„Und ihr wollt Barcelona sein?“

02. Apr. 2008 | 4 Kommentare

Schalke Fanclub MonasteriaGestern Abend, Veltins-Arena, ausverkauftes Haus, kurz vor 22:30 Uhr. In einer mitreißenden zweiten Halbzeit drängt der FC Schalke auf den Ausgleich gegen den haushohen Favoriten FC Barcelona. Seit 30 Minuten rennen die Königsblauen nun schon wie wild auf das Tor von Victor Valdes an, schießen knapp drüber, knapp daneben, scheitern am Keeper. Doch der Ball will einfach nicht ins Tor. Barcelona wirkt ob dieser Schalker Schlussoffensive teilweise wie paralysiert und greift zum letzten Mittel: dem Zeitspiel. Oder auch „ganar tiempo“, wie der Spanier zu sagen pflegt. Aus jedem Abstoß wird eine minutenlange Zelebration, auszuwechselnde Spieler verlassen erst im Entenmarsch den Platz, nachdem sie sich von jedem Kameraden und Balljungen im Stadion persönlich verabschiedet haben. Leichte Rempler, gemeinhin als „körperbetontes Spiel“ bezeichnet, führen zu halsbrecherischen Stürzen, gespickt mit Pirouetten und gefolgt von minutenlangem herumwälzen auf dem grünen Arena-Rasen. Dann ist es wo weit. Einigen Zuschauern dieses unwürdigen Schauspiels platzt der Kragen. „Und ihr wollt Barcelona sein?“ klingt es im Sprechchor aus den Mündern von einigen tausend Fans. Leider macht der Schlachtruf aber nicht die ganz große Runde. Schade eigentlich, denn er beschreibt das Gefühl, mit dem man gestern den Heimweg antrat.

Gut 45 Minuten lang hatte der FC Barcelona tatsächlich so gespielt, wie man ihn sich landläufig vorstellt. Sichere Kombinationen, schnelle Ballstafetten, den Ball als schnellsten Mitspieler nutzend. Und natürlich effektiv! Denn es reichten letztendlich zwei Angriffe, um gegen Schalke mit 1:0 in Führung zu gehen. Beim ersten Vorstoß nach acht Minuten scheitert Iniesta noch am herausstürzenden Manuel Neuer. Vier Minuten später klingelt es jedoch, als Neuer ein Schüsschen von Henry abprallen lässt, der Ball noch einmal quer gelegt und dann aus drei Metern von Bojan Krkic verwandelt wird. Schalke hatte bis zu diesem Zeitpunkt dem Spiel der Spanier nur ehrfurchtsvoll beigewohnt. Von der im Vorfeld versprochenen Gegenwehr war nichts zu spüren.

Das sollte sich im Verlauf der gesamten ersten Spielhälfte auch nicht mehr ändern. Barcelona, das ohne Ronaldinho, Messi und Deco angetreten war, erteilte den Königsblauen eine Lehrstunde, wie man sie als Fan der Schalker nicht gerne sieht. Schalker Torchancen in Halbzeit eins? Fehlanzeige! Sieht man einmal von einigen verzweifelten Distanzschüsschen und ungefährlichen Standards ab. Barcelona musste noch nicht einmal unglaublich stark sein, um schwache, ängstliche Schalker in Zaum zu halten. Das 1:0 zur Halbzeit war ein durchweg gerechtes, weil folgerichtiges Ergebnis.

Auch die zweite Halbzeit bot zunächst das gewohnte Bild. Bis es in der 60. Spielminute zu einem Wechsel kam, der eventuell ein Fingerzeig für den weiteren Saisonverlauf werden könnte. Der erschreckend unauffällige Kevin Kuranyi, der Minuten vorher bei einem Distanzschuss von Pander und dem darauf folgenden Abpraller von Valdes ein eigentlich sicheres Abstauber-Tor leichtfertig verschenkte, in dem er erst gar keine Anstalten machte, dem Ball nachzusetzen, musste den Platz räumen. Es hätte – das muss der Fairness halber gesagt werden – aber auch durchaus seinen Sturmpartner Halil Altintop treffen können, der Kuranyis unterirdischer Leistung bis dahin in Nichts nachstand. Neu auf den Platz kam Vicente Sanchez. Und plötzlich wurde es ein völlig anderes Spiel. So unglaublich völlig anders, dass man diesen Umstand nicht ausschließlich an der Auswechslung fest machen darf.

Plötzlich erwachte das Schalker Feuer. Plötzlich brandete Angriffswelle auf Angriffswelle in Richtung des Gäste-Tores. Große und kleine Chancen ergaben sich nun beinahe im Drei-Minuten-Takt. Die größte in der 80. Minute, als Westermann – obwohl zuvor klar im Strafraum gefoult – doch noch mit dem Kopf an den Ball kommt, die Kugel aber um Zentimeter über das Gehäuse platziert. Oder die durch Sanchez neun Minuten zuvor, der aus spitzem Winkel Valdes bereits überwunden hat, trotzdem nicht jubeln darf, weil der Ball um haaresbreite am langen Pfosten vorbeikullert. Oder die durch den eingewechselten Larsen, der in der dritten Minute der Nachspielzeit nach einer Ecke frei vor dem Tor zum Kopfball kommt, das Leder aber nicht richtig drücken kann.

Plötzlich konnte man auch sehen, warum Trainer Slomka seinem Stürmer Halil Altintop seit Monaten die Treue hält. Denn an der Seite von Sanchez „funktionierte“ der Türke mit einem Mal. Seine Pässe hatten Sinn und Verstand, seine Laufwege waren stimmig, sein Einsatz schnellte derart hoch, dass der Mathematiker in diesem Zusammenhang von Potenzieren spräche. Der Ausgleich – er lag in der Luft, er wäre hochverdient gewesen, er wollte jedoch einfach nicht mehr fallen. Weil Barcelona Glück hatte, weil Schalke eben dieses Glück fehlte und weil die Startruppe aus der katalanischen Metropole es vorzüglich verstand, die Schwächen des griechischen Unparteiischen für ihr Zeitspiel auszunutzen. Von den letzten 25 Minuten der Partie lief der Ball maximal 10 Minuten auf dem Platz. Der Rest der Zeit wurde unter großzügigem Zutun von Vassaras – so der Name des vor Respekt erstarrten Bezirksliga-Unparteiischen, der gestern einmal die „Großen“ pfeifen durfte – schlichtweg vernichtet.

Und ihr wollt Barcelona sein? Ja, das war Barcelona! Nicht das Barcelona, was uns in Deutschland vorgegaukelt wird, der Über-Team, bei dem jeder Spielzug zu Zungenschnalzern führt. Dieses Barcelona ist schon seit Jahren mausetot. Wer sich auf „Premiere“ die Live-Übertragungen aus der Primera Division regelmäßig anschaut, wusste das schon länger. Der Mythos „Barca“ ist längst dem modernen Ergebnisfußball gewichen, in nichts unterscheidbar vom armseligen aber erfolgreichen Gekicke, mit dem der AC Mailand seit Jahr und Tag Titel um Titel einstreicht. Einzig die wenigen, dann aber spektakulären Geistesblitze eines Messi, Eto’o, Ronaldinho oder Deco täuschen in den zumeist nur 45-sekündigen Spielzusammenfassungen, die man hierzulande im Free-TV geboten bekommt, über diese bittere Realität hinweg.

Schalke hätte diesen in Spanien längst überholten Mythos gestern auch in Deutschland vernichten können, half stattdessen aber tatkräftig mit, einen neuen Mythos zu etablieren: den von der galaktischen Über-Mannschaft, die so überlegen ist, dass sie noch nicht einmal ernsthaft Fußball spielen muss, um sicher zu gewinnen. Chance verpasst, schade.

In sieben Tagen fährt Schalke ins Camp Nou, einem weiteren Mythos des Fußballs. Denn der so oft beschworene Fußballtempel ist in der Tat nur ein riesengroßer Freiluft-Aufenthaltsbereich für ein verwöhntes, sattes Opern-Publikum. Bei Eintrittspreisen von durchschnittlich 80 bis 100 Euro pro Spiel – Preisgrenze nach oben offen – darf man keine Fußball-Hölle erwarten. Der Börsenmakler, der Bankangestellte, der Manager eines mittelständischen katalanischen Unternehmens – sie alle sind weder Willens noch in der Lage, „ihr“ Team nach vorne zu peitschen. Ganz besonders nicht gegen Underdogs aus Schalke.

Vielleicht ist das die große Chance für den S04, das Wunder doch noch wahr zu machen. Denn wenn neben allen ernüchternden Erkenntnissen rund um den großen FC Barcelona von gestern abend eine heraussticht, dann, dass diese Mannschaft absolut schlagbar ist. Es braucht dann allerdings mehr Glück, mehr Treffsicherheit und vor allem große Leidenschaft um es zu schaffen. Gestern ließ Schalke diese Leidenschaft über 60 Minuten nicht einmal erahnen.

Mehr zum Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Barcelona schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Wer dank der umfassenden Berichterstattung des deutschen Free-TV’s bislang nur Sekundenschnipsel vom Spiel gesehen hat, dem lege ich das „Schalke 04-TV“ auf „Maxdome“ ans Herz, wo man für kleines Geld eine Zusammenfassung oder das gesamte Spiel in voller Länge noch einmal in Augenschein nehmen kann.

www.maxdome.de

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4 Kommentare zu “„Und ihr wollt Barcelona sein?“”

  1. verschwenderam 2. April 2008 um 14:41 1

    Sorry Matthias,

    ich sage mal ein gutes Pferd springt nur so hoch wie es muß. Ich weiß 5 Euro ins Phrasenschwein. Es waren vielleicht insgesamt 15 Minuten in denen Schalke den Catalanen etwas entgegen zu setzen hatten. Mag vielleicht an der prima Stimmung in der Arena liegen, daß man das Spiel besser bewertet als es eigentlich war. Wie schon gegen Chelsea hatte ich das Gefühl, wenn die jetzt mal ernst machen würden, dann… Aber in meinen Augen überhaupt nicht mehr haltbar ist ein Trainer, der erst 48 Minuten nachdem seine, zugegebener Weise nicht gänzlich unangebrachte, Taktik durch den Führungstreffer der Gegner zunichte gemacht wird. Ich habe mich auf ein tolles Europa Cup Spiel gefreut, in dem Schalke dem favorisierten Gegner von Anfang an die Stirn bietet. Mit diesem Trainer und der Einstellung manches Spielers kann man keinen Blumentopf gewinnen. Noch nicht einmal mehr den Schwarzwald Cup;)

  2. Wolfgangam 3. April 2008 um 10:04 2

    Hallo Matthias,
    schade das die Mannschaft sich nichts zugetraut hat, oder sie konnte nicht. Wenn man sieht, wie die Spanier sich den Ball seelenruhig, minutenlang den Ball zu spielen und die Blauen meterweit vom Gegner stehen, da fragt man sich doch, hat man denen nichts mit auf den Weg gegeben. —-Angsthasenfussball—-
    Ein Spiel, wo soviel falsch gemacht wurde, kann man nicht schönreden, auch wenn man eine blaue Brille auf hat. Die spielerische Präsenz, die die Mannschaft mal hatte, sie ist verloren gegangen.
    Schade Die Einkaufspolitik ist keinem Mitglied mehr erklärbar.

  3. Frank Zelinskiam 3. April 2008 um 15:44 3

    Hallo an Alle,

    ich würde sagen, dass auch die Einwechselpolitik nicht mehr erklärbar ist. Mal zwei Beispiele:

    Kevin K. spielt schlecht, weil er eine Lungenentzündung hatte und die Vorbereitung nicht mitmachen konnte. Er spielt.
    Albert Streit hilft uns nur wenn er 100 % fit ist. Er spielt nicht.
    Beides Aussagen unseres Trainers. Dann müssten ja eigentlich beide draußen bleiben …

    Wieso wechselt man in der 87 min. Altintop aus? Zeitverzögerung um das 0:1 zu halten?

    Ich denke das im Sommer ein großes Gehen herrschen wird und um manchen ist es auch nicht Schade.

    Blau-Weiße Grüße und auf ein schönes 5:0 am Samstag!

  4. Königsblau MSam 3. April 2008 um 22:24 4

    Da bin ich ganz bei dir, @ Frank Z. Es bleiben viele Fragen, wie so häufig nach den Spielen seit der Winterpause. Schalke ist eine Baustelle geworden. Die Mannschaft wirkt krank und funktioniert nicht mehr in ihren Leistungsabläufen. Dabei haben wir hoch dotierte, sehr gute Einzelspieler und Nationalspieler in den Reihen. Offensichtlich sind Slomka und Müller der anspruchsvollen Aufgabenstellung in unserem Verein in vielerlei Hinsicht nicht mehr gewachsen. So kann es in der neuen Saison nicht weiter gehen, es besteht großer Handlungsbedarf.
    Klar, dass von Slomkas Trainerkollegen kein schlechtes Wort kommt. Hier steht der Selbstschutz und Ehrenkodex. Und auch klar, dass der Wurstmann aus Bayern „einiges“ von Slomka hält. In Ruhe weiter arbeiten lassen, dann wird Schalke eben nie deutscher Meister. Bei Bayern wäre MS doch gerade einmal Trainer einer Jugendmannschaft. Und ich wiederhole mich gerne: Intellektuell gut aufgestellt zu sein und in der Außendarstellung zu punkten, darf dem Anforderungsprofil zum Trainer auf Schalke nun wirklich nicht genügen.
    Und MA Müller? Na ja, Rudi Assauer war wohl immer klar, dass er uns mit seinem ehemaligen Helfer ein dickes Kuckucksei ins Nest gelegt hat. Das wissen und sehen auch die Konkurrenten in der Bundesliga und schweigen genüsslich. Müller ist und bleibt ein guter Mann und Malocher für die zweite Reihe, mehr aber bestimmt nicht !
    Glück auf, munter bleiben und hoffentlich nächste Saison mit personellen Veränderungen in Europa wieder dabei.

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