„Der Tag, als Rot-Weiss Essen starb“
Und alle Schalker sangen? Ich nicht! Für mich sind die Nachrichten und Entwicklungen des Tages, die heute aus Essen herüberschwappten und von „Reviersport“ sogar mit einem „Live-Ticker“ begleitet wurden, ein Drama. Ich hatte nie einen Vertrag mit „RWE“ und kann mich sogar noch sehr gut daran erinnern, wie ich mich als Jugendlicher schwarz geärgert habe, als die Essener beim letzten sportlich wertigen Aufeinandertreffen der beiden „Ersten Mannschaften“ Schalke mit 2:0 aus dem DFB-Pokal warfen. 1992 war das und nach dem Insolvenzantrag, den RWE heute stellen musste, scheint festzustehen, dass das nächste Aufeinandertreffen wohl noch sehr lange auf sich warten lassen wird. Vielleicht noch einmal 18 Jahre oder länger.
Auch als Fußballfan, der nur wenige hundert Meter von der Heimstätte des SC Preußen Münster entfernt wohnt und häufiger Spiele der Adlerträger mit lokaler Sympathie begleitet, ist dieser 4. Juni 2010 für mich kein guter Tag. Essen und Münster – das war eine über Jahrzehnte gewachsene Rivalität, die – ganz im Gegensatz zur Rivalität zwischen RWE und S04 – wenigstens im sportlichen Alltagsgeschäft gelebt werden konnte. Es ist gar nicht lange her, da schönte der SCP, der einmal mehr in der Liga meilenweit hinter seinen Erwartungen zurückgeblieben ist, die Saison mit einem 4:0 über konfuse Essener. Mehr als 6.300 Zuschauer waren Zeuge dieses Traditionsduells und gleichzeitig Beitragende zu einem letzten mittelgroßen Zahltag für die Preußen. Auf diesen Zahltag wird der Verein im kommenden Jahr wohl verzichten müssen, weshalb sich bei der Anhängerschaft des SCP die Häme tunlichst in Grenzen halten sollte.
Das Aus für Rot-Weiss Essen zeigt in erschreckender Weise eine schreiende Ungerechtigkeit und ein strukturelles Problem im deutschen Fußball auf. Die Regionalliga, Deutschlands dreigleisige vierthöchste Spielklasse, ist spätestens seit Einführung der eingleisigen „Dritten Liga“ zu einer Pleiteliga verkommen. Das hat einen ganz einfachen Grund: Allein in der Regionalliga-West tummelten sich in der abgelaufenen Spielzeit acht Zweitvertretungen von aktuellen Proficlubs: VfL Bochum, 1. FC Köln, FC Kaiserslautern, Fortuna Düsseldorf, Schalke 04, Bayer Leverkusen, Mainz 05 und Borussia Mönchengladbach schickten ihre zweiten Mannschaften ins Rennen. Sie spielen zwar mit gegen den Abstieg und um den Aufstieg, existieren aber nicht – wie die anderen „echten“ Vereine – aufgrund eigener finanzieller Stärke. Die Zweitvertretungen der Proficlubs sind der Appendix der Bundesliga, mit viel gutem Willen vielleicht noch als „Nachwuschsschmiede“ zu bezeichnen. Sie spielen fast ausschließlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit, bringen zu Auswärtsspielen kaum Fans mit und besitzen für den Fan der Traditionsvereine keinerlei Attraktivität. Wenn man es ganz böse sagen möchte, dann hatten die Zweitvertretungen zuletzt nur noch für die Hooligans der Proficlubs eine Bedeutung, die sich fernab des großen Polizeiaufgebotes eines Bundesligaspiels mal wieder so richtig austoben wollten.
Der positive Ausweg aus der „Pleiteliga“ ist der Aufstieg in die finanziell nicht minder gebeutelte Dritte Liga. Doch hier gibt es wenigstens noch ein paar TV-Gelder und die Gegner klingen etwas attraktiver. Auch ist die Quote der Zweitvertretungen in der Dritten Liga bei weitem nicht so hoch, wie in der Regionalliga. In der abgelaufenen Saison waren es nur Bayern München, der VfB Stuttgart, Werder Bremen und Borussia Dortmund, die in der 20er Liga mit ihren „Amateuren“ antraten. In jene dritte Liga aufzusteigen hatten sich auch die Rot-Weissen aus Essen in diesem Jahr auf die Fahnen geschrieben, mussten sich aber schon sehr früh von diesem Ziel verabschieden. Eine Liga, in der nur der Meister aufsteigt, verzeiht einfach keinen miesen Saisonstart. Und um die Lage für die anderen Regionalligisten noch etwas aussichtsloser zu gestalten, existieren jetzt schon Pläne, den Aufstieg aus der vierten Liga noch etwas komplizierter zu gestalten. Gut möglich, dass bald selbst der Meister nicht mehr die Ausfahrt nach oben nimmt, weil er sich in einer Relegation mit anderen Regionalliga-Meistern messen muss.
Das Aus für Rot-Weiss Essen hat viele Gründe. Viele davon sind im Missmanagement an der Hafenstraße zu suchen, an einer gewissen Großmannssucht, die der Verein bis zuletzt an den Tag legte und an einer Mannschaft, die eigentlich stark genug war, ihr Potenzial aber letztendlich verschwendet hat. Neben Essen verabschiedet sich auch der Bonner SC aufgrund finanzieller Unzulänglichkeiten aus der Liga, sodass es der sportliche Abstiegskampf in der RL-West einmal mehr zu einer Farce verkommen ist. Wer weiß: Vielleicht findet sich ja noch ein dritter Pleiteverein, dann dürfte selbst der Tabellenletzte, die Eintracht aus Trier, im kommenden Jahr wieder viertklassig ran. Oder sind die auch schon insolvent? Ich weiß es nicht…
Preußen Münster wird im kommenden Jahr erneut einen Anlauf auf den Aufstieg starten. Noch geht es dem Verein gut. Die Hauptkonkurrenten dürften neben den Sportfreunden Lotte die Zweitvertretungen von Bochum und Köln sein. Auch der FC Schalke schickt seine zweite Mannschaft wieder ins Rennen. Letztendlich fehlten den Rot-Weissen Essenern zum heutigen Stichtag knapp 2,4 Millionen Euro, um die Lizenz für die kommende Spielzeit zu erhalten. Der letzte offizielle Schuldenstand des FC Schalke 04 lag bei mehr als 120 Millionen und somit gut 50 Mal höher.
Die Situationen auf Schalke und in Essen sind freilich nicht vergleichbar. Neben den absoluten Schulden spielt bei der Lizenzierung hauptsächlich die Frage eine Rolle, ob ein Verein eine kommende Saison ohne finanziellen Crash, der zu einem Rückzug der Mannschaft in der laufenden Spielzeit führen könnte, überstehen kann. Die DFL sieht dies bei Schalke als gegeben an. Der DFB hatte im Falle von Essen seine Zweifel. Soviel zu den Fakten. Ich kann es dennoch verstehen, wenn sich manch ein Fußballfreund in Momenten wie diesen die Frage nach der Gerechtigkeit stellt.
Nein, heute ist wirklich kein Tag, an dem alle Schalker singen sollten.
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6 Kommentare zu “„Der Tag, als Rot-Weiss Essen starb“”
Von RWE habe ich mehr erwartet als die Insolvenz so einfach hinzunehmen. Seinerzeit hat St. Pauli sich auch gerettet. Einmal durch seine fantastischen Fans und andererseits durch ein Managment das den Namen verdient hat. Es wäre doch wohl möglich gewesen irgendwie Schalke oder BVB von Benefitzspielen zu überzeugen. Das alles hatte sich doch schon lange angedeutet. Es ist traurig wie irgendwelche Stümper diesen Traditionsverein vor die Wand gefahren haben. Nun ist es vorbei. Vielleicht gibts ja einen erfolgreichen Neustart in einer unteren Liga und die Rot Weißen sind in wenigen Jahren da wo sie dieses Jahr schon hinwollten. Dieses geht aber nur mit einem Managment das mit Herzblut und Verstand dabei ist.
Als ehemaliger Nachbar und Straßenbolzer mit Helmut Rahn in Kindertagen berührt mich der wirtschaftliche Absturz von RWE.
Während meiner aktiven Sportlerzeit hatte ich als RWE-Amateur Gelegenheit, mit früheren Größen zu trainieren.
Nach einigen Jahrzenten Zeitabstand überwiegt die Sachlichkeit.
Missführung, unfähige Manager, Wunschdenken, Eitelkeit, Selbstherrlichkeit, Marketing, das seinen Namen nicht verdient hat,
sind nur einige Dinge, die in vielen wirtschaftlichen, politischen und sportlichen Bereichen den Ton angeben.
Fazit: Bescheidenheit und Selbsterkenntnis sind bessere Wegbegleiter, als Fanfarenbläser mit nicht realisierbaren
Traumbildern.
Persönlich wünsche ich RWE eine gesunde Zukunft und wieder
sportliche Erfolge. Eine ehrliche und zuverlässige Fangemeinde
wird immer hinter dem Verein stehen, wenn sauber gearbeitet wird.
Don Alfredo
Gut den Vergleich zu Schalke finde ich sehr unpassend,
aber lassen wir diese Diskussion, die kaum sachlich zu führen ist.
Ob und wie weit bei RWE auch Mißmanagement betrieben wurde,
vermag ich von außen nicht zu beurteilen. Ich glaube aber eher,
das hier eine Art „Marktbereinigung“ stattfindet. Um es mal in
BWL Deutsch zu sagen, NRW und besonders das Ruhrgebiet ist
fussballtechnisch massiv überversorgt. Allein im Pott tummeln sich
Vereine wie, Schalke, Dortmund, MSV, RWE, RWO, VFL usw.
Erweitert man diesen Kreis auf NRW kommen noch Münster, Arminia, Fortuna, Paderborn, Gladbach, Leverkusen usw. dazu.
(wenn ich jemanden vergessen habe – sorry)
Das ist wirtschaftlich und sponsorentechnisch kaum mehr
darstellbar. Allein im Pott saugen die beiden großen Schalke, bxb
wahrscheinlich 80% der Sponsorengelder weg. Auch junge Talente
gehen eher dorthin als zu RWO oder RWE. Auf Schalke „prügeln“
sich die Leute um Karten, während in der neuen MSV Arena der
Schnitt eher bei 50% Auslastung liegt. Damit ist im Grunde auch
schon diese Todesspirale der anderen Vereine beschrieben:
Wenig Zuschauer – wenig Geld – noch weniger Zuschauer – Abstieg
(Achtung damit meine ich nicht nur die Gelder aus direkten
Kartenverkäufen, sondern auch die indirekten Gelder)
Auch der VFL Bochum muss ganz schwer aufpassen, nicht in diese
Spirale zu kommen. Aus meiner Sicht müssen die schon kommende
Saison sofort wieder aufsteigen, sonst droht ihnen das gleiche
Schicksal. Das alles schreibe ich ohne jede Häme, ich glaube aber
(leider), das so die Fakten aussehen. Aus meiner Sicht ist es eher
wahrscheinlich, das Schalke und Dortmund 2020 in Arenen mit
100.000 Zuschauern spielen, als das RWE in der Bundesliga spielt.
Sorry Essen.
hallo, wer weiß mehr über magath, den aufsichtsrat und
die 30 millionen?was bezweckt magath, bereitet er (schon jetzt)
seinen abgang vor? in wolfsburg ist er ja wenigstens 2 jahre
geblieben.
was soll das alles?? (auch wenn nur 10% stimmen)
glück auf
RB Leipzig? Was ist los? Matthias, mach doch mal was! Wir brauchen doch jetzt Ruhe für die Tröten-WM!
Der Schalke-RWE Vergleich passt heutzutage wirklich nicht mehr. Dann schon eher um 93/94 rum und da möge man mir verzeihen, dass ich die Summen nicht mehr genau im Kopf habe, als RWE wegen Erschleichung (da ging es am Ende wohl um eine Summe von 3,5 Millionen D-Mark) die Lizenz entzogen bekam, während Schalke und Nürnberg mit Verbindlichkeiten jenseits der 20 Millionen DM-Grenze unbehelligt weiteragieren konnten. Und das war noch vor der Zeit von Uefa-Cups, riesigen Vermarktungsmöglichkeiten, ausverkauften Häusern und Logen en masse etc..
Naja, zumindest hat man sich gefangen und ist nun zügig wieder da von wo man sich ein Jahr zuvor verabschiedet hatte und schuldenfrei. Glück gehabt und jetzt wird dann hoffentlich auch mit ruhiger Hand weitergearbeitet. Selbst wenn man es sich irgendwann mit Stadiohn und Sponsoren wieder erlauben kann anzugreifen ist da wie du schon richtig geschrieben hattest trotzdem noch das Nadelöhr der Aufstiegsspiele. Warum genau kam man gleich nochmal die Idee die 3. Liga eingleisig zu fahren?