Die kleine Geschichte vom Bundesliga-Rasen in Tüten
Was bisher geschah: Im Mai 2012 erfuhr ich durch die örtliche Presse, dass der Rasen des Stadions an der Hammer Straße, Heimstatt des Bundesliga-Gründungsmitgliedes SC Preußen, im Sommer ausgetauscht wird. Nach Vereinsangaben sei dies zuletzt in den 1950er-Jahren geschehen. Da klingelten bei mir die Alarmglocken: Sollte nur wenige Hundert Meter vor meiner Haustür ein Stück Fußballgeschichte demnächst lieblos entsorgt werden? So entstand „Die kleine Geschichte von der alten Wiese“. Zuvor hatte ich bereits Preußen Münster kontaktiert und den Club auf dieses Kuriosum im Jahr vor dem großen Bundesliga-Jubiläum aufmerksam gemacht. Auf eine Antwort warte ich noch heute. Doch wiederum über die örtliche Presse gab der Verein bekannt, dass man Fans die Möglichkeit bieten wolle, sich ein Stück vom historischen Grün zu sichern. Hier beginnt die kleine Geschichte vom Bundesliga-Rasen in Tüten.
Zwei Tage gab der SC Preußen seinen Anhängern Zeit, ins Stadion zu kommen und ein 1 Quadratmeter großes Rasenstück zum Preis von 19,06 Euro zu erwerben. Ich nutzte bereits am ersten Tag, dem 31. Mai 2012, die Möglichkeit und fuhr im Sturzregen zum Stadiontor vor. Dort wurde vor meinen Augen die Parzelle abgestochen und fein säuberlich aufgerollt. Der Andrang hielt sich in Grenzen. Ich sei überhaupt erst der Vierte oder Fünfte, der zwecks Rasenernte ins Stadion gekommen sei, sagten mir die beiden abgestellten Helfer. Mit dem Rasen im Gepäck und nass bis tief ins Knochenmark machte ich mich auf den Weg in die heimische Garage. Dort zerteilte ich die Parzelle in kleinere Stücke und transportierte diese sowie eine kleine Ameisenplage nach und in Schalen in meine geräumige Wohnküche.
Rasenernte im Preußenstadion. Mit Klick vergrößern.
Ich hatte mir Gedanken gemacht, wie der Rasen am besten erhalten werden kann. Meine Idee war, ihn in Acrylglas zu gießen. Die Internet-Recherche ergab jedoch, dass es sich dabei um ein äußerst kostspieliges, zeitaufwendiges und nur selten erfolgreiches Unterfangen handelt. Also musste Plan B her. Dieser bestand darin, den Rasen – noch einmal zerteilt in faustgroße Stücke – an fünf hintereinander folgenden Abenden mit einer Haushaltsschere zu rasieren. Je mehr Wurzelwerk ich dabei erwischte, desto lieber war es mir. Die Ausbeute landete auf mehreren Backblechen. Denn damit der Rasen nicht faulte, musste die Feuchtigkeit entzogen werden. Das gelang bei einer Backofentemperatur von ca. 60 Grad Celsius und einer Trocknungszeit von rund 20 Minuten ganz passabel. Nach dem Umluftofen wanderten die Halme in eine luftige Box, wo sie in einer mehrtägigen Lufttrocknungsphase unter mehrmaligem Wenden auch den letzten Rest Feuchtigkeit ausdünsteten. In dieser Woche roch meine Küche wie der Heustadl eines Bergbauern. Aber schließlich hatte ich es endlich geschafft den Bundesliga-Ersttagsrasen passabel zu „mumifizieren“ bevor er völlig verrottet war.
In den nächsten Wochen konnte ich es langsamer angehen lassen. Wann immer ich nach Feierabend eine freie Minute fand, schnappte ich mir die Rasenkiste und füllte Portionen in kleine Tüten mit Druckverschluss. Den Tüten wurde ein Zettel beigefügt, der den Inhalt kurz erklärte. Ich entschied mich dazu, insgesamt 250 Portionen Bundesliga-Ersttagsrasen herzustellen. Die Beipackzettel wurden zu diesem Zweck handschriftlich nummeriert. Irgendwann in der ersten Woche der Europameisterschaft war diese Arbeit abgeschlossen, bei der ich mehr als einmal befürchtete, dass neugierige, durch das Fenster spähende Nachbarn mir die Drogenfahndung auf den Hals hetzen werden. Denn in der Tat unterscheidet sich die Tätigkeit eines Bundesliga-Rasen-Packers wahrscheinlich nur marginal von der eines niederländischen Dealers.
Geschafft! 250 Portionen Ersttagsrasen sind verpackt.
Natürlich ist mir bewusst, dass ein im Mai 2012 geerntetes Rasenstück nicht mehr viel mit dem Rasen zu tun hat, der am 24. August 1963 zum Auftakt der Bundesliga bespielt wurde. Natürlich klebt am Rasen nicht mehr der Schweiß von Uwe Seeler, der mit seinem Hamburger SV am 1. Spieltag in Münster ein 1:1 holte. Natürlich unterscheidet sich „mein“ Bundesliga-Ersttagsrasen rein äußerlich nicht von dem, was Millionen von Eigenheimbesitzern Woche für Woche im Garten mit Rasenmähern und Kantenschneidern produzieren. Sicherlich wurde der Rasen bei Bedarf vom Platzwart in Spielpausen teilweise nachgesät. Vielleicht findet sich hier auch ein Pflanzenkundler, der belegen kann, dass eine Rasenwurzel eine maximale Lebensdauer von soundsovielen Jahren hat und dass der von mir eingetütete Ersttagsrasen nicht einmal die Urenkelgeneration von dem ist, was ich erhalten wollte. Aber weißt du was? Das ist mir total egal!
Es geht um die Symbolik und darum, dass im Preußenstadion seit Gründung der Bundesliga bis zu diesem Sommer eben niemals der Untergrund komplett ausgekoffert und mit neuem Rollrasen versehen wurde, wie es in modernen Arenen heute üblich ist. Mir war es persönlich wichtig, dieses letzte Relikt zu erhalten. Das mag der eine für bescheuert halten und der andere für hoffnungslos naiv. Dann ist es eben so. Damit kann ich leben. Wo das geklärt ist, bleibt jetzt die Frage, was ich mit den 250 Rastentütchen anstellen werde. Einfach stumpf verkaufen kann und möchte ich sie nicht, denn es ist mir unmöglich, einen Preis zu benennen. Einfach wild in der Welt herum verschenken möchte ich sie aber auch nicht. Dafür steckt zu viel Arbeit drin, mal ganz abgesehen davon, dass die Portokosten für einen „Versand auf Zuruf“ bei ingesamt knapp 140 Euro lägen.
Ich habe in den vergangenen Wochen bereits einige Portionen Ersttagsrasen unter Freunden, Verwandten und Fußballliebhabern verteilt. Gestern gingen noch einmal fast 50 Portionen per Post an die Teilnehmer des „Analogbloggens“ raus, weil ich mich für ihr Engagement während dieses kurzweiligen Spaßes bedanken wollte.
Und der Rest? Sicherlich werde ich hier und da mal ein Tütchen verlosen. Aber ich habe auch noch eine andere Idee, die kurz gesagt auf „Du willst einen Gefallen von mir? Dann freue ich mich über einen Gefallen von dir!“ hinauslaufen wird. Wenn es soweit ist, sage ich hier Bescheid.
Doch jetzt steht erstmal das Schalker Trainingslager in Kärnten an.
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14 Kommentare zu “Die kleine Geschichte vom Bundesliga-Rasen in Tüten”
so, jetzt nochmal öffentlich.
danke sehr.
ich habe etwas von dem „grün“ in einer großen schale ausgesät, mal schauen was draus wird. 🙂
Großartige Idee! Habe mich heute sehr über die ungewöhnliche Post gefreut, vielen herzlichen Dank und angenehme Tage in Kärnten.
Auch von mir herzlichen Dank, habe mich sehr über die Post heute gefreut! Ein unheimlich schönes Geschenk mit großer Symbolik, und wenn man dann noch liest, wie viel Arbeit dahintersteckt-wow!!!
Tolle Idee
Vielen herzlichen Dank, habe mich sehr darüber gefreut.
Die Post ist zum Glück angekommen, der Nachname war nämlich komplett falsch geschrieben – was bei 50 Sendungen sicherlich mal schnell passieren kann. An dieser Stelle auch noch einmal vielen Dank für die nette Sendung und dem großen Einfallsreichtum. 🙂 Glück auf Tobei(linho)
Ich zieh dann mal den Hut vor dieser Sisyphos-Arbeit! Echt ne klasse Aktion! 🙂
Hut ab, Matthias!
Vielen Dank für diese tolle Idee & Aktion. Wir haben uns sehr über dieses kleine Danke-Schön gefreut! 🙂
Nach unserem Umzug und den damit verbundenen Aufgaben melde ich mich hier zurück.
Die Rasenaktion kann ich nicht unkommentiert lassen.
Es gehört schon ein gerüttelt Maß an Irrsinn dazu, 250 Portionen ollen Rasen zu schnibbeln, ihn auf dem Backblech zu konservieren und dann einzutüten. Respekt!
Bezüglich einer gewünschten Zusendung melde ich mich per Mail bei Dir.
Bei der Hausnummer ist mir nach Demontage und Reinigung der Ziffern leider ein Zahlendreher während der erneuten Montage unterlaufen. Ursprünglich war es die 40. So hoffe ich, dass die Sendung auch ankommt.
GLÃœCK AUF!
Eine in jeglicher Hinsicht tolle Idee, die sogar noch den Einfallsreichtum der Idee des Analogbloggens toppt. Und in mir jedenfalls einen Empfänger des Resultats dieser Ernteaktion gefunden hat, der es zu würdigen weiß. Welcher zudem diese Liebhaberei, die man für diesen Wahnsinn braucht, sehr gerne mag.
Herzlichen Dank für dieses einzigartige Geschenk.
Auch ich kann mich an dieser Stelle nur herzlich bedanken. Nicht jeder weiß eine Tüte luftgetrocknetes Gras zu schätzen. Bei mir ist sie aber in den besten Händen. Tolle Idee, Danke dafür. Das ist Schalke.
Ich bin dann mal aus dem Urlaub zurück und habe das Gras (hehehe) gefunden. Vielen Dank! Ich weiß es zu schätzen! Jetzt stellt sich die Frage: Wie bewahre ich das auf? Soll ich das Luftdicht verschließen oder kann da nicht passieren?
Auch auf diesem Weg noch mal Danke für das wunderbare Dankeschön und die beste Idee seit analogbloggen!
Mein Bruder ärgert sich, dass er (trotz meines Hinweis) nicht analog gebloggt hat und zudem als Münsteraner nicht die Lokalpresse verfolgt um auf so etwas wie die Rasenaktion aufmerksam zu werden. Selbst schuld!
Die Frau im Haus ist eher kritisch und weiß weder mit der Geschichte noch der Geste noch irgendwas etwas anzufangen… „Ich denk das ist n Schalkefan?“ „Wie jetzt? Münster?“ „Hat Schalke da was gewonnen?“ und so weiter
Ich freu mich weiter und geb bei allen Fußballinteressierten in meinem Umfeld mit meinem Tütchen Nr. 227 an.
Schönen Urlaub weiterhin!
So eine schöne, bescheuerte Idee zu haben ist ja die eine Sache, sie dann auch so akribisch und liebevoll umzusetzen, verdient höchsten Respekt:)
Für mich kam die Rasenaktion von Preußen Münster leider zu früh. Erst jetzt ist unser Garten bereit für’s Rasenverlegen. Wäre doch schön gewesen, ein kleines Stück „historischen“ Rasen zu haben, auf dem der Nachwuchs irgendwann das erste Mal gegen die Murmel kickt.
Hoffentlich bringt der neue Preußenrasen am Sonntag im Pokal Glück gegen Werder. 🙂