Es wird Zeit für Standpunkte

02. Sep. 2010 | 10 Kommentare

Geschafft! Das Transferfenster ist geschlossen. Nichts geht mehr. Der vorgestrige Tag war ja auch nervenaufreibend genug und alle, wirklich alle, hatten eine Meinung dazu. Seien es die Kommentatoren der Zeitungen, die „Magath im Kaufrausch“ sahen, seien es die Kommentatoren auf dieser Seite, die sich nicht ganz sicher waren, wie sie den Dienstag sehen sollten, seien es die zahllosen Schalke-Freunde und viel mehr noch die Schalke-Hasser in Foren wie derwesten.de (nur ein Beispiel von vielen).

Wie soll man die Last-Minute-Transferaktivitäten des FC Schalke 04 bewerten? Ist Felix Magath verrückt geworden? Oder in blinde Panik verfallen? Oder ist ihm alles egal geworden? Das waren jetzt nur vier Fragen. Torsten Wieland hat im Königsblog gestern zehn sehr gute Fragen gestellt, über die man in einer spielfreien Woche trefflich sinnieren kann. Doch bei allen Fragen müssen auch irgendwann Antworten her. Da es diese – und das ist gleichsam die Tragödie und der große Glücksfall des Fußballs – erst in den nächsten Wochen auf dem Platz geben wird, müssen vorerst Standpunkte ausreichen. Auch auf die Gefahr hin, dass meine Standpunkte von späteren Ereignissen überrollt werden, will ich es dennoch wagen.

War es richtig, Klaas Jan Huntelaar für geschätzte 14 Millionen Euro zu verpflichten?

Ja. Huntelaar ist genau der Stoßstürmer, der in den ersten beiden Spielen gefehlt hat. Raúl war sowohl in Hamburg als auch gegen Hannover die ärmste Sau auf dem Platz, musste gleichzeitig gegen hoch motivierte Abwehrspieler und die Unfähigkeit seines eigenen Teams, ihn in Szene zu setzen, spielen. Raúl an der Mittellinie zu sehen, verzweifelt um Ballkontakte bettelnd, tut weh. Nun hat er mit Farfán und Huntelaar gleich zwei Spieler im Rücken, die Gegner binden, den Ball schnell transportieren und selbst den Abschluss suchen können. Ich bin mir sicher, dass mit Huntelaar auch die Leistungen von Raúl steigen werden. Es war ein konsequenter Wechsel.

War es richtig, Kevin Kuranyi ziehen zu lassen, um mit Huntelaar einen ebenso gut verdienenden Spieler zu verpflichten?

Für Außenstehende mag es den Anschein haben, als hätte Schalke Kuranyi behalten sollen. Jedoch geht es gar nicht um „Kuranyi oder Huntelaar“. Ich denke, beide hätten zusammen gut harmoniert. Durch den Abgang von Kuranyi entstand jedoch eine neue Situation. Das alte „Hau die Kirsche mal hoch rein, der Kevin kriegt den Kopp schon dran“-Spielchen funktioniert nun nicht mehr. Magath hat vor, Schalke spielerisch weiterzuentwickeln. Und ohne Kuranyis Verdienste schmälern zu wollen: Seine spielerischen Mittel waren und sind arg begrenzt.

Wird Jurado die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllen?

Er muss es einfach. Holtby, Kenia, Moravek, Baumjohann und natürlich Rakitic – sie alle buhlten in der vergangenen Saison um die Position des Spielmachers. Mit sehr mäßigem Erfolg, wie ich anmerken möchte. Mit Jurado wurde nun ein Spieler für sehr viel Geld geholt, der funktionieren muss, der weder den Bonus noch die latente Ausrede der „Entwicklungsfähigkeit“ besitzt. Ich gebe gerne zu, dass mir ein Raffael van der Vaart, der ja auch gehandelt wurde, lieber gewesen wäre. Doch bei Jurado habe ich ein gutes Gefühl. Übrigens ein viel Besseres, als ich es bei Misimovic gehabt hätte.

Was sollen die Transfers von Plestan, Daec, Escudero, Uchida, Papadopoulos, Sarpei und wie sie noch alle heißen?

Mit der geballten Masse dieser Neuverpflichtungen habe auch ich ein Problem. Es ist gut möglich, dass der eine oder andere der vorgenannten Spieler den Weg von Mario Gavranovic oder Besart Ibraimi gehen werden – direkt in die zweite Mannschaft. Jedoch sind alle Spieler, die vor Jurado und Huntelaar geholt wurden, auch keine Akteure, die Unsummen gekostet haben. Sie bekommen jetzt ihre Chance und müssen diese jetzt nutzen! Ich kann nicht verstehen, dass Magath vorgeworfen wird, er habe diese Spieler nur für die Bank verpflichtet. Wenn ein Trainer in der vergangenen Saison bewiesen hat, dass er bereit ist, Spielern aus der zweiten Reihe zu vertrauen, dann doch wohl Felix Magath.

Was wird aus den „Knappenkids“?

Joel Matip, Lukas Schmitz und Christoph Moritz haben uns allen in der letzten Saison sehr viel Freude bereitet. Sie haben das Zeug zu festen Größen in der Bundesliga. Doch sie sind erst am Anfang ihrer Entwicklung. In diesem Jahr müssen sie sich erneut beweisen. Wenn sie sich im Training anbieten, werden sie ihre Chance bekommen. Genau so, wie sie im letzten Jahr ihre Chance bekommen und ergriffen haben. Für mich ist es kein Drama, dass sie aktuell nicht „gesetzt“ sind.

Woher nimmt Schalke bloß das Geld für die Transfers?

Keiner von uns hat die Möglichkeit, hinter die finanziellen Kulissen des FC Schalke 04 zu blicken. Ich kann nur bewerten, was veröffentlicht wurde. Schalke wird in der Champions League garantierte 20 Millionen Euro einnehmen. Knapp 15 Millionen Euro kamen durch die Verkäufe von Westermann und Rafinha dazu. In hitzigen vereinsinternen Machtkämpfen erstritt sich Felix Magath von Clemens Tönnies die Möglichkeit, dieses Geld zu reinvestieren. Das war vor knapp sechs Wochen und jeder hatte dafür Verständnis. Nun gibt Magath 30 Millionen aus und alle Welt schreit „Pleite 04“! Wo waren die Schreihälse vor sechs Wochen? Ich will damit nicht sagen, dass ich überhaupt kein finanzielles Problem sehe. Aber die Summen, für die jetzt Daec, Jurado und Huntelaar geholt wurden, sind exakt in dem Rahmen, der vom Vorstandsvorsitzenden unter reger Anteilnahme der Medien vor Wochen abgesegnet wurde.

Verkauft Schalke gerade seine Seele?

Schalke und die verkaufte Seele… Ich kann dieses Argument nicht mehr hören. Es kommt alle Jahre wieder auf. Möller geholt = Seele verkauft. Arena-Umzug = Seele verkauft. Arena umbenannt = Seele verkauft. Gazprom als Sponsor = Seele verkauft. Assauer abgesetzt = Seele verkauft. Rojek (der übrigens einst Assauer mit absetzte) abgesetzt = Seele verkauft. Schalke kann seine Seele nicht verkaufen. Spötter würden sagen, sie hätten es sonst doch schon längst getan. Aber es geht nicht. Ich bin zwar auch nicht der Meinung, dass derzeit alles super läuft, aber das Argument der „verkauften Seele“ ist für mich folkloristische Hetze von Leuten, denen keine rationalen Argumente mehr einfallen. Meistens sind das übrigens genau die, die ihre Sätze unabhängig von der Tabellensituation und des jeweiligen Jahres mit „Also eigentlich hasse ich Schalke, aber…“ beginnen. Auf derartige Krokodilstränen kann ich verzichten.

Das sind also meine Standpunkte. Vielleicht sind sie verblendet, vielleicht auch übereuphorisiert, vielleicht schlichtweg dumm. Es gab sicherlich schon gehaltvollere Beiträge auf dieser Seite, doch ich war einfach die ständige Fragerei satt. Wie gesagt: Irgendwann müssen Antworten und Standpunkte her.

Her damit!

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10 Kommentare zu “Es wird Zeit für Standpunkte”

  1. Jochenam 2. September 2010 um 12:58 1

    Super, Matthias! Besser kann man die aktuell brennenden Fragen kaum beantworten. Die Mannschaft wird vermutlich noch eine Weile brauchen, um sich zu finden. Von daher sollte man von den nächsten drei, vier Spielen nicht allzu viel erwarten. Aber dann besteht eine ernsthafte Chance auf ca. 2,5 Punkte im Schnitt pro Match bis zum Saisonende. Wozu übrigens auch Ciprian Deac meiner Meinung nach einen guten Teil beitragen wird.

  2. Arneam 2. September 2010 um 13:14 2

    Sehr schöner Artikel, insbesondere zur letzten Frage. Ich kann dieses ewige „Früher im Parkstadion…“ auch nicht mehr hören.

  3. heinz03am 2. September 2010 um 13:39 3

    matthias, danke
    alles auf den punkt gebracht. jetzt auf den platz gehen,
    fußballspielen und tore und punkte machen.
    kannst du den artikel nicht an die „ultras“ weiterreichen??
    glück auf.

  4. skAndyam 2. September 2010 um 14:39 4

    Die Seele von Schalke sind wir, die Fans, uns kann man nicht verkaufen, höchstens verlieren. Doch eher wird die Hölle gefrieren!

  5. Marcel04am 2. September 2010 um 14:50 5

    @skAndy: Genau das dachte ich auch! Die Fans sind doch die Seele von Schalke, nicht einzelne Personen.

  6. Beneam 2. September 2010 um 15:02 6

    @Arne „Sehr schöner Artikel, insbesondere zur letzten Frage. Ich kann dieses ewige “Früher im Parkstadion…” auch nicht mehr hören.“

    Das ist schon richtig, aber eine Sache wird trotzdem immer fest stehen und die darf, nein muss man auch heute noch erwähnen: die Bratwurst früher im Parkstadion war einfach besser! Ich meine die von der Bude hinter der Anzeigetafel in der Nordkurve. Selbst wenn das Spiel noch so miserabel war, für diese Wurst hat sich die Fahrt nach GE immer gelohnt 🙂

  7. Matthiasam 2. September 2010 um 15:22 7

    … und die Erbsensuppe, die es im Parkstadion schräg hinter der Südkurve gab, war auch besser als die in der Arena. Jetztissesraus.

  8. leonam 2. September 2010 um 20:37 8

    zu diesem blogeintrag nur soviel:

    !!

    beim rumstöbern im netz hab ich einen recht interessanten beitrag auf spox gefunden.
    das dort als wahrscheinlich dargestellte system und die aufstellung der schalker mannschaft finde ich eigentlich recht motivierend 🙂

    hier der link, falls es wen interessiert
    http://www.spox.com/myspox/group-blogdetail/Wohin-fuehrt-der-Schalker-Weg–II,94382.html

  9. Carlitoam 2. September 2010 um 21:43 9

    Schöne sachliche Analyse und dementsprechende Standpunkte!

  10. Johannesam 3. September 2010 um 10:51 10

    Hallo Matthias,

    vielen Dank für diesen sehr gelungenen, rationalen, analytischen und trotzdem Mut machenden Artikel. Insbesondere in einem Punkt stimme ich Dir voll und ganz zu: Magath hatte nie etwas anderes behauptet, als 30 Mio. für Transfers investieren zu wollen. Die helle Aufregung (intern wie extern) um diesen Sachverhalt ist und bleibt mir unverständlich.