Vier Minuten Deutscher Meister (DVD-Rezension)

08. Nov. 2012 | 8 Kommentare

19. Mai 2001. Ja, ich weiß: Darüber will man eigentlich gar nicht mehr reden. „Meister der Herzen“ und dieser ganze Kladderadatsch, den die BILD in den Tagen nach dem Meisterschafts-Fernduell zwischen Schalke und Bayern mit Schmalz übergoss und unter das Volk brachte. Rudi Assauers Klage über die Nicht-Existenz des Fußballgottes. Rollo Fuhrmann als Überbringer einer fatal falschen Nachricht. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Freistoßes in Hamburg. Und natürlich die heulenden Fans auf dem Rasen des Parkstadions. Muss man sich darüber wirklich noch einmal unterhalten? Muss man sich das nochmal antun? Für viele Schalker ist dieser 34. Spieltag der Saison 2000/2001 zwar keine klaffende Wunde mehr, wohl aber eine dieser Narben, die sich immer wieder bemerkbar machen. Knapp zehn Jahre nach dem 19. Mai 2001 erteilte der WDR der Filmemacherin Judith Völker für die Reihe „Es geschah in NRW“ den Auftrag, dieses Schalker Trauma noch einmal aufzuarbeiten. Mittlerweile gibt es die TV-Doku „Vier Minuten Deutscher Meister“ als mächtig aufgemotzte DVD in der „Edition Reviersport“.

Der 45-minütige Film erzählt die Geschichte des Tages chronologisch aus verschiedenen Blickwinkeln. Da ist beispielsweise Günter Hellwig, ehemaliger Wirt des Schalker Vereinslokals an der Kampfbahn Glückauf, der bereits beim Frühschoppen erste Eindrücke sammelte. Oder Michael Zylka, in den späten 1980ern als Drei-Tage-Präsident auf Schalke aktiv, der seine Tribünensicht teilt. Beinahe tragische Helden sind Hilka und Volker Husemann, die just an diesem Tag ihre Hochzeit terminiert hatten und plötzlich vor einer schwer belämmerten Hochzeitsgesellschaft standen. Und mit Olaf Kraft kommt auch ein „Schalke Trommler“ zu Wort, also eine jener Figuren, die aus der Sicht des Marketings den ganz normalen Fan darstellen. Vor allem aber sind es Manni Breuckmann, damals als Live-Radioreporter für das Spiel verantwortlich, Gerald Asamoah und Huub Stevens, die ihre Sichtweisen auf den 19. Mai 2001 zum Besten geben.

Aus den vielen Interviewschnipseln, O-Tönen und Bildern setzte Judith Völker einen Film zusammen, der sicherlich nicht den Höhepunkt ihres Schaffens bildet, wohl aber grundsolide Doku-Handwerkskunst ist. Mit einem Sprecher aus dem Off verbindet sie die Elemente und schafft eine Erzählstruktur, der man gerne folgt. Beinahe behutsam bereitet sie den Zuschauer dabei auf das Finale vor, das – obwohl es jeder kennt – dann dank gewaltiger Bilder aus dem Archiv und privater Videokameras von Stadionbesuchern (und Hochzeitsgästen) doch wieder fesselt. Es ist ein bisschen wie bei einer Titanic-Verfilmung. Obwohl man weiß, dass der Kahn am Ende kentert, verdrückt man sich im Abspann doch noch ein Tränchen und spinnt sich im Kopf ein alternatives Ende zusammen.

„Vier Minuten Deutscher Meister“ zeigt dennoch, dass der 19. Mai 2001 nun wirklich schon lange genug vorbei ist, um sich auch als leidenschaftlicher Schalke-Fan aus fußballhistorischer Sicht mit ihm auseinanderzusetzen. Es tut nicht mehr weh. Man kann die DVD ins Laufwerk legen ohne eine schlaflose Nacht zu befürchten. Mit dem 34. Spieltag 2000/01 hat Schalke ein Stück Geschichte geschrieben. Nicht alle Geschichten sind schön, aber vielleicht muss man sie sich ab und zu anhören, um sich mit ihnen zu versöhnen.

Die Doku „Vier Minuten Deutscher Meister“ ist jedoch nicht alles, was man zum Preis von 12 Euro erwirbt. Selten habe ich eine niedrigpreisige DVD gesehen, die mit so viel Bonuskram daherkommt. Das beginnt bereits bei der gefälligen Pappschuber-Verpackung, der ein schickes 38-seitiges Booklet beiliegt, in dem die letzten Wochen der Saison – inklusive Abschied aus dem Parkstadion und Pokalsieg gegen Union Berlin – ausführlich in Wort und Bild behandelt werden.

Das Film-Bonusmaterial besteht aus Langfassungen der Interviews mit Breuckmann und Stevens (je ca. 15 Minuten) und der einstündigen Zusammenfassung des 5:3-Sieges über Unterhaching, kommentiert von Olaf Thon und Oliver Reck. Weil dann noch gut 20 Minuten DVD-Restspielzeit übrig waren, wird auch der Schalker 7:0-Sieg in München vom 9. Oktober 1976 in einem Spielbericht und mit einem langen Interview mit Klaus Fischer thematisiert. Als kostenlose Beigabe ist beides ganz nett, jedoch hätte ich mich mehr über eine Zusammenfassung des Pokalendspiels aus der Woche nach dem Saisonfinale gefreut. Der Block „7:0“ wirkt im Gesamtwerk wie ein Lückenfüller. Aber das ist nun wirklich Jammern auf hohem Niveau.

Kurzum: Die DVD-Edition „Vier Minuten deutscher Meister“ ist wirklich jeden Cent wert. Eine atmosphärisch sehr dichte TV-Doku mit guten Interviews und tollen Bildern, eine nette Verpackung und sehenswertes Bonusmaterial. Für den Preis von dreieinhalb Arena-Bier hat man auch schonmal weniger bekommen. Ein Interview mit der Filmemacherin Judith Völker über die Produktion der Dokumentation gibt es übrigens hier (PDF-Dokument).

Vier Minuten Deutscher Meisteramazon.de
Regie: Judith Völker
Studio: Klartext-Verlag
Erscheinungstermin: 3. September 2012
Spieldauer: 149 Minuten
ASIN: 3837508188

Hinweise zu den Rezensionen: Im Rahmen einer lockeren Reihe stelle ich Bücher, Filme oder Produkte vor, die sich mit Schalke im Speziellen oder Fußball im Allgemeinen beschäftigen. Dabei erhebe ich weder den Anspruch der Allwissenheit noch der geschmacklichen Wortführerschaft, lege aber Wert darauf, dass die Rezensionen ausschließlich meine Meinung transportieren und nicht “käuflich” sind. Verlage, Autoren, Hersteller oder Distributoren, die ihre Werke hier besprochen sehen möchten, wenden sich bitte an die im Impressum genannte Adresse.

Abgelegt unter Rezensionen,Schalke

8 Kommentare zu “Vier Minuten Deutscher Meister (DVD-Rezension)”

  1. Björn04am 8. November 2012 um 08:36 1

    „Es tut nicht mehr weh.“
    Also das kann ich nicht bestätigen. Die Wunde wird erst verheilen wenn wir irgendwann mal auf ähnliche Weise…

  2. Sebastianam 8. November 2012 um 08:58 2

    „Es tut nicht mehr weh.“???
    Na ja, mir kommen schon beim Lesen der Rezension fast die Tränen…
    Ich hab die Doku im Fernsehen aufgenommen und noch nicht angeschaut. Werde ich dann wohl auch nicht machen und mir stattdessen die DVD besorgen.

  3. eakus1904am 8. November 2012 um 09:08 3

    Da kann ich mich Björn04 und Sebastian nur anschließen! Doch,es tut immer noch weh, verdammt weh! Und dennoch ist dieses Ereignis auch ein Moment, der mich persönlich dem Club noch ein gutes Stück näher gebracht hat, als ich ohnehin schon stand! Zudem ist es ein Stück Zeitgeschichte, dass man so wahrscheinlich nie wieder erleben wird. Alleine deswegen werde ich mir die DVD auch zulegen, auch wenn ich diese niemals gern anschauen werde!

  4. Philam 8. November 2012 um 09:26 4

    Wenn ich bei Torstens Wichteln jemanden ziehe, den ich doof finde, bekommt der diese DVD. Also ich könnte sie mir nicht ansehen. 😀

  5. Daniel Ku.am 8. November 2012 um 09:42 5

    Irgendwie ist das so, als hätte jemand meine letzte Wurzelbehandlung gefilmt und jetzt mit vielen Interviews mit dem Zahnarzt und seinen Helferinnen, die haarklein erklären, warum genau die Betäubung nicht den gewünschten Effekt hatte, auf DVD gebannt und mir nun von eben diesem Zahnarzt zum Kauf angeboten.
    Aber ich muss dir danken, Matthias, denn ich bin nun um die Erkenntnis reicher, dass ich scheinbar doch noch nicht(wie von mir selbst eigentlich angenommen)mit mir im Reinen bin, was dieses Ereignis betrifft! Denn beim Lesen deiner Rezension wurde mir klar, dass ich das immer noch nicht sehen möchte….

  6. derwahrebaresiam 8. November 2012 um 10:52 6

    ich habe nur die überschrift gelesen … und bin das thema betreffend jetzt wieder raus.

  7. Nepomuk113am 9. November 2012 um 11:04 7

    Manche Wunden heilen nie – ich kann mir das auch nicht ansehen – schalte auch immer um, wenn Sport1 es auch der Konserve holt!

  8. Johannesam 9. November 2012 um 11:53 8

    „Meister der Herzen“ – diesen Schmalz-Titel haben wir von den Medien damals nicht erst nach dem dramatischen Saison-Finale verliehen bekommen. Sondern der Kölner Express hat uns dieses Etikett schon nach dem 5:1 gegen Lautern am 28. Spieltag verpasst. Das blieb dann haften.

    So gut wie diese DVD sein mag, und vielen Dank Matthias für Deine Rezension: Ich schließe mich einem Vorredner an. Das bekommen nur S04-Fans von mir geschenkt, denen ich mal so richtig eins auswischen will. Hab auch schon wen im Auge.

Trackback URI |