Tage der Weichenstellung, Teil 2
Am vergangenen Wochenende lernte ich am Rande des “Schlager-Move” in Hamburg zusammen mit ein paar Kumpels ein mittelaltes Mädel kennen. Früher oder später musste beim Small-Talk auch das Thema “Arbeit” aufs Tapet. Und noch bevor ich meine angestrengt höfliche Frage “Und, was machst du so beruflich?” loswerden konnte, wusste ich im Grunde längst die Antwort. Schwarze Hornbrille, schwarze Jeans, schwarzes Oberteil, schwarze Schuhe, desinteressiert-gelangweilter Blick… “Ich bin Kreative!” schallte es mir entgegen und bestätigte sämtliche Vorurteile, die ich seit Jahren gegen dieses Klientel von Leuten hege, die sich selbst ohne Rot zu werden “Kreative” schimpfen.
Mit der Kreativität ist das so eine Sache. Ich habe schon Affen im Zoo gesehen, die unglaublich kreative Dinge mit ihren Körperausscheidungsprodukten anstellen. Und ich habe schon unglaublich viele Menschen gesehen, die für ihre überbordende Kreativität mit unmoralisch hohen Gehältern bedacht werden, denen Privat aber auch nichts besseres einfällt, als sich in die schwarz-schwarz-schwarze Uniform zu werfen, schwarze Hornbrille inklusive.
Wenn es einen Ort gibt, in dem ich das Wort “Kreativer” allerdings unumwunden anerkenne, dann ist es das Fußballfeld. Der Rasen ist für alle Spieler gleich groß, das Spiel dauert für alle gleich lang, der Ball ist für alle gleich schwer und gleich rund. Dennoch gibt es Spieler, die mit Raum, Zeit und Ball anders, einfach kreativer, umgehen, als die meisten. Um es gleich zu sagen: Einen solchen Ballkreativen haben wir auf Schalke schon verdammt lange nicht mehr gehabt. Womit wir dann auch beim heutigen Thema wären: dem Mittelfeld.
Die Liste der Schalker Mittelfeldspieler ist unendlich lang. Nominell im Mittelfeld beschäftigt sind Hao, Rakitic, Baumjohann, Kluge, Jones, Pliatsikas, Latza, Moritz, Kenia, Matip und Stefanovic. Im letzten Jahr waren Lewis Holtby und Jan Moravek auch noch dabei, doch mittlerweile kicken ausgerechnet die beiden, denen ein gewisses Maß an Kreativität zurecht nachgesagt wird, auf Leihbasis bei anderen Vereinen. Einen “Kreativen” sucht somit man unter den elf verbliebenen vergeblich. Kluge, Jones, Pliatsikas, Latza, Moritz, Hao und Matip kann man dies noch am wenigsten vorwerfen, denn sie gehören allein schon von ihrer Spielanlage her eher in die vorgezogene Abwehr, als ins kreative Spielzentrum. Blieben also Baumjohann, Kenia und Rakitic. (Den lange Zeit verletzten Nachwuchsspieler Stefanovic lasse ich mangels Kenntnis komplett außen vor.) Drei Spieler, die eigentlich Schalkes pulsierendes Offensiverz sein sollten, es aber nicht können. Bei Rakitic ist man ja mittlerweile hochzufrieden, wenn er “ordentlich” spielt. Seitdem er als “6er” im Mittelfeld das Spiel des Gegners beackerte, leistet er in der Tat seinen Teil zum Erfolg. Doch es hat fast drei Jahre gedauert, um ihm klarzumachen, dass er alles ist, nur kein Spielmacher. Baumjohann kam in der vergangenen Winterpause von den Bayern und scheint den zwischenzeitlich hergestellten Anschluss zum Kader auch schon wieder komplett verloren zu haben. In Magaths öffentlichen Überlegungen spielt der ehemalige “Wunschspieler” jedenfalls keine große Rolle. Und Kenia? Hochtalentiert ja, aber bringt er sein Potenzial auch auf die Straße? Bedingt. Es wäre fahrlässig, in ihm die große Spielmacherhoffnung zu sehen.
Notgedrungen spielte Schalke in den letzten Jahren deshalb ohne kreatives Mittelfeld. Vor Manuel Neuer stand zumeist eine achtköpfige Abwehr, die das Spiel des Gegners zu stören versuchte. Kreatives Passspiel auf Schalke meinte zumeist den einen Pass, der einen Konter einleitete. “Das Spiel machen” hieß für Schalke zu oft “Immer um den 16er herum spielen und irgendwann mal langer Hafer auf die Rübe von Kuranyi”. Wohlgemerkt auch unter Magath, der dieses System zuletzt regelrecht kultivierte.
Nun soll mal wieder alles anders werden. Magath wolle ein klassisches 4-4-2 mit Spielmacher spielen lassen, heißt es. Die Frage ist: Wer soll der Spielmacher sein? Im jetzigen Schalker Kader findet sich niemand, der diese Rolle auch nur ansatzweise ausfüllen könnte. Also wird gemutmaßt. Wer wird in den nächsten Tagen noch vorgestellt? Misimovic aus Wolfsburg? Finanziell unrealistisch! Affelay aus Eindhoven? Finanziell möglicher, aber durch die Vielzahl der Interessenten ebenfalls wohl eher eine Magath’sche Nebelkerze denn eine realistische Option. Realistisch ist leider etwas anderes: Entweder kommt ein total unbekannter “Bli-bla-blub-ovic” vom Balkan, oder Magath weiß längst, dass er sich seinen 4-4-2-Traum wieder ganz fein abschminken kann.
Nicht das hier ein falscher Eindruck aufkommt: Ich sehe das Schalker Mittelfeld an sich als gar nicht einmal ganz so schlecht. Es ist gespickt mit ehrlichen Arbeitern, die das vom Trainer vorgegebene Pflichtenheft brav und zuverlässig abarbeiten. Als ein prominenter “Neuzugang” stößt in diesem Jahr auch wieder Jermaine Jones hinzu, der Schalke zuletzt 13 lange Monate gefehlt hatte. Jones wird den kämpferischen Aspekt des Mittelfeldes zusätzlich stärken. Das Ur-Schalker Verständnis von “Mittelfeld als vorgezogene Abwehr” wird also auch in diesem Jahr wieder bedient werden. Mehr ist jedoch noch nicht in Sicht.
Genau deshalb fällt mein Fazit für die Substanz des Mittelfeldes auch deutlich pessimistischer aus, als für die der Abwehr. Ich befürchte, dass wir auch in der kommenden Saison nicht davon ausgehen können, dass Schalke agiert. Das Spiel des Gegners lesen, es behindern und dann blitzschnell durch einen Konter zuschlagen: das wird wohl auch 2010/2011 alles sein, was wir von den Blauen erwarten dürfen. Schade eigentlich.
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5 Kommentare zu “Tage der Weichenstellung, Teil 2”
Matthias, ich würde Dir in puncto Einschätzung des Schalker Mittelfeldes gerne widersprechen, muss Dir aber in jedem Punkt Recht geben. Das macht mich genauso wenig glücklich wie Dich. Amüsant finde ich hingegen den Einblick in Deine Freizeitgestaltung (Schlager Move). Voll krass.
Um mal gleich ganz negativ zu beginnen, Jones sehe ich noch
lange nicht in der 1. Mannschaft. Der Eindruck gestern beim
Test in Aue war eher schlecht, er ist noch weit weg vom Team.
Das mit den „Kreativen“ im Mittelfeld ist so eine Sache.
Ich glaube sogar eher das die Zeit der 10er im Mittelfeld vorbei
ist, nicht einer soll / muss kreativ sein sondern die Mannschaft in
Gänze.
Baumjohann als rechter Verteidiger hat gestern in der 1. Hälfte einen
guten Eindruck hinterlassen, gut seine echten Defensivqualitäten
kann man aufgrund des Gegners noch nicht richtig einschätzen,
aber sein Zusammenspiel mit Farfan nach vorne war sehr gut.
@Matthias: Gehört zwar nur bedingt hier her, dennoch:
Aus beruflichen Gründen (Druckindustrie) habe ich auch ab und an mit den „Créativen“ zu tun, die du sooo sehr zu mögen scheinst.
Leider kann ich deine Vorurteile nur bestätigen, speziell bei technischen Problemen (…und wo stell ich Überdrucken ein?) sind sie mit ihrer Kreativität ganz schnell am Ende – da hilft auch das unverhältnismäßige Gehalt nichts nehr.
„Das Spiel des Gegners lesen, es behindern und dann blitzschnell durch einen Konter zuschlagen“ ist doch keine schlechte Qualität. Es kann nicht jeder wie Spanien spielen von einem Jahr auf das nächste.
Ich sehe die gesamte Entwicklung immer noch extrem positiv. Die letzte Saison hat verdammt viel Spaß gemacht und hatte einen – fast unwirklich – positiven Grundton. Wenn wir das diese Saison wieder hinbekommen, bin ich glücklich. Mit oder ohne Spielmacher und sogar, wenn die Rakete auch weiter Eckbälle versemmelt darf als gäbe es kein morgen.
Das Problem sehe ich grundsätzlich ähnlich, aber gewisse Spieler sind hier meiner Meinung nach falsch eingeschätzt:
– Hao ist für meine Begriffe ein offensiver Flügelspieler und hat so weit ich weiß bei seinen bisherigen Stationen und in der chinesischen Nationalmannschaft auch als solcher und nicht etwa als „vorgezogene Abwehr“ agiert. Dass er zuletzt als LV eingesetzt wurde, ist wohl eher aus der Not geboren. Oder Magath schätzt den Spieler so sehr, dass er ihn irgendwie in die Aufstellung bringen möchte, da seine optimale Position mit Farfan klar besetzt ist.
– Kenia hat durchaus Potential gezeigt, wenn auch eher als offensiver Außen denn als Spielmacher. Er ist nur einfach bisher viel zu häufig verletzt – ich fürchte, der Mann wird zum zweiten Pander.
Wenn er allerdings fit bliebe, könnte er uns durchaus verstärken. Ihn trotz seiner Jugend jetzt schon abzuschreiben halte ich für fahrlässig. Vielleicht geht es ihm da ja wie…
– Rakitic, dem auch in den letzten Saisons von einigen Fans Unrecht getan wurde, die von ihm scheinbar Wunderdinge als alleiniger Spielmacher in einem bedingt funktionierenden Offensivspiel erwarteten. Er ist erst 22 (!), hat bereits 80 BuLi Spiele und seine Entwicklung, gerade in der letzten Rückrunde, zeigt steil nach oben.