Zu Gast im Stadion an der Restmülldeponie
Ich traue es mich ja kaum zu schreiben, aber für mich war der Besuch der Allianz-Arena am Samstag eine Premiere. Zum ersten Mal sah ich das Schlauchboot im Schatten der Restmülldeponie München Nord-West von innen, nachdem ich zuvor – ohne Übertreibung – mindestens 30 Mal auf dem Weg nach Österreich und wieder zurück daran vorbeigefahren bin. Im Vorfeld hatte ich nahezu alles über das Stadion gehört. Das Spektrum reichte von „Fußballtempel“ bis hin zu „Zweckbau ohne jeden Charme“. Nur eines sprach niemand der Arena ab: dass sie wirklich eine Riesenschüssel ist.
Los ging es für uns am Freitag um Mitternacht. Unsere kleine Reisegruppe des Schalke Fanclubs Münster hatte sich dem Fanclub Emsdetten angeschlossen, mit dem zusammen wir schon einige Auswärtsreisen bestritten haben. Nach mehr als 10-stündiger Fahrt erreichten wir am Samstagvormittag München und konnten unsere Zimmer in einem Hostel im erweiterten Stadtzentrum beziehen. Anschließend folgten wir der Einladung der „Isar Schalker“, die seit Jahren das Auswärtsspiel in München mit einem Frühschoppen für die zumeist weit angereisten Schalker garnieren.
Es ging zum „Muffatwerk“, einem ehemaligen Elektrizitätswerk, das heute als Kulturzentrum genutzt wird. Dort, so heiß es, solle aus königsblauer Sicht der Bär steppen. Es waren auch tatsächlich viele, viele Schalker da, als wir an der Halle mit angeschlossenem Biergarten ankamen, der Bär blieb jedoch fußlahm.
Vielleicht lag es daran, dass wir zur falschen Zeit da waren. Vielleicht auch daran, dass hinter uns eine Nacht im Reisebus lag. Vielleicht tue ich den Isar-Schalkern jetzt auch fürchterlich unrecht – aber einen Schalker Frühschoppen stelle ich mir anders vor, vor allen Dingen geselliger und preisgünstiger. Nach einer Stunde entschlossen wir uns, die Szenerie zu verlassen. Schade, ich hatte mich eigentlich auf dieses Highlight für jeden München-Fahrer gefreut. Vielleicht demnächst mal.
Nach dem Fantreff zogen wir in die Stadt, wo wir an allen Ecken Schalker trafen und sich so manches nette Gespräch entwickelte. Dann wurde es auch schon Zeit, in Richtung der Restmülldeponie aufzubrechen. Da der FC Bayern es als meines Wissens einziger Bundesligist nicht geschafft hat, sich mit den örtlichen Verkehrsbetrieben auf eine „Eintrittskarte als Fahrschein“-Regelung zu einigen, zogen wir zwei Gruppentickets und begaben uns auf die kaum enden wollende Reise per U- und S-Bahn. Gut eine halbe Stunde dauert es, bis man aus der Innenstadt am Stadion ankommt. Doch damit ist man noch lange nicht am Ziel.
Denn hat man erst einmal den „Stadionbahnhof“ erreicht, wartet noch ein gut zwei Kilometer langer Fußmarsch über eine einzige Zuwegung. Ganz offensichtlich war es den Stadionplanern wichtiger, möglichst viele Parkdecks in direkter Stadionnähe anzulegen, als das gemeine Fußvolk zu transportieren.
Bei Sonnenschein und warmen Wetter wie am Samstag war das natürlich kein Problem. Bei typisch münsterschem Meimelwetter – und dem Vernehmen nach soll es auch in München ab und zu regnen – stelle ich es mir aber recht nervig vor, mir auf zwei Kilometern im beengten Tippelschritt den Arsch nass regnen zu lassen.
Im Stadion selbst wartet die letzte Fitnessprobe: die „normalen“ Gästeplätze liegen im obersten Winkel des Oberrangs und sind nur über eine unendlich lange Treppe zu erreichen. Auf dem Gipfel des „Mount Restmülldeponie“ angekommen genossen wir den Ausblick auf die Halde und durften uns gegen ein branchenübliches Entgelt mit Kaltgetränken unserer Wahl stärken. Wie mittlerweile allerdings üblich wurde uns der Verzehr nur in der Verkaufsgalerie gestattet. Einen Bierbecher mit in den Block nehmen zu dürfen scheint eine allmählich verblassende Erinnerung älterer Auswärtsfahrer zu werden.
Die Galerie mit ihren Verkaufsständen (wobei jeder zweite Stand ein FC-Bayern-Fanshop ist) bestätigte das, was ich bereits gehört hatte: Sie ist sehr steril und sehr weiträumig gehalten. Irgendwann scheint ein schlauer Stadionplaner auf die Idee gekommen zu sein, dass Fußballveranstaltungsstätten von innen wie Parkhäuser auszusehen haben. In München wurde dieser Gedanke bis ins letzte Detail umgesetzt. Alles wirkt irgendwie zu groß, zu bullig und zu sehr wie das siebte Untergeschoss eines Großstadtparkhauses, dass gleichzeitig als Atombunker genutzt werden kann.
So sehr meine Berichterstatter mit der Industriebrachen-Atmosphäre auf dem Stadionvorplatz und dem Betonruinen-Charme in der Verkaufsgalerie recht hatten, so sehr muss ich ihnen beim Eindruck widersprechen, der sich den Besuchern in den Blöcken eröffnet. Denn die Allianz-Arena ist keinesfalls zu steil, die Sitze sind keinesfalls zu eng und die (zumeist arg betagten) Block-Ordner sind auch alles andere als unfreundlich.
Man kommt gut rein, man sitzt gut und man sieht auch von den eher billigen Plätzen (wobei man bei 35 Euro Eintrittspreis darüber trefflich streiten kann) trotz der Entfernung ordentlich. Für meinen Geschmack war es sogar schon zu ordentlich, aber das lag wohl eher am miesen Spiel der Schalker.
Unerträglich ist das Vorprogramm in der Allianz-Arena. Ich will hier jetzt gar nicht die große Kommerzialisierungs-Diskussion aufwärmen. Das würde angesichts der Schalker Böcklunder-Fanbox, Arzneimittelwerbung bei Fouls und dem sonstigen Quatsch, der auch in Gelsenkirchen längst geboten wird, wie ein Schlagball-Weitwurf im Gewächshaus wirken. Jedoch findet dieser ganze Kladderadatsch in Gelsenkirchen bei kommoder Lautstärke statt. In München nicht. Dort brüllt einem ein penetrant gut gelaunter Glatzkopf unentwegt in den Gehörgang. Und wenn Meister Propper gerade mal nicht labert, übernimmt 08/15-Chartmusik die Bedröhnung. Gesänge der Heimfans oder gar Stadionatmosphäre können so gar nicht aufkommen. Auch der Einlauf der Mannschaften wird von drei bis vier unterschiedlichen Jingles begleitet. Dass das Spiel begonnen hat, bemerkt man erst daran, dass es plötzlich still wird im Stadion. Mucksmäuschenstill.
Die Münchner „Schickeria“ hat sich mit dieser Dauerbeschallung arrangiert und wechselt ihre Spruchbänder in einer Geschwindigkeit, die den „kicker“-Ticker in den Schatten stellt. Eben noch wird ein breites Banner mit Kritik an RB Leipzig hochgehalten, dann präsentiert man schon Geburtstagsglückwünsche für Franz „Bulle“ Roth, nur um Sekunden später schon wieder ein thematisch anderes Fass aufzumachen.
Was danach folgte, habe ich vergessen.
Nach dem Spiel ging es im Trippelschritt zurück über die Parkplätze zum Stadion-Bahnhof. Etwa zwei Stunden nach dem Abpfiff waren wir endlich wieder in der Stadt angekommen und beschlossen den Abend im erstbesten Gasthaus ausklingen zu lassen. Wir fanden eine Augustiner-Schenke (nicht sonderlich schwer, denn jedes zweite Gasthaus in München scheint eine Augustiner-Kneipe zu sein) mit riesigem Biergarten, die sich als wirklich muckelig herausstellte. Ein paar andere Schalker hatten sich hier breitgemacht und ebenso ein paar Bayern-Fans. Die meisten der einheimischen Fans waren jedoch zu dieser fortgeschrittenen Stunde schon merklich jenseits von Gut und Böse und versuchten uns in ein Gespräch zu verwickeln, was allein schon daran scheiterte, dass Mundart und hammerbreit sein nicht gerade kommunikationsfördernd ist.
Nach dem Schlummertrunk ging’s ins Bett. Die Rückfahrt am nächsten Morgen gestaltete sich für mich sehr kurzfristig. Einmal wach werden in Nürnberg, einmal wach werden in Kassel und ein drittes Mal in Werl – schon war Münster fast erreicht. Das war sie dann also, meine Münchner Erfahrung.
Mein Fazit ist dasselbe wie nach Hoffenheim, Kaiserslautern, Nürnberg, Gladbach und Leverkusen: Bis auf das Fußballspiel war es eigentlich ganz nett. Gerne wieder. Nur dann bitte mit echtem Fußball.
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6 Kommentare zu “Zu Gast im Stadion an der Restmülldeponie”
da hast du dieses stadion und die umgebung ja noch ziemlich gnädig beschrieben. ich war bisher 3x dort und finde es – gelinde gesagt – beschi..en.
allein die zuwegung zum stadionbahnhof ist eine zumutung ! besonders nach spielende, wenn zigtausende dorthin zurück müssen …
Ich sage´s ja schon immer, dass diese Arena von Palast soweit entfernt ist wie der Mond – und der ist ganz schön weit weg, wie wir in diesesn Tagen immer wieder hören! ;-)) Man wolte mir eine Karte für dieses Spiel am Samstag schnenken. Ich habe dankend abgelehnt!
tja und kaum meckert man über die Zustände bezüglich An- und Abreise in München tut unser Verein sein Bestes um gleich zu ziehen….
Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es ab der nächsten Saison für uns aller Voraussicht nach auch nicht… Aber dafür werden „großzügigerweise“ die Dauerkartenpreise nicht weiter erhöht … Die Mehrkosten für 17 Tagestickets finde ich auch mehr als ausreichend -.-
Ja, sehr ärgerlich und meines Erachtens auch das falscheste aller umwelt- und verkehrspolitischen Zeichen – sowohl vom FC Schalke 04 als auch vom VRR und der Bogestra. De facto ist es sogar eine Eintrittspreiserhöhung, bzw. – wenn man es so nicht nennen möchte – eine Gewinnmaximierung. Denn nun entfallen die paar Cent VRR-Gebühr pro Ticket für den FC Schalke, der Karten-Endpreis bleibt dennoch identisch.
Auch wenn ich in der letzten fünf Jahren nur exakt einmal mit dem Zug zum Spiel gereist bin, hoffe ich, dass es sich hierbei lediglich um ein öffentliches Säbelrasseln des Vereins gegenüber dem VRR und der Bogestra handelt. Die Formulierung „… wird vermutlich nicht zustande kommen …“ lässt da eine gewisse Restchance. Interessant wird es, wenn man schaut, ob der VfL Bochum ähnliches plant, schließlich gehört er ebenfalls zum VRR/Bogestra-Gebiet.
Hier geht es übrigens zur betreffenden Meldung auf schalke04.de.
Na das wäre aber schon sehr bitter, wenn das nicht noch geregelt werden könnte. Allerdings will ich den Schaffner mal sehen, der sich nach dem Spiel traut durch die komplett überfüllten Straßenbahnen zu gehen und die Tickets sehen will…
Das Topspiele jetzt „nur noch“ 19€ kosten ist ja auch eine wirklich großartige Leistung 😛 Aber immerhin etwas. Zwar nochnichtmal ne Wurst gespart, aber was solls. Nach DEM Derby dieses Jahr weiß ich aber eh nicht, ob ich mir das nochmal antu…
ich bin zu fast ausnahmslos allen Spielen mit den ÖPNV angereist. Ich fand es auch beschämend für den FC Bayern, dass man nochmal einen ordentlichen Batzen zusätzlich zu der 45 € Karte bezahlen musste um „in Fußnähe“ des Stadions zu gelangen. Wenn das jetz bei Schalke passiert dann gute Nacht. Was passiert wenn deutlich mehr mit dem Auto kommen hat man ja gegen Benfica gesehen als gleichzeitig Atze in der Emscher Lippe Halle war. Denn bei aller Liebe zu den großflächigen Parkplätzen im Umkreis der Arena ist das Verkehrskonzept einfach auf eine Menge Zuganreisende angewiesen.
Nachtrag zum Spiel: Da du die ganzen Spruchbänder der Schickeria ja nicht ganz mitlesen konntest/wolltest, möchte ich hier nochmal die Gelegenheit nutzen und meinen persönlichen Favoriten erwähnen
„In der Stadt der 1000 Feuer geboren, aber NULL Funken Anstand“