Obwohl und deshalb: Danke Bilbao!
Drei Tage Bilbao liegen hinter Sarah, der besten Schalkefrau von allen, und mir. Von Mittwoch bis Freitag begleiteten wir das Team in die größte Stadt des Baskenlandes. „Das Team begleiten“ ist wörtlich zu nehmen, denn über ein Gewinnspiel waren wir an eine VIP-Reise geraten und fanden uns in einer Parallelwelt inmitten der Schalker Delegation im Mannschaftshotel wieder. Es wird mir kaum gelingen, die gesamten Reiseeindrücke in erträglicher Länge in Worte zu fassen, aber ich will dennoch versuchen, die letzten Tage würdig Revue passieren zu lassen. Mitgebracht haben wir jede Menge Fotos von einer Reise, die ich zu den Highlights meines bisherigen Fan-Daseins zählen kann. Das lag nicht nur an der ungewohnten Nähe zur Mannschaft und dem für mich als „Normalo“ irrealen Luxus der Incentive-Reise, sondern auch an einer Gastgeberstadt, deren Bewohner mein Herz im Sturm erobert haben. Sämtliche Fotos lassen sich mit einem Mausklick vergrößern. Ich muss jedoch entschuldigend vorweg schicken, dass die Bilder zum Teil unscharf sind, da sie oftmals in äußerst lichtschwacher Umgebung entstanden.
Mittwoch, 4. April 2012
Morgens um fünf klingelt in Münster der Wecker. Als wir gegen 7.30 Uhr das Geschäftsstellen-Gelände in Gelsenkirchen erreichen, sind wir die ersten Reiseteilnehmer, die sich unter dem rotierenden Schalke-Wappen eingefunden haben. Die Arena liegt noch im morgendlichen Dunst und ist nur schemenhaft zu erkennen. Wir treffen Andrea und Stefan, die das „Mannschaftsflieger-Fanpaket“ gebucht haben. Wir „kennen“ uns bereits über Twitter, doch das persönliche Treffen ist natürlich viel angenehmer. Um 8.30 Uhr starten zwei Busse in Richtung Flughafen Düsseldorf. Mit an Bord ist auch die Schalker U18-Mannschaft, die ein Freundschaftsspiel gegen den Nachwuchs von Athletic bestreiten (und 1:3 verlieren) wird. Am Flughafen erhalten wir unsere Reiseunterlagen, Fanschals und ein Infopaket. Zum ersten Mal in meinem Leben checke ich bei einem Flug-Auswärtsspiel des FC Schalke nicht am Counter eines Billig-Fliegers ein, sondern unter dem leuchtenden Vereinswappen.
Am Abflug-Gate hat der Verein zu einem Imbiss geladen. Ich hatte ein paar Schnittchen und einen Kaffeeautomaten erwartet. Stattdessen empfängt uns ein ausgewachsenes Frühstücksbuffet. Nach und nach füllt sich der Raum. Fans, Medienvertreter, Mitarbeiter des FC Schalke und schließlich auch die Mannschaft treffen ein. Die mitreisenden Journalisten einigen sich auf dem kurzen Dienstweg mit Schalkes Pressesprecher Thomas Spiegel darauf, Joel Matip zu interviewen. „Der ist zwar manchmal etwas schüchtern vor der Kamera, aber er spricht so schön deutlich und außerdem war er als einziger deutschsprechender Spieler beim 2:5 in Mailand dabei“, erklärt mir ein Pressemensch auf meine Frage, warum die allgemeine Wahl so schnell auf Matip gefallen sei. Vor dem Interview erklärt Thomas Spiegel noch, wie der Kader für Bilbao aussehen wird. Christian Fuchs und Julian Draxler werden demnach nicht mitfliegen. Fuchs sei angeschlagen und Julian Draxler erhalte eine schöpferische Pause. „Und versucht da bitte nichts hineinzuinterpretieren. Der Junge ist gerade 18 Jahre alt und wir müssen ihn einfach vor zu großer Belastung schützen“, gibt Spiegel den Pressevertretern noch mit auf den Weg und erhält dabei allgemeine Zustimmung.
Die Tore des Gates öffnen sich. Mit Bussen werden wir zur Condor-Maschine gebracht. „Guten Morgen liebe Schalker, hier spricht euer Kapitän – na dann wollen wir mal nach Bilbao fliegen“, lautet die offizielle Begrüßung. Was mir im Flugzeug sonst noch auffällt ist, dass ein internationales Auswärtsspiel für die mitreisenden Journalisten alles andere als eine Vergnügungstour ist. Kaum hat die Maschine die Reiseflughöhe erreicht, werden die Notebooks gezückt, Videos von der Abreise geschnitten, erste Fotos selektiert und Wortberichte verfasst.
In Bilbao angekommen geht die Fischerei am Gepäck-Ausgabeband los. Eine der ersten Taschen ist die von Sarah und mir, doch ich lasse sie an mir vorbeifahren, weil ich mich nicht daran erinnern kann, dass die Oberfläche weiß war. Erst als die Tasche ein zweites Mal an uns vorbeifährt überkommt mich ein Verdacht und – Richtig! – Sarahs Handcreme im Spender hat sich selbstständig gemacht. Der Creme-Schaden innerhalb der Tasche hält sich zum Glück in Grenzen und lässt sich mit zwei Packungen Papiertaschentüchern beheben.
Am Gepäckband sind alle gleich. Mit Ausnahme von Raúl. Die gesamte Belegschaft des Flughafens scheint sich am Rollband eingefunden zu haben und bittet um ein Foto mit dem Volkshelden. Es ist nur ein vager Vorgeschmack auf das, was sich im öffentlichen Bereich des Flughafens abspielen wird. Kaum hat sich die Schiebetür geöffnet blicke ich in gut und gerne zehn TV-Kameras und 30 Foto-Objektive. Durch ein Spalier der martialisch-vollvermummten spanischen Polizei (die Ordnungshüter sehen aus wie Ninjas mit Schlagstöcken) geht es durch die Masse von etwa 200 wartenden einheimischen Fans. Kurz vor dem Ausgang drehe ich mich um und merke, dass Jefferson Farfán mich als Sichtschutz benutzt hat, um halbwegs unerkannt durch die Menge zu schlüpfen. Gern geschehen, Jeff.
Deutsche Medien, das las ich später im Hotel, haben die Ankunft der Schalker als „tumultartig“ beschrieben. Dieser Darstellung muss ich widersprechen, denn einen Tumult hat es wirklich nicht gegeben. Natürlich hörte man ein langgezogenes „Raúl“ und auch viele stakkatoartige „Rullo, Rullo, Rullo!“-Rufe als der Señor über den kurzen Flughafen-Vorplatz marschierte, aber alles blieb gesittet. Wenn überhaupt, dann hat das übereifrige Auftreten der wild schubsenden Polizei für etwas Hektik gesorgt. Doch den Fans am Flughafen ist absolut nichts vorzuwerfen.
Die Fahrt zum Mannschaftshotel in der Stadt dauert keine 15 Minuten. Für die ersten Impressionen von Bilbao reicht die Fahrt dennoch aus. Die deutschsprachige Reiseleitung versorgt uns mit den ersten Infos zur Stadt. Jeder zweite Satz beginnt dabei mit den Worten „Der internationale Star-Architekt …“.
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Die Mannschaft war schneller als wir. Während das Team durch den Hintereingang das Hotel betreten hat und die ersten Autogrammjäger schon abziehen, checken wir im „Gran Domine“ direkt gegenüber des Guggenheim-Museums ein. Wir wohnen Tür an Tür mit Manni Breuckmann, der Sarahs Fotowunsch gerne nachkommt. Während der Blitz der Kamera lädt wechsele ich ein paar Worte mit ihm und erinnere an das Schalker Auswärtsspiel gegen Brondby Anfang der 2000er-Jahre, als Breuckmann auf dem Marktplatz Kopenhagens von einigen hundert Schalker Fans belagert wurde. Wir sind uns einig, dass Kopenhagen eine ganz besondere Tour war.
Vor dem Sektempfang nutzen Sarah und ich die Gelegenheit, zumindest das direkte Umfeld des Hotels zu erkunden. Vor dem Guggenheim-Museum steht der „Puppy“, eine überdimensionale Welpen-Skulptur, die mit Blumen bepflanzt ist. Der „Köter“ wird sich später als das sicherlich beliebteste Fotomotiv aller Schalker Fans herausstellen.
Beim Sektempfang haben Sarah und ich den ersten tiefer gehenden Kontakt zu dem, was „wir Normalo-Fans“ gerne etwas abwertend als „die Champagner-Fans“ titulieren. Es dauert keine 20 Sekunden, schon ist man miteinander warm geworden. Schalke verbindet. Selbst wenn ich wollte könnte ich kein einziges böses Wort über die zahlenden VIP’s (wir waren ja nur „reingerutschte VIP’s“) schreiben, denn ausnahmslos alle, mit denen wir uns auf der Fahrt unterhalten haben, waren durch und durch Schalker. Wir in der Kurve, die in den Logen – aber alles Schalker und vor allem sofort auf „Du und Du“! Man tauscht sich aus. Wie ist das, wenn man mit dem Fanbus zum Spiel fährt? Wie sind die Leute in den Logen so drauf? Stimmt es, dass die Stadionordner auf Auswärtsfahrten häufiger überreagieren? Wie habt ihr 1997 die magische Nacht von San Siro erlebt? Als der Sektempfang endet, machen sich die Spieler in der der Hotelbar angrenzenden Lobby gerade auf den Weg zum Abschlusstraining auf. So entstehen die folgenden Fotos.
Jefferson Farfán ist dabei überaus volksnah. Es scheint fast so, als suche er geradezu Leute, denen er die Hand schütteln kann. Andere Spieler sind schneller wieder verschwunden. Doch die Abfahrt des Mannschaftsbusses zieht sich dennoch hin. Plötzlich huscht Sergio Escudero noch einmal durch die Lobby und taucht ein paar Minuten später mit Jose Manuel Jurado wieder auf. Später erfahren wir, dass Jurado die Siesta zu sehr ausgedehnt hat. Anders ausgedrückt: Er hat verpennt.
Auch wir fahren mit zwei Omnibussen zum Stadion San Mamés. Die Reiseleiterin – eine in Sachen Bilbao und das Baskenland sehr kompetente, in punkto Fußball aber fürchterlich unkundige Dame namens Martina – sagt uns, dass vielleicht 100 oder 150 Zuschauer das Abschlusstraining besuchen werden. Sie irrt sich. Grob geschätzt knapp 3000 Zuschauer drängen sich vor dem einzigen geöffneten Tor des arg in die Jahre gekommenen Stadions. Als wir endlich einen Platz auf der Haupttribüne gefunden haben, ist das Training schon fast vorbei und die Mannschaft übt Torschüsse. Jeder Treffer wird dabei von den zumeist jugendlichen baskischen Fans mit lauten „Oh’s!“ und „Ah’s!“ bedacht. Doch immer dann wenn Raúl den Ball aus vier Metern ins leere Tor schiebt, bricht das ganze Stadion in nahezu grenzenlosen Jubel aus.
Nach dem Abschlusstraining folgt der letzte Tagesordnungspunkt für alle VIP-Reisenden: ein gemeinsames Abendessen in einem baskischen Restaurant. Wobei „Abendessen“ arg untertrieben ist. Geboten wird uns ein vierstündiges Dinner mit zahllosen Gängen und Zwischengängen. Eigentlich wollten Sarah und ich nach dem Essen noch das Nachtleben erkunden, doch als das Event erst weit nach 23 Uhr beendet ist, entschließen wir uns zusammen mit den anderen die Hotelbar aufzusuchen. Dort lassen wir den Tag mit vielen netten Gesprächen ausklingen. Ach ja: Und Sarah verliert in der für sie ungewohnten Disziplin „Whisky-Cola-Trinken“ gegen Rolf Rojek deutlich. Sie wird es am nächsten Morgen bitter bereuen.
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Donnerstag, 5. April 2012
Der Spieltag beginnt mit dem bangen Blick nach draußen und einer Enttäuschung: In Bilbao hat sich Münsteraner Meimelwetter eingestellt. Durch die tief hängenden Wolken dringt kaum Helligkeit, dafür dringen dicke Regentropfen aus den Wolken heraus. Im Guggenheim-Museum, das wir nach dem Frühstück besuchen, bekommen wir davon zum Glück wenig mit. Als wir nach zwei Stunden Besichtigungstour wieder die Außenwelt betreten hat sich das Wetter „gebessert“ – es nieselt nur noch.
Mit dem Reisebus werden wir an den Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbeigefahren. Dazu gibt es kompetente Erklärungen der Reiseleitung. Als uns der Bus nach einstündiger Rundfahrt im historischen Zentrum ausspuckt bin ich mir sicher, dass es in Bilbao kein Trafohäuschen und kein öffentliches Pissoir gibt, das nicht von einem „absoluten internationalen Star-Architekten“ gebaut wurde. Bernd, der für den Facebook-Auftritt von Gazprom-Sport die Reise begleitet, stellt schließlich die ketzerische Frage, die auch mir längst auf der Zunge brennt: „Wenn man einer strukturschwachen postindustriellen Stadt mit einer Arbeitslosenquote von fast 50 Prozent neues Leben einhauchen kann, in dem man ein paar zig Milliarden Euro in Bauprojekte investiert – wieso kommt dann eigentlich im Ruhrgebiet niemand auf diese einfache Idee?“ Damit mich niemand falsch versteht: Nichts gegen Bilbao, nichts gegen den Bilbao-Effekt. Aber irgendwann nervte die Lobhudelei auf die „Neuerfindung der Stadt durch absolute internationale Star-Architekten“.
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In der Stadt fällt auf: Bereits gegen Mittag sind die Straßen voll von Menschen im Athletic-Trikot. Vater, Mutter, Opa, Oma und viele, viele Kinder – alle in rot-weiß. Auch die Häuser werden von tausenden rot-weißen Flaggen geziert. Rot und weiß sind übrigens nur die Farben von Athletic. Die baskische Farbe ist grün. In Bilbao steht eine Stadt wirklich komplett hinter ihrem Club. Bewundernswert!
Was im Anschluss an die Stadtführung als ein Mittagessen angekündigt war stellte sich erneut als ein opulentes Festmahl heraus. In einem urigen Restaurant mit regem Kneipenbetrieb wurden wir wieder mit zig Gängen und Zwischengängen verwöhnt. Noch mehr als die regionalen Spezialitäten beeindruckten aber die beiden riesigen „Sidra“-Fässer am Eingang. Durch den kleinen Zapfhahn schoss der Apfelwein mit derartig viel Druck, dass der Strahl in einem Holzeimer ca. zweieinhalb Meter vom Fass entfernt mündete. Wer ein Getränk wollte, bestätigte den Zapfhahn und hielt sein Glas in den Strahl.
Gegen 16 Uhr erreichten wir wieder das Hotel, vor dem sich bereits die übliche Raúl-Mania abspielte. Sarah und ich wechselten von Ausgeh- auf Stadionkluft und warfen uns endlich in das bunte Fantreiben rund um das Mannschaftshotel. Nach und nach strömten Schalker Fans aus allen Himmelrichtungen herbei. Auch Fans von Bilbao feierten ausgelassen und ohne Berührungsängste mit den Blau-Weißen. Es entwickelte sich schnell eine Stimmung, die ich kaum beschreiben kann. Warm, herzlich, innig, friedlich, ausgelassen, kreativ, familiär – diese und viele weitere Attribute fallen mir ein, können das Treiben aber nicht mal im Ansatz erklären. Wir ließen uns treiben und wechselten immer dann den Standort, wenn die jeweils nächstgelegene Taverne das „Leergetrunken-Schild“ vor den Zapfhahn hängen musste. Nach und nach konzentrierte sich alles in den engen Gassen rund um das Stadion. Und auch hier sahen wir ganze Familien, die sich auf das Spiel freuten. Je jünger die Kinder waren, desto mehr waren sie in Athletic-Farben gehüllt. Und je mehr Kinder eine Familie im Schlepptau hatte, desto leichter kam man ins Gespräch.
Inmitten dieser ganz besonderen Atmosphäre brach der „Marsch“ der Schalker Fans wie ein Unwesen aus einer anderen Welt. Ich unterhielt mich gerade mit einer Grüppchen von Athletic-Fans, als die Gruppe von ca. 300 Schalkern sich im Gleichschritt den Weg durch die feiernde Masse bahnte. „What is this? Why are they marching like military? This is not war, this is football! Can’t they see that the families are frightened?” fragte mich ein Bilbao-Anhänger und ich wusste einen Moment lang nicht, was ich ihm antworten sollte. Um ganz ehrlich zu sein, war ich in diesem Augenblick sogar beschämt und befürchtete, dass die Stimmung kippen könnte. Sie kippte glücklicherweise nicht, weil die Einheimischen dem fremdartigen ultraesken Ritual einfach mit überbordender Freundlichkeit begegneten.
Das Viertel rund um das Stadion ist eine einzige Fanmeile. Jeder Winkel ist geschmückt mit Wimpeln von Athletic. Doch auch das Schalker Wappen war allgegenwärtig. Ich hatte extra einen Fanclub-Schal zum Tauschen mitgenommen, der nur Sekunden nach meinem Eintreffen einen glücklichen Abnehmer fand. Überall wurden Getränke verkauft (die Einwohner Bilbaos trinken vor Fußballspielen übrigens vornehmlich einen Rotwein-Cola-Mix) und das zu äußerst zivilen Preisen. Für einen gekühlten Sixpack „San Miguel“ bezahlten wir an einem Kiosk direkt vor dem Stadion schmale 6,60 Euro. Ich weiß nicht, auf wie vielen Fotos Sarah und ich inmitten von feiernden Basken festgehalten wurden. Ich habe nach einem Dutzend Anfragen aufgehört zu zählen. Ach ja: Und gekifft haben die Fans von Bilbao wie die Weltmeister. Das letzte Mal, dass ich die Luft derart Marihuana-geschwängert gerochen habe, war auf einem „Philip Boa and the Voodooclub“-Konzert Anfang der 90er in einem Kellerschuppen in Siegen.
Zum Spiel selber kann und möchte ich gar nicht viel schreiben. Zum einen weil die Ereignisse auf dem Rasen nun auch schon zwei volle Tage zurückliegen, zum anderen weil ich noch zu sehr mit der Verarbeitung der Erlebnisse drumherum beschäftigt bin, um ein fachliches Urteil formulieren zu können. Wenn man mich dennoch fragt: Ich fand den Schalker Auftritt nicht schlecht. In der ersten Halbzeit hatte ich rund um das 1:0 für S04 das Gefühl, als könne das Wunder wirklich noch wahr werden. Auch nach dem 2:1 lebte die Hoffnung noch in mir weiter. Doch je länger die Partie danach 2:2 stand, desto mehr musste man anerkennen, dass man Bilbao kein Bein stellen konnte. Torsten Wieland urteilt im Königsblog sehr hart über den Schalker Auftritt. Vielleicht hat er damit recht. Ich habe es jedoch anders empfunden und finde sehr wohl, dass Schalke sich anständig aus dem Wettbewerb verabschiedet hat.
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Als wir das Stadion nach Spielende verlassen kommt es zu einer unglaublichen Situation. Auf dem Weg zum Shuttlebus müssen wir uns den Weg durch die feierenden Bilbao-Fans bahnen. Als diese uns erspähen bilden sie wortlos eine Gasse, lassen uns passieren und fangen an zu applaudieren. Zunächst sind es nur vereinzelte Klatscher, die durch die plötzliche Stille dringen, doch kurz darauf klatscht der gesamte Stadionvorplatz. Es war ein ehrlich gemeinter Applaus, in dem kein bisschen Häme mitschwang – und auch kein Mitleid. Es war ein Applaus der „Danke für diesen tollen Abend – seid stolz auf euch und euer Team und behaltet uns in guter Erinnerung“ ausdrückte. Es läuft mir kalt den Rücken herunter wenn ich diese Szenerie schildere. Ich renne seit mehr als einem Vierteljahrhundert ins Stadion – doch so etwas habe ich noch nicht erlebt. Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich den Bilbao-Fans für diese einzigartige Erfahrung bin.
Zurück im Hotel war das unglaubliche Verhalten der Athletic-Anhänger das Gesprächsthema Nummer Eins. Beim Mitternachtssnack, der nahtlos in einen langgezogenen Abschlussdrink in der Hotelbar überging, waren sich alle einig, dass es zwar schade ist in einem Viertelfinale auszuscheiden, dass man es aber deshalb gut verknusen kann, weil es in dieser Nacht von Bilbao geschah.
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Freitag, 6. April 2012
Die Nacht war lang. Oder kurz. Je nachdem, aus welcher Perspektive man es betrachtet. Um 9.00 Uhr sollte unser Shuttlebus zum Flughafen abfahren, um 8:21 Uhr wachte ich auf und stand nach dem Blick auf den Wecker senkrecht im Bett. Es grenzt an ein Wunder, dass Sarah und ich in der nachfolgenden Panik-Attacke nicht unseren halben Hausstand in Bilbao vergessen haben, aber wir schafften es tatsächlich pünktlich zum Check-Out. Am Flughafen mischte sich unsere VIP-Reisegruppe wieder mit den Schalkern, die im Fan-Hotel in der Innenstadt untergebracht waren. Die meisten von ihnen hatten in der Nacht kein Auge zugemacht und stattdessen mit Athletic-Fans in privaten Kellerbars weitergefeiert. Mit einem angesammelten Schlafdefizit von locker 15 Stunden verteilt über die drei Tage kämpften Sarah und ich uns durch den Check-In und waren froh im Flugzeug endlich ein paar Minuten Schlaf nachholen zu können. Am Düsseldorfer Flughafen ging dann alles viel zu schnell. Wir verabschiedeten uns von den Menschen, die uns in den letzten Tagen ans Herz gewachsen waren und die ich nie wieder abwertend als „Champagner-Fans“ bezeichnen werde, weil sie definitiv dieselbe Leidenschaft wie alle Schalker in der Nordkurve in sich tragen. Auf den allerletzten Drücker hatte es Sarah übrigens noch geschafft, einen Brief von Julia, einem jugendlichen Mitglied aus unserem münsterschen Fanclub, an Lewis Holtby zu übergeben und Julias Fahne mit persönlicher Widmung signieren zu lassen.
Als wir in Gelsenkirchen ankamen verließen die ersten Spieler gerade das Gelände der Geschäftsstelle. Auch wir brachen kurz darauf auf, erreichten gegen 15.00 Uhr Münster und fielen in einen 20stündigen komatösen Schlaf.
Ja, es war ein wirklich unvergessliches Erlebnis. Sarah und ich werden uns eine ähnliche Reise unter normalen Gesichtspunkten wohl in absehbarer Zeit niemals leisten können, schließlich haben Selbstzahler rund 1200 Euro pro Person dafür auf den Tisch legen müssen. Aber wir sind wild entschlossen uns in der nächsten Saison zumindest die Teilnahme am „normalen“ Fantross zu einem internationalen Auswärtsspiel vom Alltag abzusparen. Bis es soweit ist grüßen wir all‘ die tollen Menschen, die wir in den letzten Tagen kennenlernen durften. Lasst mal wieder von euch hören!
Abgelegt unter Reisen bildet,Schalke
8 Kommentare zu “Obwohl und deshalb: Danke Bilbao!”
Hier geht’s zu den Bildern von Matthias Berghöfer aus Bilbao in zwei öffentlichen Facebook-Alben (Teil 1 | Teil 2)
Tja, was soll ich groß drumherum reden: Vom Meister um Längen geschlagen 🙂
Danke für den Bericht. Trotz wenig Schlaf (20-Stunden-Busfahrt olé) und schlechtem Wetter am Spieltag eine wunderbare Fahrt, deren Höhepunkt tatsächlich die Bilbao-Fans nach dem Spiel waren. Ich konnte es im ersten Moment auch nicht fassen, aber als die Blocksperre aufgehoben wurde und wir den Gästesektor verlassen durften, standen draußen wohl mehrere hundert Athletic-Fans und applaudierten. Eine unglaubliche Stimmung, die ich so noch nicht erlebt habe.
Hallöchen,
ich hab in diesem Forum noch nie etwas von mir hören lassen, verfolge semtliche Berichte und Artikel allerdings schon seit etlichen Monaten…
Aufgefallen ist mir, dass hier selten so emmotional berichtet wurde!
Eine Frage, in Bezug auf die gastfreundliche und weltoffene Art, drängt sich mir allerdings auf.
Bist du davon überzeugt, dass die Stimmung rund ums Spiel bei einem 4:2 für Schalke nach dem Hinspiel, die selbige gewesen wäre? Oder wäre die doch stolze und vielleicht auch fanatische Mentalität der Basken dafür ein Hindernis gewesen?
Ich war leider nicht vor Ort, kann mir deshalb kein Bild davon machen…
Respekt an die Fans von Bilbao, wenn diese auch als Sieger noch solche Größe zeigen können.
Da könnte sich so manche primatenartige Fangruppierung eine Scheibe von abschneiden. Von so einem Verhalten sind wir in Deutschland (leider) noch Jahre entfernt.
Das weiß ich natürlich nicht und ich möchte auch gar keine Mutmaßungen anstellen. Nichts desto trotz gibt es natürlich gerade im Fußball sehr viele schlechte Gewinner. Die Fans von Athletic haben sich das exakte Gegenteil herausgestellt. So werde ich sie in Erinnerung behalten.
danke für das teilhaben-lassen 🙂
Was leon sagt.
Hallo Matthias!
Sehr schöner Bericht!
Freue mich schon wenn wir uns gegen Berlin wiedersehen!
Glück Auf