Eine kleine Geschichte des „Cargo-Kults“
Als ich noch als ordentlicher Student der WWU Münster mein Dasein fristete, studierte ich unter anderem das wirklich hochinteressante Fach der Völkerkunde, oder auch Ethnologie, um es mal richtig zu benennen. Ethnologie ist sicherlich kein Fachgebiet, mit dem man es zwingend auf die Chefsessel internationaler Großkonzerne bringt, aber es ermöglicht einen Einblick in fremde Kulturen, wilde Riten, und archaische Gesellschaften (nein, nicht Österreich!), der einem sonst verschlossen bliebe. Besonders im Gedächtnis hängen geblieben ist mir dabei der „Cargo-Kult“ auf Papua-Neuguinea. Hierbei handelt es sich – extrem verkürzt und vereinfacht ausgedrückt – um ein nahezu drolliges Missverständnis zwischen einheimischer Bevölkerung und weißen Siedlern.
Meine alten Professoren Frau Fiedermutz und Herr Platenkamp mögen mir die nun folgende dilettantisch-simplifizierte Erläuterung des „Cargo-Kults“ nachsehen. Aber im Großen und Ganzen trug es sich in etwa so zu:
Als Papua-Neuguina – dessen Bevölkerung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch in tausende einzelner Volksgruppen zersplittert war, die sich allein schon aufgrund hunderter unterschiedlicher Sprachen so gut wie nichts zu sagen hatten – in der Zeit des zweiten Weltkriegs und bereits davor ein beliebter Dreh- und Angelpunkt für Amerikaner, Engländer und Deutsche war, entstanden dort die ersten Camps und Siedlungen der weißen Eindringlinge. Für den gemeinen Papua-Neuguineaner bot sich dabei ein recht befremdliches aber auch faszinierendes Bild.
Da kommen also komplett merkwürdig aussehende Gestalten, bauen sich eine Hütte, bauen sich einen Hafenkai oder roden ein Stück Wald für eine Landebahn – und fortan geht es denen paradiesisch gut. Alle paar Tage kommt ein Schiff vorbei und lädt die tollsten Sachen ab. Oder noch besser: Hin und wieder landet ein lauter, großer Vogel, der aus seinem Bauch ebenfalls nur geile Sachen (z.B. Nahrung) preisgibt.
Nun ist es eine tragische Verknüpfung von Zufällen, dass zahlreiche der Volksgruppen auf Papua-Neuguinea zudem glaubten, dass ihre Götter, die sie vor Zeiten auf der Insel haben sitzen lassen, eines Tages zurückkehren werden. Und weil Götter in der Regel anders aussehen als der Normalo und weil in einer Bevölkerung mit dunklem Haut-Teint ein Weißer natürlich kein Normalo ist, folgerten einige sehr schnell: „Jepp, der Tag ist da, die Götter sind wieder zurück. Na super!“
Da hätten wir dann also folgende fatale Mischung: Zum einen die Beobachtung, dass man eigentlich nur einen Steg ins Wasser bauen oder ein Stück Wald roden muss, um fortan von Geisterhand mit sämtlichen Gütern des täglichen Bedarfs versorgt zu werden. Zum anderen die „Gewissheit“, dass es die „Götter“ auch nicht anders machen. Und so kam es zunächst vereinzelt, schließlich aber auch immer weiter verbereitet zu dem, was heute als Cargo-Kult bezeichnet wird.
Die Volksgruppen am Strand bauten hölzerne Hafenanlagen. Zwar komplett ohne Sinn, Zweck und Funktion, aber zum Teil doch von beachtlichen Ausmaßen. Diejenigen, die das bergige Hinterland bewohnten, opferten ihre besten landwirtschaftlichen Nutzflächen und errichteten Landebahnen, auf denen sich wirklich jeder „große Vogel“ pudelwohl gefühlt hätte. Tja, und dann saßen sie da, am Strand oder auf den Hügeln, und warteten. Und warteten. Und warteten…
Es überrascht aus unserer aufgeklärten eurozentristischen Sicht nicht übermäßig, dass natürlich keine Schiffe anlegten oder Flugzeuge landeten. Während einige Völker Papua-Neuguineas darin eine Ungerechtigkeit der Götter witterten, suchten andere den Fehler bei sich selbst. „Na klar“, dachte sich so mancher. „Warum sollte bei uns denn ein Vogel landen, wenn er keinen Grund dazu hat. Sex ist ein Grund. Also bauen wir ihm doch einfach ein Weibchen und locken ihn so an.“ Gedacht, getan – auf diese Weise entstanden kunstvolle aber natürlich komplett flugunfähige Flugzeugreplikate aus Holz und Gras, die am Ende der jeweiligen Startbahn aufreizend aufgestellt wurde. Ergebnis: Null.
Um die Geschichte zu einem Abschluss zu bringen, möchte ich ergänzen, dass die Menschen auf Papua-Neuguinea natürlich nicht dumm waren. Sie konnten einfach nur nicht reflektieren, was sie bei den weißen Eindringlingen beobachtet hatten und handelten nach dem Motto „Versuch macht klug“. Letztendlich wandelte sich die Unzufriedenheit über den eigenen Fehlschlag sogar zu einem veritablen Hass gegenüber den Fremden, sodass aus den Cargo-Kulten schließlich Widerstandsbewegungen und/oder Religionen erwuchsen. Ach so: Flugzeuge aus Bambus bastelt heute natürlich auch niemand mehr.
Die Stadt Gelsenkirchen führt derzeit die Generalsanierung des Hans-Sachs-Hauses durch. Jenes Haus also, das die Funktion des Rathauses inne hat, das aber bislang keinen Balkon sein eigen nennt. Kein Balkon? Dann ist es doch nur logisch, dass auf Schalke seit nunmehr 50 Jahren minus ein paar Tage niemand mehr eine Meisterschale in den Himmel recken konnte, wie es in München (eine Stadt mit Balkon) alle zwei Jahre passiert! Und deshalb sahen sämtliche Umbaupläne bei allen in der Vergangenheit diskutierten Varianten immer eine Konstante vor: Das Hans-Sachs-Haus muss einen Balkon erhalten! Und so soll es denn jetzt auch sein.
Eine gewisse Analogie zwischen Papua-Neuguinea und Gelsenkirchen ist hier nicht zu leugnen.
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Ein Kommentar zu “Eine kleine Geschichte des „Cargo-Kults“”
Abwarten Matthias. Nicht das wir das noch unter dem Balkon stehen. Und wenn uns irgendein Zivi aus dem Altenheim holt und mit dem Rolli dahin schiebt……..(in ca. 50 Jahren)