„Schnellverfahren sind eines Rechtsstaates nicht würdig“
Ich war nicht dabei. Genau deshalb hat es mich interessiert, was denn nun wirklich passiert ist in Valencia. Das Sportliche bekommt man natürlich mit. Doch als am Mittwochmorgen die ersten Nachrichten von „drei Schalker Fans“, die Runde machten, die nach „Randalen und Angriffen auf Sicherheitskräfte“ festgenommen und im Schnellverfahren zu Haftstrafen verurteilt worden waren, formte sich vor meinem inneren Auge das Bild von marodierend durch die Altstadt von Valencia ziehenden Hooligans. Gleichzeitig erinnerte ich mich aber an einen Bericht im „Auswärtssieg“, der zum Teil ungeheuerliche Repressalien gegen ganz normale, friedliche Schalke-Fans am Rande der CL-Partie in Lissabon thematisierte und daran, dass der FC Schalke 04 bereits im Vorfeld der Partie einen Sicherheitsbeauftragten von der UEFA angefordert hatte. Die Begründung für diese ungewöhnliche Maßnahme war, dass es in letzter Zeit häufiger Spannungen zwischen deutschen Fußballfans und spanischen Sicherheitskräften gegeben habe, an denen die Ordnungsmacht nicht immer unschuldig war. Rechtsanwalt Thomas Wings aus Gladbeck war beim Auswärtsspiel in Valencia zugegen. Via e-Mail befragte ich ihn, wie er die Szenerie beobachtet hat und beurteilt.
Thomas, du warst unter der Woche in Valencia vor Ort und hast das Spiel unserer Schalker live im Mestalla-Stadion verfolgt. Welche Eindrücke hast du aus Valencia mitgebracht?
Nach 1997 war ich nun zum zweiten Mal bei einem Spiel unserer Königsblauen in Valencia. Wie schon damals war es auch dieses Mal ein großartiges Erlebnis. Internationale Auswärtsspiele haben ein ganz besonderes Flair, wozu die charmante Altstadt von Valencia rund um die Kathedrale beigetragen hat, ebenso wie der Anblick der zeitgenössisch modernen Architektur, wie etwa der des 2005 fertiggestellten Opernhauses. Für mich sind solche Auswärtsfahrten immer ein perfektes Zusammenspiel zwischen dem Feiern einerseits und dem Sammeln neuer kultureller Eindrücke andererseits.
Die Meldung, zwei Schalke-Anhänger seien in Spanien in einem Schnellverfahren zu Haftstrafen verurteilt worden, schlug hohe Wellen. Obwohl sonst nichts über Ausschreitungen in Valencia zu lesen war, hat sich bereits das Bild verfestigt, ein blau-weißer Mob habe die Altstadt auseinandergenommen. Was hast du von diesen Vorfällen mitbekommen?
In der Stadt habe ich persönlich keinerlei Ausschreitungen beobachtet oder mitbekommen. Im Gegenteil war alles sehr friedlich und fröhlich. Allerdings soll es zu der Festnahme zu einer Zeit gekommen sein, in der ich mich im Hotel befand. Aufgefallen ist mir vom ersten Tag an die in der Innenstadt ständig stärker wahrzunehmende Polizeipräsenz.
Wie äußerte sich diese Präsenz?
Sie war für mein Empfinden am Stadion schon fast unheimlich. Es war nicht nur die Masse an Mitarbeitern der Nationalpolizei, die sich vor dem Schalker Block postiert hatte, sondern auch ihr Auftreten: Zahllose berittene Polizisten sorgten unmittelbar am Eingang nicht gerade für eine fröhliche Fußballatmosphäre. Die nicht berittenen Polizisten waren in schier unüberschaubarer Anzahl vor dem Stadion anwesend – sämtlichst in „Kampfmontur“. Wirklich jeder eingesetzte Polizist trug schwere Kampfkleidung sowie einen aufgesetzten Helm mit Schutzplastik vor dem Gesicht.
Und wie war es im Stadion?
In unserem Block hatten meine Frau und ich das zweifelhafte Vergnügen, relativ nah am Ausgang zu sitzen. Hier verrichteten Polizisten ihren Dienst, den sie darin sahen, die Gänge freizuhalten. Dies dummerweise auch vor dem Spiel, was dazu führte, dass die Besucher ständig weggescheucht und weggeschubst wurden, auch wenn sie sich in dem unglaublich hoch gebauten Stadion alter Bausubstanz erst mal orientieren mussten.
Das hört sich nicht gerade nach lockerer Spieltagsatmosphäre an.
Man hatte während des gesamten Spiels den Eindruck, dass ein Funke ausreichen würde, um die Stimmung kippen zu lassen, was glücklicherweise nicht geschah. Es mag für die Polizei sicherlich nervig sein, sich in einer Gruppe feiernder Menschen zu befinden, die sie vielleicht nicht leiden können und die zu einem Gutteil auch alkoholisiert waren. Aber meine Beobachtung war, dass auch die freundliche und lustig gemeinte Ansprache der Fans an die meist sehr jungen Polizisten mit Aggressivität beantwortet wurde. Eine Ausnahme will ich aber machen: Ein älterer Polizist – auch in voller Montur – war sehr freundlich und höflich und ging auf die Zuschauer in einer angemessenen Art zwischen Autorität und Humor ein. Seinen jungen Kollegen ging das gänzlich ab.
Ohne einen pauschalen Vorwurf in die eine oder einen Freispruch in die andere Richtung formulieren zu wollen: Kann es sein, dass man als ausländischer Fußballfan in Spanien ohne eigenes Zutun in eine missliche Lage reinrutschen kann?
Meine Sorge war der schon erwähnte Funke, der die Situation zum Überschäumen hätte bringen können. In einigen Momenten traf polizeiliche Humorlosigkeit auf alkoholgeschwängerte Zuschauer. Wenn es dort im Block zu einer vorläufigen Festnahme gekommen wäre, hätte die Situation derart eskalieren können, dass auch unbeteiligte Dritte um ihre Sicherheit (auch die Sicherheit vor der Polizei) hätten fürchten müssen. Die jungen Polizisten in ihrer Kampfmontur vermittelten schon den Eindruck, dass sie jederzeit brutal und ohne Ansehen der Person hätten vorgehen können. Sie waren auch sichtlich genervt von einigen betrunkenen Fans. So sehr ich nachvollziehen kann, dass man von so was genervt sein kann, war ich mir nicht sicher, ob die jungen Polizisten stets das Gebot der Verhältnismäßigkeit im Kopf hatten. Der spanischen Polizeiführung will ich den Vorwurf machen, dass bereits das martialische Auftreten alles andere als deeskalierend wirkte und durchaus als provozierend empfunden werden konnte.
Das Problem ist, dass man bei Auseinandersetzungen schnell in eine Art Sippenhaft genommen werden könnte. Sich dann gegen solche Vorwürfe zu verteidigen, vor allem weit weg von gewohnter Umgebung und Sprache, ist nahezu unmöglich.
Zwei der Festgenommenen sind in „Schnellverfahren“ zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt worden. Sind Schnellverfahren auch in Deutschland möglich, oder ist es eine spanische Eigenart?
Auch in Deutschland gibt es die Möglichkeit von Schnellverfahren. Das sogenannte „beschleunigte Verfahren“ ist in den §§ 417-420 der Strafprozessordnung geregelt. Glücklicherweise sind solche Verfahren bei uns die absolute Ausnahme und werden meistens nur anlässlich spektakulärer Großveranstaltungen, wie etwa des Gipfeltreffens in Heiligendamm angewendet.
Hältst du diese Schnellgerichtsbarkeit für sinnvoll?
Ganz klare Antwort: Nein. Schnellverfahren sind in meinen Augen eines Rechtsstaates nicht würdig. Sie schränken die Verteidigungsrechte massiv ein. Selten hat man rein praktisch Zugang zu einem Verteidiger, es wird keine Anklageschrift zugestellt, Zeugen müssen nicht vernommen werden, das Verlesen von Zeugenaussagen soll ausreichen und, und, und.
Die politische Intention solcher Verfahren hat den populistischen Inhalt, „die Strafe solle der Tat auf dem Fuß folgen.“ Das mag ja sein. Aber für mich sind rechtsstaatliche Prinzipien wichtiger, denn zunächst sind die Fragen der Schuld und des richtigen Strafmaßes im Falle der Schuld in einem geordneten Verfahren zu klären. Schnellschüsse aus dem Bauch heraus sind selten richtig.
Der Staat mag, wenn er das Prinzip der raschen Bestrafung für so wichtig hält, die Justiz lieber mit angemessenen Mitteln ausstatten, damit genügend Personal vorhanden ist, welches ein Verfahren unter Beachtung aller rechtsstaatlichen Vorschriften in der gebotenen Zeit über die Bühne bringt. Das geht nämlich! Man muss es nur wollen.
Der erste Angeklagte wurde zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Es heißt, er habe seine Tat gestanden und das Urteil akzeptiert. Bedeutet das nicht, dass sämtliche Zweifel an seiner Schuld und den Umständen seiner Verhaftung ausgeräumt sind?
Ich könnte das menschlich schon verstehen, wenn er das Urteil sofort akzeptiert hätte. Das ist ja das Problem solcher Schnellverfahren. Ohne Beratung ist mir völlig egal, was passiert – Hauptsache ich bin schnell wieder draußen. Auch so kommen übrigens Geständnisse zustande, von denen man dann nicht wieder herunterkommt. Ich habe in meiner Tätigkeit schon öfters vor der Situation gestanden, in denen Mandanten vor dem Ermittlungsrichter oder der Polizei „gestanden“ haben – in der Hoffnung, dann raus zu kommen. Wenn sie aber „gelinkt“ worden sind, ist guter Rat teuer. Denn dieses „freiwillige“ Geständnis ist wie Beton in der Akte.
Eine Freiheitsstrafe von einem Jahr – wenn auch auf Bewährung ausgesetzt – ist schon eine Menge Holz. Wie bewertest du dieses Strafmaß?
Ob das Strafmaß in Ordnung ist, kann ich mangels genauer Kenntnis des Vorwurfes nicht sagen. Aber ein Jahr Haft ist schon eine massive Strafe, sei es nun auf Bewährung oder nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier ein Polizist solche Verletzungen davon getragen hat, die so was rechtfertigen würden. Aus dem Gefühl heraus handelt es sich um eine überharte Strafe, die nur abschrecken soll.
Zwei der drei Verhafteten sollen mittlerweile längst wieder auf freiem Fuß und in Deutschland eingetroffen sein. Für den Laien sieht es so aus, als sei den Delinquenten nur „auf die Finger gehauen“ worden.
Mit etwas Glück haben die Betroffenen durch die Strafe in der Tat wenig bis keine Nachteile. Natürlich müssen sie bei jedem Urlaub in Spanien oder auf den spanischen Inseln aufpassen, dass sie nicht wieder in eine brenzlige Situation geraten. Aber das sollte man ja sowieso. In Deutschland wird in der Regel eine spanische Verurteilung nicht berücksichtigt, sollte es mal zu einem Strafverfahren kommen. Es sei denn, im Rahmen dieses Verfahrens würde man den Richter und die Staatsanwaltschaft mit der Nase auf das spanische Urteil stoßen. Aber das muss ja nicht sein, denn die goldene Regel für alle Verteidigungen, die man nicht oft genug wiederholen kann, lautet: „Schweigen ist Gold.“
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Rechtsanwalt Thomas Wings, dem ich für seine Antworten herzlich danke, betreibt das recht junge, sehr lesenswerte Blog „Höchststrafe“, in dem er mit einem kleinen Augenzwinkern aus der „Unterwelt“ – sprich: seiner Tätigkeit als Strafverteidiger – berichtet. Auf Twitter ist er als tommes04 aktiv.
Beim oben gezeigten Bild handelt es sich um einen Screenshot aus diesem Youtube-Video, das die Ausschreitungen in Valencia zeigen soll. Ich gebe zu, nicht allzu viel auf dem Video erkennen zu können. Zum Glück gibt es aber auch friedliche Filme in besserer Qualität aus Valencia, wie dieses hier vom Marsch der Fans zum Stadion, oder dieser Eindruck aus der Bar von Trommler „Manolo“. Ãœberhaupt gefallen mir Bilder von singenden Fans immer besser. Denn genau so sollten Auswärtsfahrten ablaufen.
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8 Kommentare zu “„Schnellverfahren sind eines Rechtsstaates nicht würdig“”
sehr lesenswert – vielen Dank!
Ein juristisches Thema beim schalkefan? Wo bin ich denn jetzt gelandet? Da musste aber aufpassen, dass der Guttenberg nicht bei dir abschreibt 😉
Im Ernst jetzt: Danke an dich und den Anwalt. Ich will Radaubrüder gar nicht in Schutz nehmen, aber so langsam nehmen diese Meldungen von „Randale – Verhaftung – Blitzgericht – Haftstrafe“ echt Ãœberhand (siehe auch Sevilla – Zecken in der Euroliga). Ich weiß nicht, ob ich mich widerstandslos schubsen lassen würde, wenn ich überhaupt nichts getan habe, außer meinen Platz zu suchen.
Das alles schreibe ich natürlich in Unkenntnis dessen, was in Valencia wirklich passiert ist. Aber trotzdem ist es gut, dass du dieses heiße Eisen angepackt hast.
Sehr interessantes Interview. Noch interessanter wäre jetzt zu wissen, was tatsächlich bei den Angeklagten und schlussendlich verurteilten vorgefallen ist, aber das wird man sicherlich nicht vollkommen neutral heraus bekommen. Leider.
Richtig, das wird man wohl nie herausbekommen. Ich glaube sogar, dass drei Leute, die daneben gestanden haben, vier verschiedene Stroys erzählen würden. Und natürlich wäre immer die andere Seite schuld.
Aber das mit dem „vollkommen neutral“ war genau der Grund, warum ich Thomas Wings kontaktiert hatte. Denn ich persönlich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eine ordentliche Aufklärung inklusive Verhandlung innerhalb von einer Nacht stattfinden kann.
Was wirklich passiert ist, weiß ich nicht. Und deshalb werde ich mich weder auf die Seite der „Hools“ noch auf die Seite der Ordnungshüter schlagen. Mir ging es um Thomas‘ Einschätzung als Strafverteidiger.
„Denn ich persönlich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eine ordentliche Aufklärung inklusive Verhandlung innerhalb von einer Nacht stattfinden kann.“
Das kann ich mir allerdings auch nicht vorstellen. Dafür ist diese Art der Verhandlung vermutlich aber auch nicht gedacht, sondern um möglichst schnell ein möglichst abschreckendes Exempel zu statuieren.
Und das sollte auch kein Vorwurf an Dich oder Herrn Wings sein, ganz im Gegenteil, ich fand die Einschätzung wie gesagt auch sehr interessant und kann Eure Meinung nur teilen.
Ich habe es auch ehrlich nicht als Vorwurf verstanden.
Oder hätte ich sollen? 😉
Nein! Gott bewahre! 😉
120 Schweine nach Beirut! Wunderbar, jetzt läuft Mike Krüger mal wieder 2 Tage rauf und runter…