Als vor zehn Jahren der deutsche Fußball starb
In 49 Tagen wird Fußballdeutschland Trauer tragen. Dann gedenkt man mit Schaudern einem zehn Jahre zurückliegenden Ereignis, das – so der damalige Tenor – den Untergang der Fußballkultur final besiegelte. Zu spontanen Kranzniederlegungen wird es am 30. Juni 2011 allerdings nicht kommen. Allein schon mangels Masse. Denn weniger als ein Drittel aller Klubs aus der ersten und zweiten Bundesliga konnte sich dem Trend, der vor zehn Jahren in Hamburg eingeleitet wurde, bis heute widersetzen. Am 30. Juni 2001 verkaufte mit dem Hamburger SV der erste „freie Verein“ aus der 1.Bundesliga [editiert aufgrund berechtigter Kritik im 1. Kommentar] den Namen seiner Spielstätte. Aus dem Volksparkstadion wurde nach dessen Umbau die „AOL-Arena“.
Ob es vielleicht schon der VfB Stuttgart war, der 1993 durch die Umbenennung des Neckarstadions in „Gottlieb-Daimler-Stadion“ den Tabubruch wagte – darüber kann man trefflich streiten. Jedoch wurde mit dieser Umbenennung letztendlich lediglich ein großer Sohn der Stadt geehrt. Ein anderer großer Sohn einer anderen Stadt verlor im Jahr 1998 das Namensrecht am Stadion: Bayer Leverkusen benannte das auf den Chemiker und Industriemanager getaufte Ulrich-Haberland-Stadion in „BayArena“ um. Jedoch wäre es sicherlich verfehlt, im Zusammenhang mit Bayer Leverkusen von einem „freien Verein“ zu sprechen. So bleibt die zweifelhafte Ehre, „Totengräber des Fußballs“ gewesen zu sein, am Hamburger SV kleben.
So groß die Aufregung damals war, so schnell gab es Nachahmer. Spätestens 2004/2005 war die Schamgrenze gefallen und die alten, zumeist Landschaftsmerkmalen folgenden Stadionnamen purzelten von den Tribünendächern wie Dachlawinen an einem sonnigen Januartag.
Von den aktuellen Erst- und Zweitligisten spielen nur noch Bremen, St. Pauli, Hoffenheim, Kaiserslautern, Mönchengladbach, Hertha und Union Berlin, Cottbus, Aachen, Karlsruhe und Oberhausen in Stadien, dessen Namen sich (noch) kein Sponsor gesichert hat. Und der FSV Mainz 05 natürlich, wenngleich am Samstag zum letzten Mal. Aus der Dritten Liga drängen indes mit dem fest stehenden Aufsteiger Hansa Rostock (DKB-Arena) und den Relegationskandidaten Dynamo Dresden (Glücksgas-Arena) bzw. SV Wehen (Brita-Arena) schon die nächsten gesponsorten Stadionnamen nach.
Hier die chronologische Rangliste der verkauften Stadionnamen. Die Spalte „Jahr“ kennzeichnet den Zeitpunkt, in dem das Stadion unter einem Sponsornamen erstmals bespielt wurde. Unter „Weitere Namen“ sind bereits wieder abgelegte Sponsornamen vermerkt. Die Jahreszahl in Klammern kennzeichnet in diesen Fällen den Zeitpunkt, als der jeweilige Sponsorname ausgedient hatte.
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Man kann von den verkauften Stadionnamen halten was man will, aber die Praxis ist längst Realität. Wie sehr die Sponsornamen heute zum Fußball gehören, zeigt die Anekdote eines jungen Hamburger Fans, die seit Langem durch das Internet geistert. Im Brustton der Überzeugung, den reinen Sport gegen die Auswüchse der Kommerzialisierung zu verteidigen, soll dieser zu Protokoll gegeben haben:
Imtech-Arena, HSH-Nordbank-Arena – das ist doch alles quatsch! Für mich wird es immer meine AOL-Arena bleiben!
Hier schließt sich dann der Kreis.
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Danke an Mahqz, der mich darauf aufmerksam machte, dass die zweifelhafte Ehre eigentlich der SpVgg Greuther Fürth gebührt (in der Tabelle nun zumindest schriftlich korrigiert und mit einem * versehen) und an Phil, der einen Dreher bei der Esprit/LTU-Arena in Düsseldorf bemerkte (jetzt ebenfalls korrigiert).
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15 Kommentare zu “Als vor zehn Jahren der deutsche Fußball starb”
Für meinen Geschmack hast du eindeutig ein Stadion und den somit ersten Schitt vergessen. Das ist das Playmobilstadion in Fürth. Dies hieß bereits seit 1997 so. Und damit wurden 87 Jahre Namenstradition „Ronhofstadion“ der SpVgg Fürth zerstört.
Ich sehe grade in der Liste stehts drin. Irgendwas scheint da schief gelaufen zu sein… Die Umbennung kam dort übrigens zustande weil das Stadion bzw. das Geländer der Firma Playmobil gehört.
Ist das in hoppenheim nicht die SAP Arena?
Die SAP-Arena ist die Eishockeyhalle der Mannheimer Adler, bzw. des ehemaligen MERC (sic!). Das sinsheimer Fussballstadion dagegen heißt Rhein-Neckar-Arena.
Ist ein Fehler meinerseits, muss ich eindeutig so eingestehen. Ich könnte nachträglich nur anführen, dass Fürth 1997 erst in die 2. Liga aufstieg und dass die Umbenennung eventuell bereits stattfand, als man noch in der Oberliga kickte. Weiß ich aber nicht.
Dennoch war die Umbenennung des Volksparkstadions in meiner Erinnerung der „Dammbruch“. Nichts gegen Fürth, aber die Umbenennung des Ronhofes spielte in Gesamt-Fußballdeutschland eigentlich keine Rolle.
Ja ist schon richtig, bei einem so bekannten und großen Verein mit großem Stadion wie dem Volkspark kommt es in der allgemeinen Wahrnehmug weitaus deutlicher an.
Ich persönlich fand Playmobilstadion übrigens immer sehr niedlich und auch irgendwie zum Verein passend.
P.S. Auch Augsburg wird gleich mal zur ersten Bundesligasaison den Stadionnamen wieder ändern. Habe den neuen aber schon wieder vergessen. 😀
Bevor das Stadion in Stuttgart Gottlieb-Daimler-Stadion hieß, war das nicht das Neckar-Stadion? Oder war das ein anderes Stadion?
ja
Ja was? Ja, es hieß mal Nackar-Stadion? Oder ja, es war ein anderes Stadion? :-/
Ja, darauf gehe im Text direkt zu Beginn der 2. Absatzes deshalb auch gesondert ein. Puristen werden jedoch sagen, dass „Gottlieb-Daimler-Stadion“ kein „Sponsorname“ war, sondern lediglich eine „normale“ Umbenennung nach einem Umbau.
Ich wollte jedoch explizit auf das Phänomen der „verkauften Stadionnamen“ eingehen und nicht auf „normale Umbenennungen“ (das Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern hieß beispielsweise auch nicht immer so).
Würde ich gezielt nach „normalen“ Umbenennungen suchen hätte ich Angst auf jede Menge Spielstätten zu stoßen, die vor 70 Jahren noch „Deutscher Politiker mit österreichischem Migrationshintergrund-Kampfbahn“ hießen. In besagtem Fall von Stuttgart ist es beispielsweise so.
Hallo Matthias,
„Deutscher Politiker mit österreichischem Migrationshintergrund-Kampfbahn“…
Verbales Tor des Monats ist hier sicherlich untertrieben, vielleicht eher „Historischer Fallrückzieher, der mit ungläubigem Staunen im hintersten Winkel der bundesdeutschen Fußballseele einschlägt“.
Na ja… 😉
Und weiter so,
herzlich.
Thom
Der einzige, der vor zehn Jahren starb, war der Fußballgott…
Ich finde aber, dass wir mit Veltins als Namensgeber wirklich noch gut davongekommen sind. An sich heißt es ja eh nach wie vor „Die Arena“. Und auch an sich passt Veltins Arena dazu.
Ich bin auch kein allgemeiner Gegner vom Verkauf solcher Namensrechte, so lang es noch irgendwie mit dem Verein zu vereinbaren ist. Sowas wie Allianz Arena oder easy Credit Stadion ist dann schon nicht mehr so toll, allerdings entweder das ertrage, oder der Verein lässt ein paar leicht verdiente Millionen liegen…
Interessanter Ãœberblick, aber die Ãœberschrift ist schon ein bisschen pauschal und dramatisierend, vor allem weil du im Text gar nicht mehr darauf eingehst warum gerade der Verkauf der Stadion-Namensrechte den „Tod des deutschen Fussballs“ bedeutet..
Ist schon klar, wegen der Kommerzialisierung, aber was bedeutet das überhaupt? Das Fussballvereine (die in Deutschland ja zum Glück gemeinnützig sein müssen) versuchen Geld einzunehmen, und dieses Geld in die Mannschaft investieren, um sportlichen Erfolg zu erreichen? Wäre dann nicht 1973 (Eintracht Braunschweig läuft als erstes BuLi Team mit Trikotsponsor auf) ein besseres „Todesjahr“? Oder das Jahr, als die erste Werbebande neben einem deutschen Fussballplatz aufgestellt wurde? Der Verkauf von Namensrechten für Stadien ist eigentlich nur die logische Konsequenz dieser Entwicklung.
Ausserdem sind auf deiner Liste alle Stadien ausser Aue, Nürnberg, Dortmund, Bochum und Freiburg entweder Neubauten oder stark umgebaut worden, was eine Umbennenung zumindest teilweise rechtfertigt.
Interessant ist in dem Zusammenhang auch, was Alemannia Aachen tut (bzw von seinen Fans verlangt), um den Verzicht des Verkaufs der Namensrechte zu kompensieren: http://de.wikipedia.org/wiki/Tivoli_(Aachen)#Namensrechte
Ah! Ich sehe, dass ich demnächst wieder häufiger mit Smileys, fettgeschriebenen Anführungszeichen, Pseudo-html wie [‚Sarkasmusmode on‘] und Abkürzungen wie ‚rotfl‘ und ‚LoL‘ arbeiten muss, damit meine Intention nicht völlig missverstanden wird. OK, dann hier nochmal die Ãœberschrift in hoffentlich unmissverständlicher Schreibweise:
Als vor zehn Jahren der deutsche *omg* Fußball [‚Ironie on‘]„starb„ 😉 [‚Ironie off‘] *rotfl* 😀 *Biggrins*
Ich wollte mit diesem Artikel zum Nachdenken darüber anregen, dass die große Aufregung rund um die erste „große“ Stadionumbenennung heute eigentlich niemanden mehr interessiert, weil es zum Alltag geworden ist. Selbst die größten Kritiker von damals haben sich längst damit arrangiert. Ich weiß noch, was wir auf Schalke damals über die Hamburger geschimpft haben und natürlich wurde damals auch mit dem Vereinsaustritt gedroht (wie im übrigen auf Schalke ständig mit dem Vereinsaustritt gedroht wird, sobald irgendjemanden ein Furz quer sitzt), sollte es so etwas jemals bei uns geben.
Inwieweit eine Renovierung, ein Umbau oder ein Neubau eine Benennung auf einen Sponsor mehr rechtfertigt, als eine Umbenennung ohne Baumaßnahme, müsstest du mir schon erklären. War also die Umbenennung von Volksparkstadion auf AOL-Arena „mehr OK“ als die Umbenennung der AOL-Arena in HSH-Nordbank-Arena? Und falls ja: Warum? Es wurden in Deutschland schon sehr viele Stadien umgebaut, die sich danach nicht umbenennen mussten.
Meine Meinung: Stadionnamen zu verkaufen ist OK. Nicht unbedingt schön – das sagt der kleine Fußballromantiker in mir – aber auch kein Weltuntergang. Denn durch den Verkauf des Stadionnamens verkauft der Verein einen immateriellen Wert, der vorher ungenutzt brach lag. Wenn bei mir morgen jemand vorbeikäme und mir vorschlüge „Du wohnst jetzt nicht mehr in der Hammer Straße 26, sondern in der Westmilch-Superlolli-Lounge“ und ich müsste dafür nichts machen außer 10.000 Euro pro Jahr kassieren, würde ich sofort unterschreiben. Schlüge mir jedoch jemand vor „Wir kaufen jetzt 30 Prozent von deiner Frau und dir mit einem Vorkaufsrecht auf alle eure zukünftigen Kinder“ würde ich den Arsch rauswerfen. Leider werfen die meisten Bundesligavereine in Deutschland die Ärsche nicht raus, sondern betteln sogar noch um Termine mit ihnen. Aber das ist ein anderes Thema.
Sorry! Da habe ich die Ironie echt übersehen, und das obwohl ich schon etwas länger hier mitlese (danke für den guten blog) und es mir deshalb wohl hätte auffallen müssen.. Deiner Meinung im Kommentar stimme ich zu 100% zu, ein Verkauf des Stadionnamens ist nicht unbedingt schön, aber auch kein Weltuntergang.
Man kann sicherlich darüber streiten, ob ein Umbau oder ein Neubau eine Benennung auf einen Sponsor mehr rechtfertigt als eine Umbenennung ohne Baumaßnahme: Ich denke, dass
für uns Fans ein Stadionname doch gerade deshalb so wichtig ist, weil wir damit positive Erinnerungen verbinden, Nostalgie an die „gute alte Zeit“, an den ersten Stadionbesuch mit Papa, für 6 Mark als Schüler in die Kurve, etc.. deshalb tut es weh, wenn das Stadion „grundlos“ umbenannt wird. Bei einem Neubau gibt es aber naturgemäß keine Erinnerungen, ausserdem muss sowieso ein neuer Name gefunden werden , von daher ist es generell eher zu „verkraften“. Zweitens sieht man bei Um- sowie Neubauten wenigstens direkt den „Effekt“ der zusätzlichen Einnahmen durch den Namenssponsor.
Interessanterweise scheint die Bundesliga im Bezug auf den Verkauf von Stadion-Namensrechten wirklich ein „Vorreiter“ in Europa zu sein. Habe gerade mal die Stadiennamen in der Premier League, Serie A und Primera Division gegoogelt und habe auf den ersten Blick nur vier vergleichbare Fälle gefunden (Arsenal – Emirates, Wigan – DW Stadium, Bolton – Reebok Stadium, Mallorca – Iberostar Estadio). Liegt wahrscheinlich daran, dass Buli Vereine wegen 50+1, also mangels Investoren, und traditionell eher niedrigen Kartenpreise noch mehr auf die Ausschöpfung potentieller Sponsorenquellen konzentrieren müssen.