Der, der sich gegen Dortmund nicht einmal umzog

09. Dez. 2010 | 2 Kommentare

... mit Bildern von Spielern und Texten

Im Rahmen einer kleinen Serie veröffentliche ich Auszüge aus einer rund 36 Jahre alten Kladde einer damals jugendlichen Anhängerin und nehme dies zum Anlass, selbst ein wenig in Erinnerungen zu schwelgen. Jeder Leser dieser Seite ist eingeladen, es mir gleichzutun.

Das wird Helmut Kremers‘ fußballerischen Verdiensten für Schalke jetzt nicht gerecht, aber für mich wird er immer der Mann sein, der mit dem markigen Spruch „Gegen Dortmund haben wir uns früher noch nicht einmal umgezogen!“ eine Mitgliederversammlung auf den Kopf stellte und sich im Handstreich zum Vereinspräsidenten wählen ließ. Im Sommer 1994 war das, ich hatte gerade im Sauerland mein Abitur gebaut und in Gelsenkirchen gab es ein letztes Aufbäumen des „alten Schalke“.

Im Jahr zuvor hatte Sonnenkönig Günter Eichberg die Brocken hingeworfen und ein Machtvakuum hinterlassen. Füllen sollte dies der ostwestfälische Fleischfabrikant Bernd Tönnies. Tönnies wurde zwar als Schalke-Fan durch und durch angepriesen, doch dummerweise war er noch kein ganzes Jahr Mitglied im Verein. Ein Problem, weil sich damals nur Mitglieder um das Präsidentenamt bewerben durften, die mindestens volle 12 Monate ihren Beitrag bezahlt hatten. Derartige Kleinigkeiten waren damals auf Schalke jedoch nur reine Formsache. Bei der Jahreshauptversammlung im Februar 1994 wurde einfach mit einer 2/3-Mehrheit die Satzung geändert. Mit der „Lex Tönnies“ im Rücken bestieg der Ostwestfale den Thron.

Bernd Tönnies verstarb kurz nach seiner Wahl am 1. Juli 1994 nach langjähriger Krankheit. Die Wahl-Arena war plötzlich wieder freigegeben. Die außerordentliche Jahreshauptversammlung im September 1994 wurde sogar vom WDR-Hörfunk in voller Länge live übertragen, obwohl das Wahlergebnis eigentlich schon feststand. Denn mit Volker Stuckmann hatten sich die Vereinsverantwortlichen längst für einen Tönnies-Nachfolger entschieden, den es nun nur noch auf den Präsidentenstuhl zu heben galt.

Der Westdeutsche Rundfunk bewies damals einen extrem guten Riecher und bescherte mir einen ereignisreichen Radioabend. Denn die Versammlung verlief so gar nicht wie geplant. Stuckmanns Rede traf nicht den Nerv der Anwesenden, stattdessen stürmte Helmut Kremers die Bühne und beschwor die guten alten Zeiten. Mit seinem Satz „Gegen Dortmund haben wir uns doch damals gar nicht umgezogen!“ erntete er nicht nur grenzenlosen Jubel – zugegeben: auch ich jubelte am Radio mit -, sondern auch die Mehrheit der Stimmen.

Kremers‘ Präsidentschaft stand unter keinem guten Stern. Hinter den Kulissen arbeiteten die Vereinsverantwortlichen unter der Führung von Manager Rudi Assauer daran, den Wahlunfall so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Es gelang im Herbst nach einer selbst für „alte Schalker Verhältnisse“ bemerkenswerten Schlammschlacht. Helmut Kremers ging als der letzte „echte“ Präsident des FC Schalke 04 in die Chroniken ein. Fortan waren die Kompetenzen des Vereinschefs durch eine Mustersatzung, die der FC Schalke zusammen mit dem DFB erarbeitet hatte (und die wohl auch der Hauptgrund war, warum S04 in den damals sehr turbulenten Zeiten überhaupt eine Lizenz erhielt), extrem begrenzt. An die Stelle der allmächtigen Alleinherrscher trat ein für Schalke sehr untypisches Konstrukt aus Vorstand, Aufsichts- und Verwaltungsrat. Mit Ausnahme von ein paar minimalen Modifikationen ist diese Satzung, mit der Schalke seit 1994 erfolgreich fährt, noch heute gültig.

Felix Magath sollte sich einmal Roman Kolbes Serie „Die schönsten Skandale des FC Schalke 04“ im „Schalke Unser“ durchlesen. Dort geht es in Folge 27 (eine Direkt-Verlinkung ist leider nicht möglich) um genau diese wilden Tage, in denen Schalke gleich mehrmals am Rand der Klippe und vielleicht schon eineinhalb Schritte weiter stand. Vielleicht würde er dann verstehen, warum die Vereinsmitglieder ein sehr feines Gespür dafür haben, wenn es darum geht, ihre Satzung möglichst unangetastet zu lassen. Vielleicht wäre er dann nicht mehr beleidigt über die gescheiterte Satzungsänderung im Sommer, sondern ganz im Gegenteil ein Stück weit stolz auf den Verein und seine Mitglieder. Und Helmut Kremers kann sich auf die Fahnen schreiben, dass er es war, der mit seiner Rede der alten Skandalnudel Schalke den Garaus machte und den Anstoß dafür gab, den Verein auf ein gesünderes Fundament zu stellen.

Lesetipp: Im letzten Jahr feierten Helmut Kremers und sein Bruder Erwin ihren 60. Geburtstag und gaben der WAZ ein kurzweiliges Interview.

Abgelegt unter Schalke

2 Kommentare zu “Der, der sich gegen Dortmund nicht einmal umzog”

  1. Andi M.am 9. Dezember 2010 um 19:09 1

    Dieses Radioerlebnis hatte ich damals auch. Das war ganz großes Kino, nur kurz unterbrochen von Gesinnungsmusik. Und Kremers Rede hallte lange
    in mir nach ,und hallt und hallt..

  2. Carlitoam 12. Dezember 2010 um 20:04 2

    Ach ja, die guten alten Zeiten…

    *ggg*