo es mittelfristig langgehen wird. Schalke hat sich trotz der Transfers der Winterpause nicht verstärkt, sondern lediglich die Voraussetzungen für Abgänge geschaffen. Schalke hat die Substanz gehalten. Ich traue Magath zu, die sportliche Klasse weitestgehend zu halten, gleichzeitig aber durch kluge Transfers – Zugänge wie Abgänge – das Gehaltsgefüge dramatisch zu senken. Es ist ein guter Weg, den Schalke in dieser Winterpause eingeschlagen hat. Es ist nicht das erste Mal, das Schalke diesen Weg angekündigt hat. Noch im letzten Winter kursierte Müllers revolutionäres „Jugendkonzept“ in den Medien. Doch anders als damals habe ich jetzt die Hoffnung, dass der Weg nicht nur angekündigt, sondern auch wirklich gegangen wird. Es wird ein langer Marsch werden. Am Sonntag werden wir den ersten Schritt sehen.
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Ein Kommentar zu “Schalkes langer Marsch”
Ich verstehe das Rumgeheule in der Presse auch nicht.
Wer Kredite bekommen will muss Sicherheiten leisten. Normales Geschäftsprinzip von Geldkreditgebern. Bei Gesellschaften die keinen Warenhandel (Merchandise jetzt mal ausgenommen) betreiben gibt es nunmal wenig, was man im Wege einer Sicherungsübereignung als Sicherungsgeber anbieten kann. Transfererlöse sind dagegen stinknormale Forderungen, die man als Sicherheiten einsetzt. Einziges Manko dürfte sein, dass diese aufgrund ihrer starken Schwankungen einen eher niedrigen Sicherungswert darstellen – das aber ist ja nicht der Zeitungen Problem (die, da bin ich mir ziemlich sicher, auch so manche Forderungen aufgrund bestehender Abonnementverträge an Banken verpfändet haben dürften).
Für die restliche Zusammenfassung: Dankeschön. Interessante Woche war das – unser täglichen Transfer gib uns heute.