Schützt Systemrelevanz?

05. Jul. 2012 | 8 Kommentare

Wenn sich Schalke-Fans unterhalten, kommt früher oder später das Thema Finanzen auf den Tisch. Man weiß um die missliche Schieflage des Vereins, auch wenn man sich 200 Millionen Euro Verbindlichkeiten (+/-) nicht so richtig vorstellen kann. Die Zahl ist so gewaltig, dass man sie unweigerlich verdrängt. Am Ende, da sind sich alle einig, werde es uns schon nicht erwischen. Die Dortmunder waren schließlich vor ein paar Jahren viel schlimmer dran und nicht zuletzt könne es sich die Liga gar nicht leisten, auf Schalke zu verzichten. Denn Schalke ist – um ein neudeutsches Wort zu verwenden – systemrelevant.

Was Systemrelevanz bedeutet sieht man in Schottland. Die Scottish Premier League (SPL) besteht aus 12 Clubs von denen zwei das System tragen: Celtic sowie Rangers Football Club, beide aus Glasgow. Es ist 27 Jahre her, dass der Meister einen anderen Namen trug. Celtic und Rangers dominieren seit dem Jahr 1900 den schottischen Fußball. Der Rest darf – ääähm – mitspielen.


Die schottische Liga wird durch die vier jährlichen Derbys zwischen Celtic und Rangers sowie die David-gegen-Goliath-Vergleiche am Laufen gehalten. Spielt Inverness gegen St. Mirren muss schon viel passieren, damit 3.000 Zuschauer ins Tulloch Caledonian Stadium kommen. Ein volles Haus garantiert nur ein Heimspiel gegen Celtic oder Rangers. Die wiederum tragen ihre Heimspiele im Schnitt vor deutlich mehr als 40.000 Zuschauern aus. In der Saison 2011/12 sahen 1,9 Millionen Menschen die Heimspiele der beiden Großclubs. Die Besucherzahl der restlichen zehn Ligaclubs zusammen lag bei 1,3 Millionen. Eine SPL ohne einen der beiden Glasgower Clubs ist so uninteressant, dass sowohl die Sponsoren als auch das Pay-TV Ausstiegsklauseln für den Fall haben, dass einer der beiden nicht mehr mitspielen sollte. Ein Abstieg von Celtic oder Rangers würde sich im Haushalt aller Clubs direkt auswirken.

Dennoch entschieden die Clubs gestern, dass es in der kommenden Saison nur noch einen Verein aus Glasgow geben wird. Der mit mehr als 160 Millionen Euro verschuldete Rangers FC wurde in einer Liga-Versammlung verbannt. Es war eine konsequente Entscheidung, die im Sinne der Gleichbehandlung begründet wurde.

Noch steht nicht fest, wie tief die Rangers fallen werden. Zeigt sich der Verband gnädig geht es nur in die 2. Liga. Den direkten Wiederaufstieg des 54-fachen Meisters vorausgesetzt könnten Sponsoren- und TV-Verträge eventuell erhalten bleiben. Stürzt der Rangers FC jedoch direkt in die Viertklassigkeit ab, hat sich die SPL gestern selbst den Boden unter den Füßen weggezogen. Trotzdem hat die Ligaversammlung so entschieden, wie sie entschieden hat.

Der Fall des Rangers FC ist nicht auf die Bundesliga zu übertragen. Schulden stehen immer relativ zur wirtschaftlichen Leistung. Ich weiß zu wenig als dass ich einen Quervergleich ziehen wollte. Alles was mich diese traurige Episode aus Schottland lehrt ist Demut.

Ja, Schalke ist systemrelevant für die Bundesliga. Aber nein, das gibt S04 keinen Freifahrtschein. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein. Seit gestern hoffe ich noch ein bisschen mehr, dass Peters Peters Worte auf der diesjährigen Jahreshauptversammlung, die einen „weitestgehend schuldenfreien Verein in zehn Jahren“ verhießen, nicht einfach so dahergesagt waren.

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8 Kommentare zu “Schützt Systemrelevanz?”

  1. RWDJojoam 5. Juli 2012 um 08:56 1

    Witzig! Ich habe vor 2 Minuten im Web04 einen Kommentar verfasst, in dem ich Schalke als systemrelevant bezeichne!

    Ja, das negative Beispiel der Rangers sollte uns Schalkern (und allen anderen verschuldeten Vereinen) zu Denken geben. Aber wie du schon sagst, darf man die SPL nicht mit der Bundesliga vergleichen. Die Rangers haben ja Insolvenz angemeldet und wären mit diesem Schritt bereits in Deutschland abgestiegen. Ich denke, dass das Votum der anderen Clubs, den neu gegründeten Verein nicht in der SPL antreten zu lassen auch ein Machtspiel war. Die Rangers werden ein Jahr in der zweiten Liga verbringen und dann wieder in der SPL spielen. Für ein Jahr sind ja alle Sponsoren etc. bereit, auf das Old Firm zu verzichten.

    Schalke hingegen wird man nicht in eine Insolvenz treiben. Dafür ist Schalke nicht nur für die Bundesliga zu wichtig, sondern auch für die gesamte Region, so dass man immer auf finanzielle Hilfe der Stadt und des Landes hoffen kann. Trotzdem darf sich Schalke darauf nicht ausruhen, sondern muss einen Weg finden, die Schulden abzutragen und gleichzeitig ohne Sondereffekte (CL-Teilnahme, Transfers) die Kosten zu decken bzw. den ein oder anderen Euro zu verdienen.

  2. Markus1904am 5. Juli 2012 um 20:27 2

    Schalkes Schulden basieren, so hoffe ich, mindestens zu 75% auf den Bau der Arena. Damals war man sicher von guten Einnahmen aus Großveranstaltungen (i. W. Konzerte) ausgegangen. Das gelingt in dieser Dimension nicht. Gemäß Planung wäre man bei der Tilgung sicher bereits erheblich weiter, wenn diese Prämissen eingetreten wären.
    Jetzt müssen die Schulden fast ausschließlich durch Einnahmen aus dem Fußballgeschäft abgebaut werden. Das kostet mehr Zeit, wird aber wohl innerhal von zehn Jahren funktionieren. Dann dürfte, wenn kein zweiter Magath auftaucht und alle vernüftig bleiben, die Insolvenz-Frage abgehakt sein.
    Trotz einiger Größenwahn Aktionen in den vergangenen Jahren ist Schalke, so meine ich, solider als sein Ruf. Die Schieflage hinsichtlich der Schulden ist im Wesentlichen durch Fehleinschätzungen der Prämissen beim Bau der Arena entstanden. Insofern bin ich Schulden technisch unverändert entspannt, wenn man künftig hier und da in Europa aktiv bleibt. Eine Systemrelevanz ist dann wohl nicht notwendig.

    GLÃœCKAUF!

  3. Matthiasam 5. Juli 2012 um 22:02 3

    Markus, so gerne ich deine These, dass Schalkes Schulden zu 75% aus der Arena resultieren, auch glauben möchte, muss man dann aber auch festhalten, dass in den letzten 11 Jahren keine nennenswerte Tilgung stattgefunden hat. Wie ich darauf komme? Schuldenstand (wohl gesonnen) derzeit mindestens 200 Millionen. 75% davon sind 150 Mio. Gekostet hat die Arena ca. 190 Mio Euro. Würde also in 11 Jahren eine Gesamttilgung von 40 Millionen bedeuten, oder anders ausgedrückt ca. 3,6 Mio/Jahr. Wenn es in dem Tempo weitergehen sollte, wäre die Arena beim 150-jährigen Vereinsjubiläum im Jahr 2054 abbezahlt. Kurz gesagt: Ich hoffe du irrst dich mit deiner These.

    (Ja, ich weiß: Milchmädchenrechnung, basierend auf der falschen Annahme, dass Schalke bei Baubeginn der Arena eine schwarze Null auf dem Konto hatte. Ich will nur zum Ausdruck bringen, dass wir nicht immer alles auf die Arena schieben sollten.)

  4. Rudinhoam 6. Juli 2012 um 00:30 4

    Laut Konzerngeschäftsbericht liegen noch 58,2 Mio. Euro Schulden auf der Arena, das entspräche knapp einem Drittel der Schulden des Schalke-Konzerns, aber das ist natürlich nur eine ander Milchmädchenrechnung, insbesondere weil die Arena-Anteile der GEW für 34,9 Mio. Euro zurückgekauft werden müssen.

    Die Schulden von Fußballklubs entstehen fast immer, weill die (un-)verantwortlichen Personen dem Prinzip anhängen „je mehr Geld wir ausgeben, um so schneller wird dies zu uns zurückkommen“.
    Auf Schalke bezogen hat das mit dem Wunsch nach der Meisterschaft, der Vorstellung, in einem neuen Stadion dauerhaft europäische Spitzenspiele austragen zu können etc. zu tun.
    Bei den Rangers ist es ganz ähnlich. Da durften Trainer die auf den britischen Insel im Regelfall auch Manager sind, horrende Geldbeträge in die Mannschaft stecken, um nicht nur die führende Position in Schottland abzusichern sondern eine wesentliche Rolle in Europa zu spielen. Gegen Dick Advocaat (Transfers im ersten Jahr für 36 Mio Pfund) ist wahrscheinlich auch Felix Magath noch ein Mann der finanziellen Konsolidierung.

    Ich freue mich jedenfalls auf das Glasgower Derby Rangers gegen Partick Thistle (wenn nicht auf FC Queens Park gegen die Rangers in der vierten Liga)

  5. Markus1904am 6. Juli 2012 um 22:35 5

    Matthias, ist ja auch eigentlich egal, Schulden sind Schulden – ob nun operativ oder für die Arena. Aber, wenn sie überwiegend für die Arena wären, hätte ich mehr Verständnis und wäre guter Hoffnung, daß die Zukunft besser wird. Denn in 10 Jahren wären die Altlasten weg. Das ist so, als wenn man privat sein Haus abbezahlt hat, dann wird der Spielraum zur Erfüllung anderer Wünsche auch wieder größer.

  6. Der Griecheam 7. Juli 2012 um 15:27 6

    „Die Arena zum Beispiel ist nach dem Finanzierungsplan im Jahr 2018 abbezahlt – dafür gehen jährlich zwischen acht und zehn Millionen Euro drauf (in diesem Jahr 8,667 Millionen)“, schrieb derwesten.de vor einem Jahr. D.h. die Schulden für die Arena liegen bei etwa 50-80 Millionen und damit noch nicht mal die Hälfte der Gesamtschulden. Pro Jahr wollen die Schalker etwa 20 Millionen in die Schuldentilgung stecken, um 2025 schuldenfrei zu sein. Allein 20 Millionen bekommen sie dieses Jahr wohl durch die CL-Teilnahme. D.h. die jährliche CL-Teilnahme ist fast Pflicht, um das 2025-Ziel zu erreichen.
    (http://www.derwesten.de/sport/fussball/s04/schalke-will-bis-2025-schuldenfrei-sein-id4931584.html)

  7. Gordenam 7. Juli 2012 um 16:46 7

    Also ganz ehrlich, ich weiß nicht wo die Systemrelevanz herkommen soll. Schalke ist vor allem für Schalke relevant, vielleicht noch für Gelsenkirchen. Aber im deutschen Profifußball ist Schalke nur ein Teilnehmer von vielen, wenn auch ein großer und wichtiger.

  8. blaumannam 22. Juli 2012 um 00:49 8

    interessanter Gedanke, wir verkaufen uns unter Wert… nein, ich bin nicht scharf darauf, daß meine Dauerkarte teurer wird

    http://www.handelsblatt.com/sport/fussball/nachrichten/ticketpreise-die-bundesliga-ist-zu-billig-seite-all/6856440-all.html