Dr. Jekyll und Mr. Hyde

14. Nov. 2010 | 11 Kommentare

War es ein Handspiel von Klaas-Jan Huntelaar vor dem 2:2? Na klar! War es eine absichtliche Bewegung, mit der er den Ball unter Kontrolle brachte? Vielleicht, aber nicht sicher. War das Tor irregulär, hätte die Situation vom Schiedsrichter abgepfiffen werden müssen? Das steht unabhängig von Reflex oder Absicht außer Frage! Hat Schalke mit Glück einen Punkt in Wolfsburg geholt? Wenn man 90 Minuten allein auf diese eine Szene reduzieren möchte, dann schon.

Ich denke, die zentralen Medienfragen des Schalker Auftritts in der VW-Arena sind damit schon geklärt. Ein Punkt in der „Seuchenstadt“ Wolfsburg ist immer ein gutes Ergebnis. So richtig freuen kann ich mich allerdings nicht darüber. Das liegt gleich an zwei Umständen. Zum einen hätte Schalke in der Schlussphase mehr mitnehmen können, vielleicht sogar müssen. Allein die beiden Großchancen von Huntelaar in den letzten zehn Minuten hätten den Dreier einsacken können. Auf der anderen Seite bin ich – gelinde gesagt – stinksauer, dass Schalke uns neben seinem Sonntagsgewand in der zweiten Halbzeit einmal mehr sein spielerisch hässliches Gesicht in den ersten 45 Minuten zeigte. Diese eklatanten Leistungsschwankungen stellen mich nach wie vor vor ein Rätsel. Man fühlt sich in dieser Saison wie in einer fortwährenden Fußball-Adaption des Bühnenklassikers „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“.

Was zunächst noch recht gefällig und mit einer guten Chance durch Huntelaar im Zusammenspiel mit Raúl nach 7 Minuten begann, wandelte sich schnell zu einem Albtraum. Schalke schaffte es nicht, den Anfangsschwung über die gesamte erste Spielhälfte zu präsentieren und ließ sich von den Wolfsburgern rasch in die eigene Hälfte zurückdrängen. Eine Entwicklung, die mit dem 1:0 durch die Gastgeber, bei dem Jermaine Jones Grafite aus den Augen lässt und ihm nach einer kurz gespielten Ecke das Tor aus vier Metern Torentfernung ermöglich, noch verstärkt wird. Von nun an spielte nur noch der VfL, der dem Vernehmen nach in der ersten Halbzeit seine stärkste Saisonleistung zeigte. Davon war Schalke maximal weit entfernt, und so entwickelte sich ein einziger Sturmlauf auf das Tor von Manuel Neuer. Angetrieben von einem zunächst überragenden Diego kaufte Wolfsburg Schalke schon im Mittelfeld den Schneid ab. Selbst einfachste Kurzpässe wurden zu einer sicheren Beute für die Gastgeber, die gnadenlos die Schalker Außenverteidigung bearbeiteten. Zwangsläufig bauen die Hausherren die Führung nach einer halben Stunde aus. Schäfer kann ungehindert von rechts flanken, Dzeko steht zentral vor dem Tor und stochert den Ball aus kurzer Distanz über die Linie. 2:0 – der Drops war gelutscht. Die Schalker Fans hatten den Kaffee zu diesem Zeitpunkt längst auf und taten das, was Fans in derartigen Situationen nun mal tun.

Glücklicherweise pflege ich Spiele nicht in Gegenwart von halbseidenen Buchmachern zu schauen, sonst wäre ich heute obdachlos. Denn genau in dem Moment, als Schalke so überhaupt gar keine Anstalten machte, das Fünkchen Hoffnung am Leben zu erhalten, zeigen Raúl und Farfán den schönsten Spielzug der Partie. Ein Steilpass des Spaniers, ein Querpass des Peruaners und plötzlich kann der Brasilianer Edu zum 1:2 verkürzen. Ein Tor wie aus heiterem Himmel und gleichzeitig das Signal für Schalke, sich der Mr.-Hyde-Maske zu entledigen.

Plötzlich war man nicht mehr in allen Belangen klar unterlegen, sondern begann sich, dem Wolfsburger Kombinationsspiel im Mittelfeld in den Weg zu stellen. Wolfsburg war zwar auch zu Beginn des zweiten Spielabschnitts noch besser, doch sie waren nicht mehr das engagiertere Team. Schalke nahm den Kampf an und kam durch eine größere körperliche Präsenz besser ins Spiel. Der Knackpunkt der Partie war nach einer Stunde der Doppelwechsel von Edu und Jones für Jurado und Moritz. Insbesondere Christoph Moritz, der nach seinem Jochbeinbruch mit einer Maske auflaufen musste, brachte neuen Schwung in die Parte und zeigte das, was wir Fans uns in Phasen wie diesen wünschen: Kampf, Leidenschaft und Einsatz. Für mich verdiente er sich in nur 30 Minuten den Titel „Mann des Spiels“.

Denn mit Moritz kam neue Luft in den Schalker Auftritt. Er arbeitete nach vorne wie nach hinten souverän und riss seine Mitspieler mit. Sein Distanzschuss in der 75. Minute bleibt zwar zunächst an der vielbeinigen Wolfsburger Abwehr hängen, doch Huntelaar kann den Ball – natürlich auch unter Zuhilfenahme der Hand – unter Kontrolle bringen und aus kurzer Distanz ausgleichen. An Moritz nahmen sich die anderen Schalker ein Beispiel. Plötzlich brannte das Team und wollte mehr. Erst recht nach der Roten Karte gegen Dejagah, der den aufblühenden Jefferson Farfán nur rüde von hinten stoppen konnte, hatte Schalke das Heft des Handelns in der Hand und gab es – mit Ausnahme einer letzten Wolfsburger Chaos-Chance in der Schlussminute – nicht mehr ab. Es wäre mehr drin gewesen in der Autostadt, doch nach der ersten Halbzeit muss man mit dem Punkt leben können.

Magaths Experiment, auf Jurado zunächst zugunsten von Edu zu verzichten, möchte ich als teilgeglückt bezeichnen. Am Brasilianer lag es nicht, dass bei Schalke in der ersten Halbzeit so gut wie nichts zusammenlief. Eher schon an Farfán, Jones und Rakitic, die zwar jeder für sich auch lichte Momente hatten, gemeinsam aber das Loch zwischen Abwehr und Angriff nicht stopfen konnten. In der Abwehr lieferte Christoph Metzelder mal wieder eine grundsolide Leistung ab, während Benedikt Höwedes durchaus mit seiner Leistung hadern muss. Mir wird von diesem Spiel jedoch vor allem eine Szene in der 90. Minute in Erinnerung bleiben. Als der eingewechselte Mandzukovic auf der rechten Außenbahn zu einem letzten Konter startete, überlegte Atsuto Uchida nicht lange, sondern holte direkt im Mittelfeld die Sense heraus. Noch vor ein paar Wochen hätte Uchida versucht, das Laufduell anzunehmen – und wäre wahrscheinlich gescheitert. Er scheint zu lernen, dass ein guter Abwehrspieler manchmal auch zu unfairen Mitteln greifen muss. Die Rafinhaisierung des kleinen Japaners hat begonnen. Gut so!

Mehr zum Spiel schreibt der „kicker“. In der Tabelle tritt Schalke zwar nach wie vor auf der Stelle, konnte aber zumindest verhindern, dass das zarte Aufschwungspflänzchen gleich wieder zertrampelt wurde. In der kommenden Woche steht mit dem Heimspiel gegen Bremen eine Partie auf dem Programm, die wichtiger kaum sein könnte, winkt doch erstmals seit dem zweiten Spieltag ein Nichtabstiegsplatz.

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11 Kommentare zu “Dr. Jekyll und Mr. Hyde”

  1. ProErnstam 14. November 2010 um 18:53 1

    Danke für die Zusammenfassung. Ich habe dieses Wochenende nicht viel gesehen. Das Spiel wird ja anscheinend nur auf die eine Szene reduziert.
    Die Magath Raus Rufe kann ich nicht verstehen. Ich habe noch nie geschrieen. Die Fans sollten sich mal auf den Standpunkt stellen, dass Magath uns die Sache durch seine „Umstellungen“ einghandelt hat. Also soll er dies auch ausbügeln. Möglichst ohne grossen TamTam, der nur der entsprechendne Presse in die Hacken spielt. Als nächstes kommt von dieser Presse sowieso der Hinweis, dass Schalke sich einen Wechsel z. Zt. nicht leisten kann. Ich stehe auf den Standpunkt: Wir wollen auch nicht. Und dass sollten wir demonstrieren.

  2. Julianam 15. November 2010 um 02:08 2

    „Rafinhaisierung“ – Tolles Wort 😀

  3. Herr Wielandam 15. November 2010 um 08:05 3

    Das Spiel des FC Schalke wird nun in den meisten Berichten ähnlich beschrieben, schlecht in der ersten und gut in der zweiten Halbzeit. Ich finde nicht, dass Schalke man sagen kann, dass die zweite Halbzeit gut war.

    Zu Beginn der zweiten Hälfte war Wolfsburg überlegen. Dann kam eine starke Phase der Blauen, nach dem Ausgleich ebbte der Druck aber wieder merklich ab. Chancen gab es dann zwar noch auf beiden Seiten, Schalke war aber nicht so überlegen wie es bspw. Wolfsburg in der ersten Halbzeit war.

    Insgesamt war ich ziemlich enttäuscht. Über die katastrophale Leistung zu Beginn, und dass diese Sache gegen eine Wolfsburger Mannschaft, die dem Anschein nach dieses Spiel nach ähnlichen Erlebnissen im Kopf schon verloren hatte, nicht zu Ende gebracht werden konnte.

  4. Marcel04am 15. November 2010 um 09:24 4

    Wenigstens konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Mannschaft wieder gekämpft und sich nicht ergeben hat.

    Was das Handtor angeht: Klar war es nicht Regelkonform, aber wie oft haben wir schon so eines gegen uns in den Kasten bekommen? Jetzt hatten wir eben mal Glück…

  5. Henningam 15. November 2010 um 11:25 5

    Eigentlich alles gesagt, viel Schatten und etws Licht. Gefreut habe ich mich aber besonders über eine Szene von Metzelder, als er an der linken Eckfahne einen Angriff des Wolfsburger mit einem recht harten (aber fairen) unterbunden hat und danach die anderen zu meh Einsatz aufgefordert hat. Gleiches hat man schon gegen Leverkusen von ihm gesehen (wo er aber den bzw. die Gegner traf).
    Er zumindest scheint den Ernst der Lage erkannt zu haben!

  6. Beneam 15. November 2010 um 12:00 6

    Was mich nach dem Spiel übrigens extrem nervte, war das massive Schiedsrichter-Bashing von Seiten der Wolfsburger, das Dieter Hoeneß auch sonntags im Doppelpass noch weiter betrieb. Sicherlich ist unstrittig, dass Huntelaars Treffer ein Handspiel voraus ging. Auch ist verständlich, dass sich die Wolfsburger in einer Situation befinden, in der ähnlich der Schalker Situation Anspruch / Ausgaben und Wirklichkeit / Ertrag weit auseinander liegen. Sicherlich kann man auch über die Leistung von Herrn Stark diskutieren.
    Allerdings sollte man sich die (Fehl-)entscheidungen der Schiedsrichter mal global anschauen (unter der Prämisse, dass nicht-gegebene Elfmeter zu Toren geworden wären):
    Wolfsburg hat nämlich drei Tore „geschenkt“ bekommen. Gegen Gladbach wurde ein Tor trotz Foul von Diego gegeben, im Spiel gegen Dortmund wurden den schwarz-gelben gleich zwei Elfer verweigert. Auf der Gegenseite wurde Wolfsburg ein klarer Elfmeter gegen Freiburg verweigert und das Tor von Huntelaar gezählt. – Also steht es 3:2 pro Wolfsburg. Die Schiedsrichter sind sicherlich nicht Schuld daran, dass man trotz Investitionen von geschätzten 38.000.000€ nur auf Platz 12 steht, Herr Hoeneß!

    Beim FC Schalke steht es übrigens ausgeglichen 2:2 – gegen Gladbach und Nürnberg wurde jeweils ein Elfer nicht gegeben. Dem gegenüber stehen das irreguläre Tor von Huntelaar gegen Wolfsburg und der zu Unrecht nicht gegebene Treffer von Cacau im Heimspiel gegen Stuttgart. Schalke steht auf Platz 16, wenigstens machen wir nicht die Schiris dafür veranntwortlich.

    Jetzt noch der Satz fürs Phrasenschwein: über die Saison gleicht sich alles aus…

  7. sable_rayderam 15. November 2010 um 14:28 7

    Ich fand Schalke, ähnlich wie Herr Wieland, auch in der zweiten Halbzeit nicht sonderlich gut. Jedoch gegen Ende der Partie, in den letzten 10 Minuten, war Schalke klar überlegen. Was sicher auch etwas mit dem Platzverweis von Dejagah zu tun hatte. Insgesamt ein enttäuschendes Spiel.

  8. Herr Wielandam 15. November 2010 um 15:06 8

    Ich finde garnicht, dass man Fehlentscheidungen aufrechnen sollte und halte auch nichts von vermeintlich „wahren Tabellen“, die eben nicht wahr sind, weil die einzig wahre Tabelle eben die pupsnormale Tabelle ist.

    Ich finde Hoeneß‘ Kritik gegen Stark vor allem deshalb überzogen, weil Stark abgesehen von der Torszene m.E. sehr gut gepfiffen hat. Das ganze Palaver ist nur der Rolle geschuldet, die Hoeneß (und auch Magath) in dieser Situation nunmal zu besetzen haben. Das gleiche Tor von Dzeko und für Hoeneß wäre es keine Absicht und Magath wäre am toben. Langweilig, eigentlich.

  9. Gregam 16. November 2010 um 13:57 9

    QUOTE:
    Die „Rafinhaisierung“ des kleinen Japaners hat begonnen. Gut so!

    ^^
    Sehr geiles Wort!! 😉

  10. KönigsblauMSam 17. November 2010 um 19:47 10

    Die Allmacht-Philosophie vom unserem shopping-Meister läuft in dieser Saison bis heute geradeaus ins Leere. Für S04 wird die Lage zusehends unübersichtlicher. Erfolgreiche neue Strukturen sind auf breiter Ebene eigentlich nicht zu erkennen. Auch nach dem 12. Spieltag ! gibt es auf dem Platz kein funktionierendes Spielsystem. Ist das schon die Offenbarung, dass der Trainager unsere Mannschaft mit hochkarätigen Einzelspielern gar nicht mehr erreicht? Jedes Heimspiel gilt als kleines Endspiel im Sinne von „die Wende ist da“. Schlaue Visionssprüche zur Meisterschaft werden zu Durchhalteparolen. Der Trainer-Manager-Vorstand wird langsam angezählt – keine Frage. Munter bleiben!

  11. Carlitoam 18. November 2010 um 22:55 11

    „Die Rafinhaisierung des kleinen Japaners hat begonnen. Gut so!“

    *grins* Hoffen wir maldrauf, ich bin aber guter Dinge, was das anbelangt! 😉