Von Big-Band-Swing über Schlager zu „Königsblau“

05. Sep. 2012 | Ein Kommentar

Das Thema „Sport & Musik“ ist seit je her ein Besonderes. Der Westdeutsche Rundfunk interpretierte es bis weit in die 80er Jahre hinein in der gleichnamigen samstäglichen Bundesliga-Radioshow mit Rhythmen der WDR-Big-Band. Wenn man so will, gehöre deshalb selbst ich (Jahrgang 1974) noch zu der Generation, die Fußball mit Big-Band-Swing und Max Greger verbinden. Parallel bahnte sich der Schlager seinen Weg, auch weil zahlreiche Bundesliga-Stars sich auf die Gesangsbühne wagten. Nicht alle waren dabei so erfolgreich wie die Kremers-Zwillinge, Franz Beckenbauer oder – auf englisch – Kevin Keegen. Nach einem Vierteljahrhundert der Swing- und Schlagergemütlichkeit, sinnbildlich verkörpert durch mit Udo Jürgens und Michael Schanze singenden Nationalteams, brach in den frühen 1990ern eine kleine Revolution.

Plötzlich eroberte sich der Punkrock seinen Teil vom Kuchen und ich rede hier nicht nur von den „Toten Hosen“, die anfänglich so gar nicht auf die DFB-Elf standen. Eigentlich gab es in jedem Verein die lokalen Bands, die Themenalben für ihren Club aufnahmen. Nicht alle wurden dabei solche Szeneberühmtheiten wie die Schalker „Lokalmatadore“. Und – um den Kontrast perfekt zu machen – es gab auch die Soundtüftler, die Fußball auf eine Elektrobeat-Ebene hoben. „Das Phänomen“ verkaufte sich damals auf Schalke großartig, zog aber kaum Nachahmer an. Der viel zu früh verstorbene Ruhrpottbarde Ährwin Weiss feierte in der zweiten Hälfte der 1990er ein kleines Comeback und erntete den Lohn für Meisterwerke wie „Mäusken, willze mit mich Eis essen gehn“. Doch hier endet dann auch mein Schweinsgalopp durch die Fußball-und-Musik-Geschichte, wie ich sie aus meiner persönlichen Schalker Sicht erlebt habe.

Denn danach kam ganz lange nichts mehr. Zumindest kam nichts Neues mehr. Alles was kam – ganz gleich ob nett anzuhören oder Ohrenvergewaltigung – war irgendwie schon einmal da. Richtige Innovation? Fehlanzeige! Zumindest schaffte es nicht mehr den Weg aus dem Underground in die Öffentlichkeit. Das, was auf Schalke den Weg in die Öffentlichkeit schaffte, war ganz oft ganz großer Mist, den sich ein Alleinunterhalter nach dem Genuss von zwei Pullen Appelkorn im ostwestfälischen Partykeller erdacht und noch am selben Abend knüppelhackedicht eingespielt hat. Popschlager, ein paar Beats aus der Dose, Gruppensingsang aus der Loop-Box, kitschiger Schmalz in der Stimme und schon war er fertig, der neue Schalke-Hit. Phantasielos hingeklatsche Texte a la „Schalke 04 / das sind wird / im Revier / wir trinken auch Bier / wo seid ihr / Schalke 04 / wo wir sind ist hier / Schalke 04“ (eigene Kreation, die Realität sieht oft noch trostloser aus!) machten das Ganze ebenfalls nicht zum Genuss. Kurzum: Es war ist uns grausam, wie auch skAndy vor ein paar Wochen im web04 postulierte.

In diese Ödnis der Einfallslosigkeit trat vor einem guten Jahr der Stuttgarter Hip-Hopper Joel Hong, der als „Stanley Buddha“ auf Youtube eigene Songs und Samples veröffentlichte. In diesen Songs ging es um Schalke. Das machte die Sache für mich interessant. Denn eigentlich muss ich zugeben, dass ich mit dem deutschen Hip-Hop größtenteils abgeschlossen hatte, als es nur noch darum ging, die heimische Einfamilienhaussiedlung neben der Waldorfschule als das größte und gefährlichste Ghetto von allen zu rühmen. Aber wenn sich auf einmal jemand hinsetzt und mit bitterbösen Worten Manuel Neuer einen Abschiedsgruß hinter schmettert, dann höre ich hin. Selbst wenn der Song nicht zu 100% meine Meinung und Ausdrucksweise trifft.

Joel Hongs Deutschrap lebte zunächst in großen Extremen. Anhimmeln und runtermachen existieren bei ihm sehr dicht nebeneinander, was sicherlich auch in der „Bashing-“ und „Battlekultur“ des Hip-Hops begründet liegt. Es ehrt ihn, dass er diesen Stil nicht schlagartig änderte und weichspülte, als er bemerkte, dass seine Videos tausende Zugriffe auf Youtube erhielten und die klassischen Medien begannen, sich für ihn zu interessieren. Es freut mich, dass er sich allerdings auch nicht darauf versteifte, nur noch Schulterklopfer-garantierendes Manuel Neuer- und Uli Hoeneß-Bashing zu betreiben. Spätestens als er im vergangenen Spätsommer die kleine Träumerei „Kopfkino“ – in meinen Augen und Ohren sein persönliches Meisterwerk – online stellte und sich direkt danach stil- und würdevoll mit Rudi Assauers Erkrankung auseinander setzte, ahnte ich: der Junge hat die Chance mehr zu werden als nur ein kurzfristiges Youtube-Phänomen.

So kam es dann auch. Joel Hongs Internet-Erfolg machte die großen Labels aufmerksam. Letztendlich entschied er sich für eine Zusammenarbeit mit „ZYX“ und produzierte sein erstes Studioalbum unter Vollprofi-Bedingungen. Die CD „Königsblau“ erschien Ende August und ist – soweit ich es überblicken kann – bislang ein riesiger Erfolg. „Königsblau“ enthält 16 Tracks (drei davon sind allerdings nur kurze „Skits“) und bietet eine Spielzeit von über einer Stunde. Einige der Songs auf „Königsblau“ hat Joel bereits in „Vorgängerversionen“ auf Youtube veröffentlicht. Sie wurden für das Album jedoch neu abgemischt und zum Teil komplett neu arrangiert. Andere Stücke sind neu.

Herausgekommen ist ein wirklich tolles, gerapptes Hörbuch mit Schalker Geschichten und Träumen. Ein Themenalbum, dem man nicht anmerkt, dass es in erstaunlich kurzer Zeit produziert wurde und das auf keinen Fall ein Schnellschuss ist. Joel hat die Schalker Musikszene aus der Lethargie der tumben Alleinunerhalter-Mukke befreit und es würde mich nicht wundern, sollte es schon bald etliche Nachahmer geben. Denn dass „Schalke und Hip-Hop“ funktioniert ist nun bewiesen. Dann wäre Joel Hong zwar sein derzeitiges Alleinstellungsmerkmal los, hätte sich aber um das Thema „Schalke und Musik“ weit mehr verdient gemacht, als alle ostwestfälischen Partykeller und Appelkornbrennereien zusammen.

Von mir gibt’s mit besten Gewissen eine Kaufempfehlung. Der TurnhallenPhil, David im web04 und Basti stimmen mir zu.

Bei „Auf Kohle geboren“ kann man noch bis zum 14. September eine CD gewinnen.

Joel Hong aka Stanley Buddha – „Königsblau“amazon.de
Erschienen am: 24. August 2012
Anzahl Disks: 1
Label: Zyx Music (ZYX)
ASIN: B008FGW13K

Hinweise zu den Rezensionen: In einer lockeren Reihe stelle ich Bücher, Filme und weitere Produkte vor, die sich mit Schalke im Speziellen oder Fußball im Allgemeinen beschäftigen. Dabei erhebe ich weder den Anspruch der Allwissenheit noch der geschmacklichen Wortführerschaft, lege aber Wert darauf, dass die Rezensionen ausschließlich meine Meinung transportieren und nicht “käuflich” sind. Verlage oder Autoren, die ihre Werke hier besprochen sehen möchten, wenden sich bitte an die im Impressum genannte Adresse.

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Ein Kommentar zu “Von Big-Band-Swing über Schlager zu „Königsblau“”

  1. Franziam 6. September 2012 um 08:21 1

    Kann mich da nur anschließen. Tollte CD..
    Kannte ihn auch nur von Youtube und fand ihn da schon echt gut, obwohl ich auch nicht so auf Hip Hop stehe, aber einige Texte sind schon echt klasse.
    Hab mir dann auch direkt nach Erscheinen die CD geholt und nun begleitet sie mich täglich auf meinem 60 km langen Arbeitsweg nach Hamburg.. Die vielen HSV Fans hier gucken sowieso schon immer doof, wenn ich mit meinem Kennzeichen aus Schleswig-Holstein, aber dem Schalke Schal im Auto an ihrem Stadion vorbei fahre, naja und nun auch noch die Schalke Texte im Inneren.. 🙂

    Macht schon Spaß, dass zu sehen!