Das Worst-Case-Szenario?
Seit nun fast zehn Jahren geistert der grandiose Text „Es gibt keine Bayern-Fans“ von Johannes Keller, veröffentlicht im September 1998 in der taz, durch das Internet. In diesem Meisterwerk der Fußball-Polemik geht es im Kern darum, dass zwar durchaus Menschen existieren, die glauben ein Fan der Bayern zu sein, es ihnen aber am wichtigsten fehlt: der Verzweiflung. Als ich den Text damals zum ersten Mal gelesen habe, hat er meine Einstellung zum Fußball ein Stückweit verändert. Im Jahr zuvor war Schalke UEFA-Cup-Sieger geworden, die Ansprüche bei den Fans waren dementsprechend gestiegen. Aus der „Hoffnung auf kein Misserfolg“, die bis dahin mein gesamtes Fanleben lang ein Naturgesetz war, wurde um mich herum urplötzlich die „Forderung nach Erfolg“. Ich möchte hier nun gar keine „Gute Fans vs. schlechte Fans“ oder „Allesfahrer vs. Arena-Touristen“-Diskussion starten. Worum es mir geht – und das darf man mir glauben oder nicht – ist: Ob Schalke am 19. Mai Meister wird oder nicht wird meine Einstellung zu diesem Verein nicht ändern. Ein zweiter oder dritter Platz am Ende dieser Spielzeit wäre alles andere als das Worst-Case-Szenario.
Ich glaube, ich war am 19. Mai 2001 einer der wenigen Fans im Parkstadion, die ob der „Meisterschaft der Herzen“ nicht bitterlich weinten. Im Gegenteil! Ich erinnere mich sogar gern an diesen Tag zurück. Das Hoffen, das Bangen, der Jubel, das Gefühl endlich Meister zu sein und dann der Rückschlag – in diesem Moment wusste ich, warum ich Fußballfan bin. Und ich wusste auch, dass mir der Fußballgott zwar gerade etwas unglaublich Großes genommen, mir dabei gleichzeitig aber auch ein unermesslich großes Geschenk gemacht hatte: Die Möglichkeit, noch einmal zum ersten Mal im Leben Deutscher Fußballmeister zu sein.
Dieses „erste Mal“ – ich hatte es ja schon ein paar Minuten lang. Ich weiß, wie es sich anfühlt. Wäre es damals das „echte erste Mal“ gewesen, ich hätte dieses Gefühl nie wieder erleben dürfen, denn es wäre das zweite, dritte oder x-te Mal geworden. Eben nicht das erste.
In diesem Wissen gehe ich zwar mit einer unglaublichen Anspannung in das bevorstehende Saisonfinale, doch immer auch in der Gewissheit, dass Schalke überhaupt nichts mehr zu verlieren hat, dafür aber alles gewinnen kann. Und wer weiß: Vielleicht gewinnen wir sogar mein erstes Mal.
Wo wir gerade beim Thema „gewinnen“ sind: Ich habe mich heute für den Fall, dass Schalke nicht Meister wird, versichert. Dafür habe ich bei einem Wettanbieter zwei Einsätze getätigt. 5 Euro darauf, dass Bremen Meister wird (würde 20,20 Euro Gewinn bringen) und 7,90 Euro darauf, dass Stuttgart die Schale holt (würde 20,15 Euro Gewinn bringen).
Im finanziellen Worst-Case-Szenario verliere ich 12,90 Euro. Hand auf’s Herz: Das ist es mir wert!
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