Rezension: Die Rudi-Assauer-Biographie (Hörbuch)
Über kein Buch wurde unter Fußballfans in den letzten Monaten kontroverser diskutiert, als über die Rudi-Assauer-Biographie „Wie ausgewechselt – Verblassende Erinnerungen an mein Leben“. Das Meinungsspektrum reichte von „gewissenloser Geldmacherei“ über „Ein letzter Tanz mit dem Boulevard“ bis hin zu „Ein bewegendes Werk, das Alzheimer-Patienten und ihren Angehörigen Mut machen wird“. Das Besondere dabei war, dass diese Meinungen oft bereits feststanden, bevor das Buch überhaupt veröffentlicht worden war. Mittlerweile ist es ruhiger geworden. Aus den einschlägigen Bestsellerlisten, die die Biographie in den ersten Wochen nach der Veröffentlichung erstürmt hatte, ist „Wie ausgewechselt“ schon längst wieder verschwunden. Der Hype währte kürzer als man es im Frühjahr vermuten konnte. Aber wie ist es denn nun wirklich, dieses viel diskutierte Buch? Ich war ehrlich gespannt, als ich vor ein paar Wochen das Rezensionsexemplar der Hörbuch-Variante in meinem Briefkasten fand.
Der Sportjournalist Patrick Strasser, der Rudi Assauers Lebensgeschichte aufzeichnete, hat sauber nach Regieplan gearbeitet. Rudi als Spieler beim BVB und bei Werder Bremen, als Jung-Manager an der Weser, als zunächst gescheiterter Hoffnungsträger bei S04, als Lebemann beim VfB Oldenburg und schließlich als „Mister Schalke“. Die Kapitel des fußballerischen Schaffens von Assauer werden schön chronologisch abgearbeitet. Patrick Strasser hat sich redliche Mühe gegeben, ein Grundgerüst zu schaffen, das – so ist es bei Promi-Biographien üblich – anschließend im persönlichen Gespräch mit dem Protagonisten verfeinert und mit Leben erfüllt wird. Doch dann kam Assauers Erkrankung dazwischen.
Man merkt es der Biographie an allen Ecken und Enden an, dass Strasser eines Tages feststellen musste: „Mist, mit dem Assauer, da stimmt doch irgendetwas nicht!“ Je länger die Episoden zurückliegen, desto größer sind die Lücken, die die nicht vorhandenen Äußerungen Assauers hinterlassen. Der ausführlich behandelte BVB-Europapokalsieg von 1966 beispielsweise muss beinahe gänzlich ohne eine persönliche Erinnerung auskommen. Stattdessen springen die ehemaligen Weggefährten ein und schildern ihre Sichtweisen. Hier noch ein wenig atmosphärisches Drumherum („Dichter Nebel empfängt die Dortmunder Delegation in Glasgow“), da noch ein paar Beschreibungen von historischen Pressefotos („Am Abend nach dem Triumph stehen die Spieler mit dem Pokal in der Hand am Flussufer“) – mit diesen Kunstgriffen meistert Patrick Strasser derartige Passagen. Und doch spürt man hier in jeder Minute, dass der Autor selbst wahrscheinlich am meisten davon enttäuscht war, nicht wirklich mehr tun zu können, als aus Vereinschroniken zu zitieren.
Je länger ich mir das Hörbuch vorlesen lies, desto deutlicher erkannte ich die klare Marschroute: Ein Thema, eingeleitet durch ein Kurz-Statement von Assauer, meistens in etwa so: „Ja, ja, das war eine Zeit. Sowas erlebst du heute ja gar nicht mehr! Verrückt!“ Dann das Thema selbst, oft sehr blumig ausgeschmückt und mit vielen Zitaten von Weggefährten bereichert. Dann Assauers abschließendes Statement, in etwa so: „Ja, ja, das war eine Zeit. Sowas erlebst du heute ja gar nicht mehr! Verrückt!“
Trotz dieser – so habe ich es zumindest empfunden – stilistischen Schwäche ist „Wie ausgewechselt“ dennoch ein gutes Fußballbuch. Der Schalker UEFA-Cup-Sieg in Mailand, die Vier-Minuten-Meisterschaft, der Bau der Arena – gerade die Schalker Episoden werden besonders ausführlich behandelt. Wirklich Neues erfährt man als einigermaßen informierter Schalke-Fan da natürlich nicht, aber das ist wohl eher der „Berufskrankheit“ eines Fans geschuldet. So, Deckel drauf auf das Thema „Fußballbuch“ – es gibt da ja noch den anderen Aspekt: das Thema Alzheimer.
Wie eine Klammer umfasst die Krankheit das Buch. Das Thema taucht einmal am Anfang auf und dann wieder am Ende. Der Rest ist alzheimerfreie Zone. Bereits im ersten Kapitel erfährt man, dass Rudi Assauer es „scheiße“ findet, dass „die Birne“ nicht mehr mitmacht. Wer eine medizinische Abhandlung zu Demenz-Erkrankungen oder einen Angehörigen-Ratgeber erwartet, wird schnell feststellen, dass ihm mit „Wie ausgewechselt“ nicht geholfen wird. Aber muss das überhaupt sein? Kann eine Promi-Biographie, die mit dem klaren Auftrag den Sportler und Manager Rudi Assauer zu beschreiben angetreten ist, dies überhaupt leisten? Ich finde nicht! Vielleicht – nein, ganz sicher sogar – wurden einfach viel zu große Hoffnungen in das Buch gesetzt, sicherlich auch gezielt zu Vermarktungszwecken geschürt. Wenn ich vorher überhaupt nichts über Alzheimer gewusst hätte, was hätte ich aus dem Buch gelernt? Dass es was „mit’m Kopp“ zu tun hat und ich es „scheiße“ fände, wenn meine „Birne“ nicht mehr mitmachte. Ganz genau so, wie Rudi Assauer es sagt.
Gesprochen wird das Hörbuch von Rolf Berg. Mit Ausnahme von ein paar kleineren Ablesefehlern – beispielsweise wird aus „Block I“ im Parkstadion fälschlicherweise „Block 1“ – macht er seinen Job gut. Ein bisschen störend empfand ich, dass er die Textstellen, die Assauer-Zitate darstellen, arg kernig und zu bemüht im Assauer-Style intoniert. Allerdings fanden viele WDR-2-Hörer bis vor kurzem auch Fritz Eckengas Assauer-Parodie witzig und originell – so gesehen gestehe ich ein, dass mein Geschmack wohl nicht maßgebend ist. Als Bonus enthält das Hörbuch neben persönlich gesprochenen Vorworten von Rudi Assauer und Huub Stevens auch noch zwei Interviews mit den beiden.
„Wie ausgewechselt“ ist gediegene Sportlerbiographie- Hausmannskost. Keinesfalls ein überragendes Werk, über das man auch in zehn Jahren noch reden wird, aber auf jeden Fall eine schöne abschließende Würdigung von Rudi Assauers öffentlichem Wirken. Kurz nach der Buchvorstellung hat dieser angekündigt, sich gänzlich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen. So gesehen hat das Buch natürlich auch Abschiedscharakter. Es ist schade, dass Patrick Strasser nicht zwei, drei, vier Jahre früher mit der Arbeit an der Biographie begonnen hat, als Assauer noch geistig weitestgehend auf der Höhe war. Dann wäre es sicherlich ein Buch geworden, das viel mehr über das Innenleben aus fünf Jahrzehnten Bundesliga preisgegeben hätte, als es nun möglich war.
Auf der anderen Seite wird es jedoch auch nie wieder eine Biographie über Rudi Assauer geben, die so viel eigenen Anteil unseres Ex-Managers enthalten wird. Auch deshalb gibt es von mir mit gutem Gewissen und trotz aller benannten Schwächen eine klare Lese- bzw. Anhörempfehlung.
Wie ausgewechselt: Verblassende Erinnerungen …amazon.de
Autor: Patrick Strasser // gelesen von Rolf Berg
Art: 7 Audio-CDs im Pappschuber
Erscheinungstermin: 9. März 2012
ASIN: B00742K3GI
Hinweise zu den Rezensionen: Im Rahmen einer lockeren Reihe stelle ich Bücher und Filme vor, die sich mit Schalke im Speziellen oder Fußball im Allgemeinen beschäftigen. Dabei erhebe ich weder den Anspruch der Allwissenheit noch der geschmacklichen Wortführerschaft, lege aber Wert darauf, dass die Rezensionen ausschließlich meine Meinung transportieren und nicht “käuflich” sind. Verlage oder Autoren, die ihre Werke hier besprochen sehen möchten, wenden sich bitte an die im Impressum genannte Adresse. |
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Ein Kommentar zu “Rezension: Die Rudi-Assauer-Biographie (Hörbuch)”
Danke für die Rezension Matthias. Die Zeit, das Buch selber zu lesen (oder zu hören) werde ich nicht haben. So konnte ich mir trotzdem ein Bild machen (lassen).
Schalke wird Rudi hoffentlich immer ein Stück Heimat sein – selbst wenn er das selbst nicht mehr erinnern sollte.