Jurado dirigiert die „Tschippie-Show“ in Köln
Da widme ich am vergangenen Mittwoch Ciprian Marica einen ganzen Beitrag, weise darauf hin, dass seine bisherigen Leistungen im Schalker Trikot arg ausbaufähig sind und er langsam aber sicher die gebotenen Chancen nutzen sollte – und dann trifft er wie aus dem Nichts zweimal in Köln und ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass Schalke aus einem gebrauchten Tag noch ein denkwürdiges Ereignis macht. Er habe nach dem Ausfall von Raúl und dem morgendlichen Abschlusstraining ein Bauchgefühl gehabt, dass „Tschippie“ gut drauf sein wird, gab Huub Stevens nach dem 4:1-Sieg zu Protokoll und versuchte dabei nach bestem Wissen und Gewissen den Eindruck zu vermitteln, dass es ganz normal sei, wenn ein Ersatzspieler, den viele längst abgeschrieben haben, urplötzlich zum „Mann des Spiels“ avanciert. „Ich habe doch immer gesagt, dass wir jeden Spieler brauchen“, diktierte Stevens den Journalisten in den Block. Ein neckisches „Ihr müsst mir auch mal zuhören“ verkniff er sich. Aber gedacht hat er sich’s garantiert.
Bevor der Samstagabend in Köln zu einem freudigen Ereignis werden konnte, galt es für Schalke eine gebrauchte Halbzeit zu überstehen. Beim frühen 1:0 durch Lukas Podolski zeigte sich, dass selbst eine von Stevens inspirierte Abwehr nicht ohne Startschwierigkeiten personelle Ausfälle kompensieren kann. Christoph Metzelder und Kyriakos Papadopoulos waren sich nach Marco Högers Ballverlust im Mittelfeld einen Moment nicht einig und eskortierten Podolski vor dessen Gewaltschuss brav bis fast zur Strafraumkante. Die Führung spielte Köln in die Karten. Fortan verbarrikadierten sich die Gastgeber hinter zwei Viererketten und lauerten auf Konter. Schalke fiel dazu zu wenig ein. Das schnelle Kurzpassspiel durch die Mitte, mit dem man zuletzt den Gegner knacken konnte, fand kaum statt, stattdessen arbeitete man sich auf den Flügeln ab, ohne jedoch einen nachhaltigen Druck auf das Kölner Tor aufbauen zu können. Im Gegenteil hatte man in der ersten Halbzeit auch ein paarmal Glück, dass Köln die angebotenen Konter nicht sauber ausspielte, sonst wäre ein 0:2-Pausenrückstand unvermeidbar gewesen.
Schalke musste reagieren. Folgerichtig löste Huub Stevens die Doppel-Sechs aus Matip/Höger auf, beorderte Höger auf die rechte Abwehrseite und ließ Atsuto Uchida, dem offensiv gar nichts gelingen wollte und der sich defensiv bereits früh die gelbe Karte gefangen hatte, in der Kabine. Vor allem aber brachte er mit José Manuel Jurado im Mittelfeld einen Spieler, der Ballsicherheit mitbrachte und das Geschehen von den Außenbahnen ins Zentrum holte. Jurado brauchte ein paar Minuten Anlaufzeit, doch plötzlich zündete die Einwechslung. Schalke agierte nun zwingender, war nicht mehr so leicht auszurechnen und schaffte es immer häufiger, die Kölner Doppelabwehrkette zu perforieren. Dabei profitierte man auch davon, dass Köln in der ersten Halbzeit einen hohen läuferischen Aufwand betrieben hatte und nun langsam aber sicher abbaute.
Exakt in dieser Phase schlug Schalke gnadenlos zu. 22 Minuten reichten aus, um aus einem 0:1 ein 4:1 zu machen. Den beiden ersten Treffern durch Marica gingen jeweils geschickte Spielverlagerungen von Jurado voraus. Bei den weiteren beiden Toren wurde dann gepflegtes Kurzpassspiel zelebriert. Köln brach auseinander weil Schalke nicht damit aufhörte, die Sollbruchstellen der Gastgeber zu bearbeiten. Natürlich fiel der Sieg am Ende um ein Tor zu hoch aus und natürlich ist es Schwachsinn, einen Trikotzupfer im Strafraum mit einem Elfmeter und zusätzlich einer Roten Karte zu bestrafen. Dennoch kommt man nicht umhin festzustellen, dass Schalke einmal mehr herrlich unaufgeregt seine Qualitäten ausgespielt hat.
40 Punkte nach 19 Spieltagen – es wird einige Mannschaften in der Liga geben, die bis zum letzten Match sehnsuchtsvoll auf diese magische Marke schauen werden. Im Windschatten von Bayern und Dortmund fühlen sich die Königsblauen derzeit pudelwohl. Zusammen mit Gladbach marschieren die vier Top-Teams der Liga fröhlich weiter. Ganze 9 Punkte und 22 Tore trennen Schalke nun schon vom ersten Nicht-CL-Quali-Rang. Bis zum ersten Nicht-Europa-League-Rang sind es erstaunliche 13 Punkte und 24 Tore. Was aber noch viel wichtiger ist: Schalke spielt derzeit immer häufiger auch einen echt feinen Ball. Es macht Spaß in diesen Tagen die Fahnen der Blau-Weißen zu schwingen. Weiter so!
Mehr zum Spiel und zum Schalker Selbstverständnis im Windschatten der großen Titelfavoriten schreibt die „taz“.
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10 Kommentare zu “Jurado dirigiert die „Tschippie-Show“ in Köln”
Ich fasse es nicht: ich bin der erste Kommentator.
Aber kommen wir zum wesentlichen: Trotz aller Freude über diese grandiose 2. Halbzeit, darf man auch die 1. Hälfte nicht vergessen. Vorallendingen in der Defensive sollte man auf jeden Fall noch arbeiten, also dass die Jungs früher angreifen und nicht den Gegner, wie du schon sagtest, „eskortieren“.
Ich wünsche noch einen angenehmen Tag.
Gruß Hütte04
Meine Tochter (5) behauptet, die Schalker würden nur deswegen „in rosa“ spielen, um sie als Fan zu gewinnen. Jurado brauchte jedenfalls immer erst ein paar Sekunden, um nach Ballannahme seine seltsam gekleideten Mitspieler zu identifizieren. Zum Glück verschafft er sich mit seiner Ballkontrolle immer etwas Zeit, um den richtigen Adressaten für seinen Pass zu finden.
Und doch: Es wirkt auf mich so als glaube er, mit jedem Ballkontakt etwas Besonderes leisten zu müssen. Er spielt selten den „einfachen Pass“, der manches Mal effizienter wäre. Für mich ein sicheres Anzeichen dafür, dass er unbedingt etwas beweisen will und darüber verkrampft. Ich denke, wäre Jurado Stammgast auf dem Schalker Grün, würde das anders werden. Künstlern muss man ein dauerndes Schaffen ermöglichen, die kann man nicht bei gelegentlichem Bedarf aus der Besenkammer holen.
PS Ach so, Señor Raúl, wo wir gerade über Vertragsverlängerung sprechen: Wir können notfalls auch ohne dich.
Guter Bericht, wie ich finde. Ich finde unseren aktuellen Vorsprung auf Platz 5 und Platz 7 auch beeindruckend. Dies sollte uns die nötige Ruhe geben um im Windschatten weiter dran zu bleiben.
Und wer weiß, was dann dieses Jahr noch alles möglich ist…
Sehr schön Matthias, so wird das WE rund 😉
@Diego_04: Dass wir, nur weil uns eine gute 2. HZ in Köln gelungen ist, notfalls auf Señor Raúl verzichten könnten, teile ich nicht nur nicht, sondern halte es für zu undifferenziert.
Außerdem wüsste ich auch nicht, warum es ohne Raúl gehen können sollte? Wer selbst seine Vertragsverlängerung so respektvoll führt wie er, hat auch unsere Wertschätzung verdient. Meine zumindest.
Ja. In den ersten Minuten nach seiner Einwechslung suchte Jurado in der Tat die Gegenspieler, um diese im Dribbling schlecht aussehen lassen zu können. Doch das änderte sich nach etwa zehn Minuten. Da trennte er sich plötzlich schneller vom Ball und suchte die Mitspieler – nicht mehr den Gegner. Genau deshalb wurde er so wertvoll. Ich hoffe, jemand zeigt Jurado seine Halbzeit in Köln noch einmal auf Video und macht ihn genau auf diesen Umstand aufmerksam. Vielleicht fällt dann der Groschen auch nachhaltig.
War es nicht sogar ein Beinchen, das Julian Draxler da gestellt bekam? Oder erinnere ich mich da falsch? Da darf man schon mal stolpern. Vor allem hat dadurch Huntelaar auch wieder getroffen. 🙂
Ansonsten ein schöner Bericht.
@Malaoshi
Pardon, das habe ich unglücklich formuliert. Ich bin mehr als 1904% bei dir und schätze diesen Spieler und Menschen seit vielen Jahren über alle Maßen. Du kannst indes sicher sein, im Falle einer Niederlage hätten wir heute gelesen: „SCHALKE – ERFOLG ABHÄNGIG VON RAUL“. Für alle ist es gut zu wissen, dass es auch ohne ihn geht. Dass wir zugleich alle wollen, er möge noch ein weiteres Jahr dranhängen, ist davon unberührt.
@Diego_04: Tenemos un consenso al respecto! 🙂
@malaoshi
😉 me alegro
Mahlzeit!
Wieso nur ein Jahr für Raul? Der Mann ist mind. gut für 2.
Spätestens in der CL werden wir den Mann brauchen.
Ansonsten gebe ich zu bedenken, daß es nur der 1. FC Köln gewesen ist,
der besiegt werden mußte.
Man könnte davon ausgehen, daß es knapp zweistellig geworden wäre, wenn wir alle Spieler zur Verfügung gehabt hätten, oder?! 😉
In diesem Sinne
Glückauf