Die kleine Geschichte vom viel zu großen Stadion
Stadioncheck.de ist eine sehr feine Seite, auf der Jens unterschiedlichste Stadien porträtiert. Das ermöglicht Groundhopping für Couchpotatoes, sozusagen. Ich bin regelmäßiger Besucher auf Stadioncheck.de, weil ich – so wie wahrscheinlich jeder Fußballfan – von den unterschiedlichsten architektonischen Möglichkeiten, ein rechteckiges Stück Rasen in ein Bauwerk zu pressen, immer wieder fasziniert bin. Bei meinem Blick ins Archiv der Seite fiel mir jedoch auf, dass ein Stadion fehlt, dessen kleine, ärgerliche Geschichte mal erzählt werden muss: das Wörthersee Stadion in Klagenfurt. Eine Spielstätte, die so nie hätte gebaut werden dürfen, da das Nutzungskonzept auf tönernen Füßen stand. Sie erscheint als Co-Veröffentlichung hier und auf Stadioncheck.de.
Wörthersee Stadion, Klagenfurt (auch: Sportpark Klagenfurt)
Adresse: Südring 207, 9020 Klagenfurt, Österreich
Heimatverein: SK Austria Klagenfurt
Kapazität: 32.000
Erbaut: 2006-2007
Das Wörthersee Stadion war die modernste und galt als die stimmungsvollste Spielstätte der „Euro 2008“ in Österreich und der Schweiz. Der Oberrang, eine Stahlrohr-Tribüne mit Tränenblech-Bodenbelag , sorgte durch seinen Resonanzkörper für eine außergewöhnliche Stimmung, unter anderem bei zwei Vorrundenspielen des späteren Vizeeuropameisters Deutschland. Dieser Glanz täuschte darüber hinweg, dass Klagenfurt als Spielstätte der EM ein Planungsfehler war. Denn im dünn besiedelten Bundesland Kärnten existiert keine Infrastruktur für Fußball auf nationalem Niveau.
Landeshauptmann Jörg Haider, der den Bau und die Austragung der „Euro“ in seinem Stammland zur Chefsache gemacht hatte, fädelte in Ermangelung eines Erstligaclubs den Deal ein, die Bundesliga-Lizenz des ASKÖ Pasching (in Deutschland besser bekannt unter dem Namen SV Pasching) zu kaufen und nach Klagenfurt zu transferieren. Doch auch der so geschaffene Retortenclub SK Austria Kärnten schaffte es nicht, österreichischen Spitzenfußball im südlichen Bundesland zu etablieren, stieg kurz nach der Europameisterschaft ab und meldete Konkurs an. Sämtliche Wiederbelebungsversuche scheiterten – auch und vor allem weil Haider zwischenzeitlich bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Heute wird das Stadion vom unterklassigen SK Austria Klagenfurt genutzt, der seine Heimspiele vor wenigen Hundert Zuschauern austrägt und gegen den im Juni 2011 ebenfalls ein Insolvenzverfahren eingeleitet wurde. Ausgang offen.
Um das Wörthersee Stadion nicht gänzlich ungenutzt zu lassen, vergab der Österreichische Fußballbund (ÖFB) zahlreiche Länderspiele und nationale Pokalendspiele nach Klagenfurt. Auch das im Januar 2010 ausgetragene Eishockeyderby zwischen den beiden nationalen Spitzenteams Villacher SV (VSV) und dem Klagenfurter Athletiksport Club (KAC) sorgte mit 30.500 Zuschauern für das seltene Erlebnis eines nahezu ausverkauften Hauses.
Das heutige Wörthersee Stadion wurde in den Jahren 2006 und 2007 auf dem Gelände seines im Jahr 1960 erbauten namensgleichen Vorläufers vollständig neu errichtet. In der Baukalkulation enthalten war ursprünglich der sofortige Rückbau nach der EM auf 22.000 Zuschauer. Mehrere Abnehmer für die Elemente des Stahlrohr-Oberrangs aus dem In- und Ausland standen bereit. Doch das überbordende Lob der Fußballfachwelt für die großartige Spielstätte verleitete das Land Kärnten dazu, den Rückbau so lange zu verzögern, bis das Material des Oberrangs aus baustatischer Sicht wertlos wurde und potenzielle Käufer Abstand nahmen. Die im Haushalt der Betreibergesellschaft eingeplanten Rückbaukosten wurden innerhalb kürzester Zeit durch die laufenden Betriebskosten aufgezehrt, sodass letztendlich das Geld fehlte, die Planungen umzusetzen. Zuletzt durfte der Oberrang aufgrund von genehmigungsrechtlichen Streitigkeiten nur noch an wenigen Terminen im Jahr genutzt werden.
Derzeitiger Stand ist, dass ein Rückbau nicht stattfinden und stattdessen die Statik des Oberrangs nachgebessert werden soll. Das Wörthersee Stadion soll in seiner derzeitigen Form erhalten bleiben. Allerdings wird auch das nichts daran ändern, dass es auf unabsehbare Zeit eine wunderschöne Sportstätte ohne nennenswerte fußballerische Nutzung bleiben wird.
Die folgenden Bilder lassen sich durch Klick vergrößern.
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