Eine wahrscheinlich weggeworfene internationale Karriere
Ich weiß wie es ist, als Mensch mit Migrationshintergrund aufzuwachsen: Ständig hin- und hergerissen zu sein zwischen zwei Welten um je nach Situation und Aufenthaltsort blitzschnell von der einen auf die andere Kultur umschalten zu müssen. Ich kenne dieses Gefühl, weder hier noch da richtig anerkannt zu sein und nicht zu wissen, wo das Herz schlägt, wo man geerdet ist, was das Wort Heimat überhaupt bedeutet. In welcher Sprache soll man träumen? Träumt man überhaupt in Sprachen?
Meine Mutter kommt aus Österreich.
OK, genug gescherzt und soviel muss als Einleitung für einen Gedanken, den ich schon seit Monaten in mir trage, reichen. Auch wenn meine ersten Worte nicht ganz ernst gemeint waren, möchte ich doch darauf bestehen, dass die Herkunft – auch und wenn es eine geteilte ist – einen Menschen durchaus bestimmen kann. Ich tippe mal keck darauf, dass im Schatten des Westfalenstadions mehr Borussia-Fans aufwachsen als als in Sichtweite eines Parkstadion-Flutlichtmasten. Und umgekehrt.
Ich hielt Joel Matips Entscheidung für Kamerun zu spielen von Beginn an für komplett falsch. Falscher als falsch. So falsch, dass eigentlich ein neues Wort für falsch erfunden werden müsste. Joel Matip gehörte zum WM-Kader der Mannschaft von Kamerun, die heute mit einem bedeutungslosen Spiel gegen die Niederlande das Turnier abschloss. Bereits nach zwei Spielen stand das Vorrundenaus fest. Das kann passieren und ist nun wirklich auch kein Beinbruch. Jedoch darf bezweifelt werden, ob Joel Matip nach dem Turnier überhaupt noch einmal für das Heimatland seines Vaters auflaufen wird. Denn sein Förderer, der französische Trainer Paul Le Guen, wird nach dem Weltmeisterschaft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Feld räumen müssen. Und bis auf diesen Trainer hatte Joel Matip in Kamerun nicht unbedingt viele Fürsprecher.
Zum WM-Auftakt durfte Joel Matip noch über die vollen 90 Minuten ran. Beim 0:1 gegen Japan spielte er ordentlich. Dennoch war es gerade der junge, unbekannte Matip, der nach dem Spiel von der Öffentlichkeit in Kamerun für die Niederlage verantwortlich gemacht wurde. Le Guen beugte sich dem öffentlichen Druck und verbannte den jungen Schalker auf die Bank, wo er das zweite und dritte Gruppenspiel erlebte. 90 Minuten gespielt, 180 Minuten auf der Bank gesessen. OK, es war immerhin eine WM, sicherlich für einen Spieler das größte aller Erlebnisse, dennoch frage ich mich: War es das wirklich wert?
Joel Matip kam in Bochum zur Welt. Seit 1997 spielt er für den FC Schalke 04. Er absolvierte seine Schulausbildung in Deutschland, baute an der Gesamtschule Berger Feld sein Abitur, besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft und dürfte das Land seiner Vorfahren bestenfalls aus ein paar Urlauben kennen. Seit der vergangenen Saison spielt er im Profikader der Schalker – und das mit beachtenswerten Leistungen. Seine Leistungen, die ihm sogar zeitweise einen Platz in der Stammelf einbrachten, wurden vom Verein mit Matips erstem Profivertrag gewürdigt. Der Rubel beginnt zu rollen.
Nicht wenige, die Joel Matip regelmäßig spielen sehen, erkennen sein überragendes Potenzial. Er ist ein bereits erstaunlich gut geschliffener Rohdiamant, dem nur noch ein paar Jahre an Erfahrung und das notwendige Quäntchen Glückfehlen, um ein ganz Großer zu sein. Seine Leistungen hatten ihm im Prinzip auch schon den Weg in die DFB-Auswahlteams beschwert. U19, U21 – er hätte beides noch spielen können mit der Perspektive, auch schon bald bei den Senioren im Nationaldress auflaufen zu können. Der Status eines deutschen Nationalspielers wiegt in der Bundesliga schwer. Die Vereinstrainer überlegen sich zweimal, ob sie einen deutschen Nationalspieler auf die Bank setzen können. Die Medien berichten noch ausführlicher und bringen im Schlepptau jede Menge Sponsoren mit. Bei Vertragsverhandlungen dürfte alleine das Label “Nationalspieler für Deutschland” ein paar hunderttausend Euro Gehalt wert sein.
Doch Matip entschied sich gegen eine DFB-Karriere und für Kamerun. Emotional nachvollziehbar, rational eine Dummheit. Zumal auch Felix Magath keinen Hehl daraus machte, dass er Matips Entschluss – nun ja – nicht gerade zum jubeln findet. Ein Spieler müsse schon außergewöhnlich gut sein, wenn er es sich leisten wolle, wochenlang für Qualifikationsspiele zum Africa-Cup durch die Gegend zu touren, ohne seinen Status im Verein zu gefährden, ließ der Trainager kurz nach Matips Entschluss verlauten.
Kamerun beendete heute die WM nach einem 1:2 gegen die Niederlande als Gruppenletzter ohne Punkt. Für Joel Matip ist die WM heute beendet. So leid es mir tut, aber ich bin mir sicher, dass er mit seinem voreiligen Entschluss eine große internationale Karriere leichtsinnig weggeworfen hat. Schade.
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