Fußball ist keine Frage der Moral
Das Fußballspiel besteht aus einem Katalog von Regeln. Sie sind zu einem großen Teil seit über einem Jahrhundert erprobt und wurden nur dann modifiziert, wenn sich kluge Köpfe denselben ausreichend darüber zerbrochen hatten. Man kann vom passiven Abseits so viel halten, wie man will, doch die meisten Regelmodifikationen hatten durchaus Sinn und Verstand. Beispielsweise die, die im Jahr 1896 festlegte, dass ein Spielfeld frei von Baum- und Strauchwerk zu sein habe.
Eigentlich sind die Fußballregeln wasserdicht. Wer es aber wagt, im dichten Geflecht des Reglements eine Lücke zu entdecken und zu nutzen, wird nicht etwa als bauernschlau gerühmt, sondern handelt sich den Titel „Gegner des Fair-Play“ ein. Wenn die Regeln nicht mehr greifen, wenn alle Warnsysteme versagt haben, wenn der Fußball einen Systemfehler eingestehen müsste, dann ist der Überbringer der Nachricht der Böse. Dann argumentieren die Fußballliebhaber plötzlich nicht mehr mit dem Regelwerk, sondern mit der Moral. José Mourinho ist seit Dienstag (mal wieder) ein Feind des Fair-Play.
Im Spiel von Real Madrid beim welkenden niederländischen Traditionsclub Ajax Amsterdam führten die Spanier kurz vor Schluss bereits sicher mit 4:0. Real hatte einen Spieltag vor dem Ende der Gruppenphase den Gruppensieg fix gemacht, da holten sich die im Verlauf des Spiels bereits vorbelasteten Madrilenen Xabi Alonso und Sergio Ramos ihre zweite Gelbe Karte ab. Sie taten dabei niemanden weh. Sie begingen kein Foul. Xabi Alonso ließ sich bei der Ausführung eines Freistoßes zu viel Zeit (87. Minute), Sergio Ramos in der Nachspielzeit bei einem Abstoß. Das Zeitspiel wurde jeweils mit Gelb geahndet, ergo: Gelb-Rot für beide. Sie sind nun zwar im letzten Gruppenspiel gegen Auxerre gesperrt, doch die beiden ersten Gelben Karten aus dem Spiel am Dienstag tauchen in keiner Statistik mehr auf.
Genau das ist der Clou: Ramos und Xabi Alonso hatten im laufenden Wettbewerb bereits je einmal Gelb gesehen. Die „regulären“ Karten beim Spiel gegen Amsterdam waren somit die jeweils zweiten Verwarnungen. Nach drei Gelben Karten ist man für ein Spiel gesperrt. Zwar hätte Mourinho die Spieler gegen Auxerre schonen können, doch ins Achtelfinale wären sie dann mit zwei Karten im Gepäck gegangen und dem Wissen, dass jede Unachtsamkeit die Sperre für das Rückspiel bedeuten könnte. Mit nur einer Gelben Karte auf dem Konto spielt es sich deutlich befreiter.
Das absichtliche Herbeiführen von Platzverweisen hat eine längere Tradition. In Deutschland können Erich Rutemöller und Frank Ordenewitz ein Quasi-Copyright auf diese Praxis erheben. 1991 holte sich der Kölner Stürmer unter Billigung seines Trainers („Mach‘ et, Otze!“) im Pokal-Halbfinale gegen Bremen eine Rote Karte ab und erhielt eine Sperre, die er jedoch in der Bundesliga hätte absitzen können. Die Sperre für die zuvor im Spiel gesehene zweite Gelbe Karte im laufenden Wettbewerb hätte hingegen auf das Pokalfinale ausgestrahlt. Gebracht hat der Trick letztlich nichts: Sowohl Rutemöller als auch Ordenewitz feixten ihren Coup nach dem Abpfiff freimütig in die TV-Kameras. Ordenewitz wurde daraufhin für das Pokalfinale gesperrt. Der DFB lernte aus dieser Geschichte. Bereits im nächsten Jahr gab es eine klare Regel, nach der Gelbsperren und „normale“ Platzverweise (extreme Tätlichkeiten etc. fallen nicht darunter) nur im jeweiligen Wettbewerb gelten. Mit dieser Regelung fährt man seit fast 20 Jahren sehr gut. „Mach‘ et, Otze!“ war somit ein wichtiger Beitrag zum deutschen Fußballregelwerk.
Wird die UEFA nun aus der Causa Mourinho lernen? Natürlich nicht! Es wird eine saftige Geldstrafe für den Trainer geben, die Spieler müssen wohl auch etwas bezahlen, eventuell werden Sperren angedroht- aber im nächsten Jahr wird die Champions-League wieder unter einem mehr als 100 Seiten starken Reglement gespielt, in dem zwar episch erklärt wird, nach welchen Kriterien das Verhalten der Zuschauer Auswirkungen auf die Fair-Play-Tabelle hat, das die jetzt durch Real aufgeworfene Frage aber weiterhin ausklammern wird.
Die Moral kann hier kein Argument sein. Wer Mourinhos Tat als unmoralisch bewertet, muss auch den Trainer schelten, der seinen Torjäger im Saisonendspurt plötzlich Elfmeter schießen lässt. Schließlich gibt er dem Spieler die Möglichkeit, Torschützenkönig zu werden, was den Marktwert eines Spielers und die finanzielle Situation eines Vereins nicht unerheblich beeinflusst – zuungunsten anderer Spieler und Vereine, wohlgemerkt! Als unmoralisch würde das aber niemand geißeln.
Völlig losgelöst von moralischen Ãœberlegungen geht es für Schalke morgen in Kaiserslautern weiter. Für mich wird es der erste Besuch des Betzenberges sein, und wenn alles so läuft, wie ich es mir erhoffe, gibt es am Montag hier endlich auch mal Bilder von einer Auswärtsfahrt mit dreifachem Punktgewinn zu sehen. Meine bisherigen Saison-Touren nach Hoffenheim und Nürnberg standen diesbezüglich unter dem Motto: „Wir kommen derzeit nur vorbei, um Hallo zu sagen!“
Außerdem wird es hier in der kommenden Woche etwas ausführlicher um ein Land gehen, in dem die Fußballfans grundsätzlich zwei Stunden vor dem Spiel im Stadion sind, in dem die Frauen noch einen guten Männergeschmack haben und in dem Menschen wohnen, die für Schalke richtig abgefahrene Sachen machen. Kleiner Tipp: Oer-Erkenschwick ist kein Land. Lass‘ dich überraschen.
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Ein Kommentar zu “Fußball ist keine Frage der Moral”
Also mir geht dieses Moralgehabe auch sowas von auf den Sack! Sollen sie doch das Regelwerk entsprechend verfassen, dass es keine „Schlupflöcher“ mehr gibt, dann hätte das endlich ein Ende.
Aber da könnte man auch gleich ein generelles Rauchverbot in deutschen Gaststätten oder einen Preis von € 50,- für die Schachtel Zigaretten fordern…
P.S.: Ich bin ehemaliger Raucher, also quasi trocken ;-), das geht aber nicht gegen die Raucher, die sollen meinetwegen weiter quarzen, sondern gegen diese ewige Doppelmoral!!!