Als Schalke sich (mal wieder) neu erfinden musste
Am vergangenen Donnerstag feierte Schalke 04 Geburtstag. Wer zu diesem Anlass eine Torte backen wollte, musste 88 Kerzen auftreiben und auf dem Backwerk verteilen. Am 5. Januar 1924 trennte sich die Fußballabteilung des „Turn- und Sportvereins Schalke 1877“ – zwölf Jahre nachdem die Kicker von Westfalia dem TV als Unterabteilung beigetreten waren – wieder von diesem ab. Unter dem Namen „Fußballklub Schalke 04“ und mit den neuen Vereinsfarben Blau und Weiß wagte man den Neuanfang. Da man damals jedoch bereits bei der Benennung des neuen Vereins Wert darauf legte, dass auf Schalke bereits ab 1904 organisiert gekickt wurde, ist der 5. Januar 1924 nur eine Etappe von vielen in der langen Geschichte der seit jenem Datum Königsblauen. Eine weitere Etappe waren die wilden 1980er-Jahre.
Nach drei Abstiegen innerhalb eines Jahrzehnts war S04 gezwungen, sich neu zu erfinden. Die 80er waren überhaupt ein Wendepunkt im deutschen Fußball. Im 11Freunde-Sonderheft „Die 80er“ wird das Jahrzehnt treffend als die Phase beschrieben, in der der Fußball merkte, dass man mit ihm richtig Geld umsetzen und verdienen kann. Aus dem traditionell-provinziell geführten Verein aus Gelsenkirchen wurde mehr und mehr ein Wirtschaftsunternehmen. Bis heute ist dieser Prozess im vollen Gange, sorgt bis heute für Unmut und nicht wenige ältere aber auch jüngere Semester träumen sich deshalb romantisierend in die Zeit zurück, in der es auf Jahreshauptversammlungen abhängig von den Wahlergebnissen noch Freibier gab und Mittelständler aus dem Sauerland mit einem Scheck über 100.000 Mark den Saisonetat gründlich aufstocken konnten.
Mitten in diese Zeit des Umbruchs fiel ein „Jubiläumchen“. 1989 feierte Schalke 04 seinen 85. Geburtstag nach traditioneller Zeitrechnung. Der gebürtige Gelsenkirchener Ulli Potofski und Redakteur Bernd Linhoff nahmen dieses Jubiläum zum Anlass, einen Videofilm über Schalke zu produzieren. Das Werk ist einerseits eine Aufarbeitung der Schalker Historie, andererseits aber auch ein interessantes und aufschlussreiches Zeitgeist-Dokument der späten 1980er. Mit „Sonnenkönig“ Günter Eichberg hatte sich damals erstmals ein mächtiger Mann im Verein inthronisieren lassen, der seine Kernkompetenz ausschließlich in der Wirtschaft sah und dies offensiv kommunizierte. So etwas wirkte auf viele befremdlich und deshalb ließ der Betreiber mehrerer Privatkliniken keine Gelegenheit aus, sein Herz für Schalke auf der Zunge zu tragen. Ausgerechnet das ließ ihn vielen jedoch noch suspekter erscheinen. Wer Parallelen zur heutigen Zeit erkennen möchte, liegt sicherlich nicht ganz daneben.
Das Video „85 Jahre Schalke 04“ wird heute nur noch als Gebrauchtware gehandelt. Eine offizielle DVD-Version gab es nie. Warum auch? Nichts ist so alt wie das Jubiläum von gestern. Eine Kopie des Videos hat es dennoch bis in die heutige Zeit geschafft – als flimmernde, dem Urheberrecht trotzende Version auf Youtube, gestückelt in neun Teile, wobei Teil 5 leider nicht mehr verfügbar zu sein scheint. Wer in der fußballfreien Zeit knapp eineinhalb Stunden erübrigen will, dem seien die Schnipsel wärmstens ans Herz gelegt. Wer weiß, wie lange sie noch online verfügbar sind.
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3 Kommentare zu “Als Schalke sich (mal wieder) neu erfinden musste”
Lustig, das Video habe ich auch zuhause, natürlich auf VHS. Aber angucken kann ich es mir nicht mehr, da kein Rekorder zur Verfügung steht.
Der Eichberg war natürlich auch ne besondere Marke. Wißt Ihr noch, als er sich besoffen im TV über den Schiri beschwerte? Hatte einen hohem Fremdschämfaktor…
Ein sehr sehenswerter Tipp. Gerne wahrgenommen.
Jo, aber so durchgehend schön waren die 80er Jahre denn doch nicht. Ich erinnere mich fast nur daran, bei Kälte im Regen gestanden zu haben, so als habe es keinen Sommer gegeben.
Beeindruckend finde ich, dass der 20-jährige Lehmann schon damals durch schnelles Abwerfen/Abschlagen das Spiel schnell gemacht hat (Teil 9 bei youtube). Für Klinsmann war das erst über15 Jahre später ein „moderner Torwart“. Haha, von wegen in England geschult. Wer hat es erfunden? Ein Schalker!