Warum Japaner lieber Blogs als BILD lesen

01. Dez. 2010 | 8 Kommentare


Die zahlreichen positiven Reaktionen auf den gestrigen ersten Teil des „Big in Japan?“-Interviews haben mich wirklich vom Hocker gehauen. Vielen Dank dafür! Nachdem uns Schalke-Fan Yumiko aus Tokyo gestern einiges über ihr persönliches Verhältnis zu den Königsblauen erzählte und uns die japanische Variante der Stadionwurst vorstellte, geht es heute im zweiten Teil ganz allgemein um den Stellenwert der Bundesliga und ihrer Akteure. Außerdem stelle ich die Fragen aller Fragen: Wie bekannt ist der FC Schalke 04 denn nun wirklich in Japan?

Wer ist in Japan Fußball-Fan? Gibt es da eine bestimmte Zielgruppe?

Der Altersdurchschnitt der J-League Besuchers beträgt 37 Jahre. Im Jahr 2009 waren 60,6 Prozent der Stadionbesucher männlich. Der Anteil der weiblichen Besucher in den Stadien liegt somit bei fast 40 Prozent! Meiner Meinung nach gibt es aber generell zwei Fan-Typen. Die einen sind die J-League Fans – so wie ich. Der zweite Typus ist der Nationalmannschafts-Fan. Für J-League-Fans ist der eigene Verein immer wichtiger als die Nationalmannschaft. Nur wenn einer unserer Spieler für die Nationalmannschaft nominiert wird, fiebern wir mit und wollen auch die Länderspiele schauen. Bei der Weltmeisterschaft 2006 hat ein Spieler von meinem Verein für Japan gespielt. Deshalb bin ich mit nach Deutschland geflogen, um ihn zu unterstützen. Aber ich denke, dass diese Loyalität zum eigenen Verein auf der ganzen Welt selbstverständlich ist, oder?

Und was zeichnet die Nationalmannschafts-Fans aus?

Der typische Nationalmannschafts-Fan schaut nur Länderspiele. Er liebt das große Event, beispielsweise eine Weltmeisterschaft. Ansonsten interessiert er sich nicht sonderlich für den Fußball. Es ist ihm egal, wer in der J-League spielt und wie die Meisterschaft läuft. Und weil sich der Nationalmannschafts-Fan außerhalb von Events nicht mit Fußball beschäftigt, hat er auch wenig Ahnung von dem, was im Fußball passiert. Der typische Nationalmannschafts-Fan würde dir immer pauschal sagen, dass ausländische Ligen besser sind als die J-League. Aber über den ausländischen Fußball weiß er auch nichts. Fragte man einen Nationalmannschafts-Fan, welche ausländischen Spieler er überhaupt kennt, würde man David Beckham oder Oliver Kahn als Antwort erhalten. Das ist noch ein Relikt aus dem WM-Jahr 2002, als diese Fans zum ersten Mal Fußballspiele im Fernsehen gesehen haben.

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Der FC Bayern beackert bereits seit einigen Jahren das asiatische Terrain. Hier sieht man das Team im Rahmen einer Testspielreise in Japan. Im Vordergrund spricht der damalige Bayern-Trainer Felix Magath.

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Event-Fans kennen wir natürlich auch in Deutschland. Aber wie ist es denn um den Wissensstand der J-League-Fans um den europäischen Fußball bestellt?

Einige der J-League-Fans lieben neben der eigenen auch die ausländischen Ligen und haben große Kenntnisse über die ausländischen Spieler. Das liegt auch daran, weil wir uns in Japan sehr umfassend und recht kostengünstig über den internationalen Vereinsfußball informieren können. Wenn man via Pay-TV nur die Spiele der ersten beiden japanischen Ligen sehen möchte, kostet das umgerechnet etwa 23 Euro im Monat. Aber es gibt ein gutes Angebot, mit dem man sein Pay-TV-Paket aufstocken kann. Man bezahlt dann insgesamt etwa 50 Euro im Monat und sieht neben den beiden japanischen Ligen auch Spiele der Champions-League, der Europa-League, der englischen Premier League, der italienischen Serie A, der russischen Premier League und der Ligue1 aus Frankreich. Dabei werden von der Champions-League sogar alle Spiele live übertragen, aus allen anderen Ligen sind es pro Spieltag meistens drei Live-Spiele. Für die russische Premier League gilt das allerdings nicht. Aus dieser Liga werden nur die Spiele von ZSKA Moskau gezeigt, weil dort der japanische Nationalspieler Keisuke Honda spielt.

Das hört sich nach einem umfassenden TV-Angebot an. Aber wo ist in deiner Aufzählung die Bundesliga?

Die Bundesliga ist in diesem Paket leider nicht enthalten. Man muss sie ebenso wie die spanische Primera Division in einem anderen Paket buchen. Die Primera Division kostet 20 Euro im Monat. Für die Bundesliga müssen wir jedoch nur 13 Euro bezahlen.

Auf Schalke hat es vor dieser Saison zum Teil erhebliche Ticket-Preiserhöhungen gegeben und das Pay-TV-Angebot von Sky kostet regulär 32,90 Euro – ohne Champions-League und DFB-Pokal. Hierzulande reagieren immer mehr Fans sauer auf die neuen Preise. Wie teuer sind die Eintrittskarten in der J-League?

Bei einigen Vereinen liegen die teuersten Eintrittskarten bei 65 Euro. Aber meistens bezahlt man etwa 45 Euro für die besten Plätze im Stadion. Der Preis für Sitzplätze in der Kurve liegt im Schnitt bei 15 bis 18 Euro. In einigen Stadien gibt es in den Kurven auch Stehplätze, die dann aber ebenfalls etwa 15 bis 18 Euro kosten. In der Kurve ist es somit egal, ob man sich einen Stehplatz oder einen Sitzplatz kauft. Die Preise sind nahezu identisch.

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Die Bundesliga bemüht sich, Manchester United hat es hingegen längst geschafft: Der Verein ist mittlerweile eine echte Marke im gesamten asiatischen Raum. Anlässlich einer Freundschaftsspiel-Reise fuhren sogar ManU-Linienbusse durch Hong-Kong.

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Ich will noch einmal auf das Verhältnis der japanischen Fußballfans zur Bundesliga und zum FC Schalke 04 im speziellen eingehen. Wie bekannt sind die Schalker in Japan denn wirklich?

Darauf zu antworten, fällt mir schwer, weil ich niemanden enttäuschen möchte. Ich sag es mal so: Wenn ich vor der Saison auf die Straße gegangen wäre und 100 zufällig ausgewählte Menschen gefragt hätte, ob sie etwas mit dem Namen Schalke 04 anfangen können, hätten vielleicht ein oder zwei Menschen gewusst, dass das ein Fußballverein aus Europa ist. Bislang war Schalke in der breiten Bevölkerung, die ja nicht nur aus Fußballfans besteht, so gut wie unbekannt. Doch das beginnt sich langsam zu ändern. Durch Spieler wie Atsuto Uchida und vor allem durch den Wechsel von Raul zu Schalke wird der Name Schalke 04 immer häufiger in den Medien erwähnt. Heute würde ich unter 100 Befragten vielleicht fünf bis zehn Menschen finden, die Schalke 04 schon einmal gehört haben. Aber ob diese Menschen dann auch wüssten, dass Schalke 04 aus Gelsenkirchen kommt und eine große Tradition hat? Ehrlich gesagt: Ich habe da meine Zweifel.

Wenn du auf der Straße mit der Frage nach Schalke 04 nur auf wenig Gegeninteresse stoßen würdest, gibt es dann überhaupt Fußballclubs, die auch in der normalen Gesellschaft, also nicht nur bei den Fußball-Fans, bekannt sind?

Manchester United und der FC Barcelona beispielsweise genießen auch in der normalen Bevölkerung einen großen Bekanntheitsgrad. Ich schätze, dass 40 bis 50 Prozent der japanischen Bevölkerung die Namen dieser beiden Clubs kennen. Aus Deutschland ist der FC Bayern der bekannteste Verein. Hier könnte der Bekanntheitsgrad vielleicht schon 30 Prozent betragen. Aber um es noch einmal zu sagen: Das betrifft nur die allgemeine Bevölkerung. In der Zielgruppe der Fußballfans hat Schalke 04 einen großen Bekanntheitssprung gemacht. Unter den Fußballfans in Japan kennen heute mindestens 70 Prozent den FC Schalke 04. Im letzten Jahr wären es 30 Prozent oder noch weniger gewesen. Dieser Anstieg des Interesses hat natürlich auch mit Atsuto Uchida zu tun, der als Nationalspieler hier in Japan bekannt ist. Aber ich bin mir sicher, dass insbesondere der Transfer von Raul dazu beigetragen hat, dass Schalke immer bekannter wird. Uchida ist in Japan bekannt, aber für Fußballfans in Japan ist Raul der wichtigere Name.

Ich habe festgestellt, dass aus Japan erstaunlich viele Besucher auf schalkefan.de landen. Woher kommt dieses Interesse?

Daran bin ich nicht ganz schuldlos. Ich betreibe selbst ein Blog und habe in den letzten Jahren drei  Artikel von dir verlinkt. Zuletzt hier. Dabei beziehe ich mich auf deinen Blogpost zu Atsuto Uchida. Nach den Spielen gegen Stuttgart, Hapoel und Frankfurt wurde Atsuto Uchida von vielen Schalker Fans hart kritisiert. Ich habe diverse Foren gelesen und da gab es einige schlechte Threads über ihn. Dann las ich deinen Artikel mit dem Titel „Uchida ist schlecht“ und fand, dass das eine faire Analyse war. Du sagst zwar auch, dass Uchida Probleme hat, aber du bist dabei neutral geblieben und hast keine extreme Position eingenommen. Deshalb habe ich in meinem japanischen Blog geschrieben, dass nicht alle Schalke-Fans „Uchida raus!“ rufen und dass es sogar Schalker gibt, die Hoffnungen und Vertrauen in ihn setzen. Ich für meinen Teil war und bin bei Uchida ja immer optimistisch. Aber in Japan gibt es schon einige Uchida-Fans, die wegen der Berichterstattung aus Deutschland die Hoffnung fast schon aufgegeben haben. Ich habe das aus vielen Kommentaren in meinem Blog herausgelesen. Deshalb wollte ich gegensteuern.

Was mich wundert, ist, wie nah ihr Fans in Japan selbst an der Stimmung auf Schalke dran zu sein scheint. Woher nehmen die Fans in Japan, die nicht deutsch lesen können, die Informationen?

In Japan wird recht wenig über die Bundesliga berichtet. Wenn jedoch deutsche Quellen ins japanische übersetzt werden, ist es fast immer die BILD-Zeitung mit ihren extremen Positionen. Viele japanische Fans versuchen deshalb an die echten Nachrichten, Fakten und Meinungen zu gelangen. Auch deshalb werden die Schalke-Blogs von Japanern besucht, selbst wenn sie kein deutsch verstehen können. Aber Dank Google-Translation klappt das heute auch so ganz gut.

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Vereinsmaskottchen sind im Marektingmix der J-League ein wichtiges Element. Das Maskottchen des Rennomierclubs Kashima Antlers würde sich auch in Mönchengladbach ganz gut machen.

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(Hier geht es zum dritten und letzten Teil des Interviews.)

Abgelegt unter Fußball allgemein

8 Kommentare zu “Warum Japaner lieber Blogs als BILD lesen”

  1. Marcel04am 1. Dezember 2010 um 08:57 1

    Ein japanischer Schalkeblog – wie cool ist das denn?

    Herrlich auch, dass Japaner Bildzeitungs-Nachrichten nicht als „echte“ Nachrichten ansehen. Die Menschen dort haben einfach eine hohe Medienkompetenz.

    Freue mich schon auf den nächsten Teil!

  2. Pitteram 1. Dezember 2010 um 13:00 2

    Cooles Interview! Bin auf das Finale morgen gespannt. Danke (vor allem auch an deine Gesprächspartnerin).

  3. tumulderam 1. Dezember 2010 um 13:51 3

    Super, Matthias …:D Mir selbst geht es langsam besser, sodass ich wohl bald wieder mit dem bloggen anfangen werde. Mal schauen …

  4. Matthiasam 1. Dezember 2010 um 14:04 4

    @tumulder: Diese Nachricht ist für mich schon jetzt der Höhepunkt des Monats. Ich habe mich ja kaum getraut, überhaupt noch ins Kino zu gehen, ohne dein Urteil zu kennen.
    Zur allgemeinen Info: Tumulder betreibt das geniale Filmkritik-Blog „Zeitverschwender„. Aus gesundheitlichen Gründen musste er eine zeitlang mit dem bloggen aussetzen.

  5. Gregam 1. Dezember 2010 um 14:23 5

    Einfach klasse!!!
    Großen Dank an Euch beiden!!

  6. Philippam 1. Dezember 2010 um 21:36 6

    Immer noch klasse!

  7. Starkyam 2. Dezember 2010 um 09:48 7

    Bin zwar BVB-Anhänger, aber Respekt für den Blog!

  8. Carlitoam 4. Dezember 2010 um 22:51 8

    @Marcel04: Ja, die Kommentare zu Marcel Reif und der Blöd zeugen von höchstem Fachwissen und höchster Medienkompetenz! 😉

    P.S.: Ich bin immer noch und immer mehr wegen des Interviews begeistert! Wirklich eine super Arbeit, die Ihr beiden da geleistet habt! 🙂