Kevin allein nach Haus
Wer gerne eine Runde Fußball am PC spielt, kommt an der legendären „FIFA-Reihe“ des kanadischen Spieleentwicklers „EA Sports“ nicht vorbei. Vor wenigen Wochen erschien die neueste Fortsetzung der erfolgreichen Serie. „EA Sports FIFA 09“ wird derzeit mit großem Getöse beworben. Als „nationales Testimonial“ dient in Deutschland Kevin Kuranyi, der das Cover gemeinsam mit Ronaldinho ziert. Der Brasilianer trägt ein Trikot seines neuen Vereins AC Mailand, Kuranyi ist im Dress der deutschen Nationalmannschaft gewandet. Seit heute steht fest, dass Kuranyi dieses Trikot nur noch in den Spielebateilungen von Elektronik-Fachmärkten tragen wird. Bundestrainer Joachim Löw hat den Schalker aus der Nationalmannschaft geworfen. Zumindest ist dies die offizielle Lesart beim DFB. Doch nicht nur das Internetportal „Der Westen“ fragt sich: „Kann man jemanden feuern, der möglicherweise bereits selbst die Brocken hingeschmissen hat?“
Kevin Kuranyi wurde gestern gegen Mittag vom Bundestrainer darüber informiert, dass er nicht zum 18-köpfigen Aufgebot des DFB gegen Russland (Deutschland gewann mit 2:1) gehören wird und sich stattdessen das Spiel von der Tribüne aus ansehen muss. Dort nahm der Schalker auch Platz und verfolgte – so ist es zumindest überliefert – die erste Halbzeit. In der Halbzeitpause verließ er dann die Szene und ward nicht mehr gesehen. Die Nationalmannschaft fuhr nach dem Spielende ohne Kuranyi im Mannschaftsbus zum Hotel. Gegen Mitternacht holten dann zwei Freunde des Schalker Stürmers dessen Habseligkeiten aus dem Hotel ab. Soweit zur Faktenlage.
War es eine Kurzschlussreaktion? War es ein provozierter Eklat? Ist Kuranyi aus freien Stücken zurückgetreten oder wurde er doch rausgeschmissen? Darüber wird man sich in Fußballdeutschland in den nächsten Tagen die Köpfe heiß diskutieren und jeder darf sich seine eigene Meinung bilden. Diese eigene Meinung sollte vor allem aber auch Kevin Kuranyi zugestanden werden. Seine Nationalmannschaftskarriere war zuletzt nicht gerade gespickt mit Höhepunkten. Nach der überraschenden Nicht-Nominierung für die WM 2006 durch Jürgen Klinsmann und Joachim Löw folgte eine gute Quali-Runde zur EM 2008, bei der Kuranyi entscheidenden Anteil daran hatte, dass sich Deutschland problemlos für das Turnier qualifizierte. In Österreich wurde er dann jedoch wieder auf die Bank verbannt und musste mit ansehen, wie unter anderem David Odonkor – der sicherlich schlechteste Deutsche Nationalspieler der letzten 20 Jahre – und ein extrem formschwacher Mario Gomez ihre Chancen bekamen. Die Nicht-Nominierung für den 18er-Kader gestern wird so letztendlich nur der Tropfen gewesen sein, der ein seit vielen Jahren restlos gefülltes Fass zum überlaufen brachte.
Menschlich kann ich Kevin Kuranyis Entscheidung sehr gut nachvollziehen. Joachim Löw hat bei ihm jegliches Fingerspitzengefühl vermissen lassen. Während Miroslav Klose und Mario Gomez trotz Formkrisen immer wieder aufgestellt wurden und mit Lukas Podolski sogar ein Ergänzungsspieler des FC Bayern zum Stamm der Nationalmannschaft gehört, wurde der Vereinsstammspieler Kuranyi links liegen gelassen. Löw hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er auf die Dienste des Schalkers gut verzichten kann. Nun wird er es müssen.
Kevin Kuranyi spielte seit seinem Debüt im März 2003 52 Mal für die DFB-Auswahl und erzielte in dieser Zeit 19 Tore. Das entspricht einem Schnitt von 0,36 Toren pro Spiel. Zum Vergleich: Jürgen Klinsmann schaffte es in seinen 108 Länderspielen auf eine Quote von 0,43 Treffen, Lukas Podolski bewegt sich aktuell bei einer Quote von 0,53 Toren, Miroslav Klose steht bei 0,52 Treffern pro Spiel, Mario Gomez derzeit bei 0,33.
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12 Kommentare zu “Kevin allein nach Haus”
Ich finde ja die Art und Weise in der sich Kuranyi von der Nationalmannschaft verabschiedet hat auch nicht gerade gelungen. Daß ihm jetzt der Vorwurf der beleidigten Leberwurst ein Leben lang verfolgen wird. Aber grundsätzlich ist Deinem Post natürlich zuzustimmen. Löw hätte ihn einfach nicht einladen sollen, wenn er eh keine Rolle in seinen Planungen spielt.
Daß ihm jetzt der Vorwurf der beleidigten Leberwurst ein Leben lang verfolgen wird, muß er sich selbst zuschreiben.
Hallo Matthias,
guter Artikel.
Die Art und Weise von Kevin war zwar nicht die eleganteste, aber nachvollziehbar.
Zum Fingerspitzengefühl von Herrn Löw:
Inzwischen gibt es ein Statement von Andreas Müller, daß Kevin dem Yogi nach Bekanntwerden des Kaders eine Andeutung gemacht haben soll, der Bundestrainer es aber nicht für nötig gehalten soll, mal mit dem Kevin zu sprechen. Bei anderen „Sensibelchen“ wie z.B. Klose, wäre das sicher ganz anders gelaufen (da muß man ja auch Angst haben, daß einem der Uli und der Kalle aufs Dach steigen).
Im übrigen bin ich sowieso der Meinung, daß der DFB was gegen Schalke hat. Die Nicht-Nominierung von Pander für die EM kann ich immer noch nicht verstehen (oder kann sich jemand von Euch erinnern, daß wir einen Spieler mit hatten, der Standards beherrscht?).
Ich hoffe, der Kevin wird jetzt die Reaktion auf dem Platz zeigen und viele Tore für Schalke schießen. Das die Erwartungshaltung jetzt natürlich hoch ist, hat er sich allerdings selbst zu zuschreiben.
Vielleicht bekommt er ja auch noch eine Chance in der Nationalelf, weil nur der Löw will ihn ja nicht mehr nominieren und wer sagt, daß der ewig Bundestrainer bleibt?
die art und weise wie sich kevin aus der nationalmannschaft verabschiedet hat ist sicherlich nicht die feine englische. dennoch ist die entscheidung nachvollziehbar. vielleicht wollte er auch nur ein zeichen setzen. so langsam fällt es auf, dass die schwabenmafia (klinsmann – löw) ein problem hat mit leuten umzugehen, die nicht ihrer meinung sind. ich denke an den umgang mit gerald asamoah, jermaine jones und christian pander. bei dieser fürhungsriege kann ich gerne auf 90 min. nm verzichten und werde künftig lieber etwas anderes machen. das ist auf jeden fall sinnvoller.
matthias, danke für deinen artikel
Oder der Umgang mit (dem von mir auch nicht unbedingt geliebten) Timo Hildebrand, der genau wie Kevin Dennis den VFB verlassen hat. Ich glaube auch, dass der DFB Schalke nicht leiden kann. Vor der EM wurde Kuranyi beim Länderspiel gegen die Schweiz erst in der 75. Minute gebracht, zuvor hatte Gomez zwei Tore erzielt und war der neue Held im Sturm. Diese Tore hätte ein von Anfang an spielender Kuranyi auch geschossen. Aber die schlimmste Watschen gab es für Kuranyi 2006, als nicht er sondern ein wirklich sauschlechter Dortmunder bei der WM spielen durfte. Frechheit! Wenn ich über die WM nachdenke, so hätte auf der Bank statt Löw und Klinsmann jeder andere Deutsche sitzen können. Und dann wäre auch ein Finale möglich gewesen!
(Bestes Spiel der Deutschen bei der EM: OHNE LÖW AUF DER BANK!)
Ich ziehe den Hut vor Kevin Dennis Kuranyi, er sollte sich nur nicht zu viel entschuldigen, hat aber evtl. sogar Stil…
sehr komische Antworten die ich hier lese – muss wohl an der blauen Brille liegen – ich als Schwabe und „nicht VfB Fan“ hätte den KK nie für die Nationalmannschaft spielen lassen. Jemand der nur ein gutes Kopfballspiel hat gehört einfach da nicht hin. Wenn ich die 4 Stürme anschau die in Dortmund am Samstag im Kader waren muss ich sagen, genau so hätte ich mich als JL entschieden. Alles andere wäre nicht nachvollziehbar gewesen.
Die Art und Weise wie sich ein KK verabschiedet passt iwie zu seiner art zu Spielen – unüberlegt, ohne Strategie und „sich einfach verstolpert“
Ich sehe (sah) Kuranyi aktuell auch nicht unter den Top-3-Stürmern in Deutschland – und selbst für Platz vier war es eng, obwohl er in dieser jungen Saison mehr Tore geschossen hat, als fast alle seine Sturmkonkurrenten in der Nationalmannschaft. Was seine Entscheidung für mich dennoch nachvollziehbar macht ist, dass Löw ihn nominiert hat, um ihn dann auf die Tribüne zu setzen. So etwas macht man mit einem Jungnationalspieler, um ihn an das Team und das Drumherum heranzuführen. Man macht es nicht mit einem Spieler, der 52 Matches auf dem Buckel hat, seit Jahren zum festen Kreis gehört und der Nationalmannschaft ein ganzes Stückweit sein Gesicht gibt (siehe die diversen TV-Werbespots, nicht nur Nutella). Das war stillos von Löw und er würde es sich bei keinem anderen Spieler mit einer ähnlich langen Nationalmannschafts-Karriere erlauben. Er hätte Kuranyi nicht nominieren müssen, hätte ihm stattdessen erklären können, dass er stattdessen zunächst im Verein mehr Selbstsicherheit gewinnen solle. Kuranyi hätte das verstanden und akzeptiert wie er letztendlich sogar die Ausbootung zur WM 2006 verstanden und akzeptiert hat. So aber hat Löw die Situation provoziert und Kuranyi hat letztendlich nur den Löw’schen Job gemacht, wie auch Herr Wieland sehr treffend formulierte: http://koenigsblog.net/2008/10/12/kuranyi-erledigt-loews-job/
Diese Meinung hat nichts mit blauer Brille zu tun, sondern mit elementaren Grundsätzen der Menschen- und Mitarbeiterführung. Ich schätze, Timo Hildebrandt wird da ebenfalls seine Meinung zu haben.
Diese Meinung hat nichts mit blauer Brille zu tun, sondern mit elementaren Grundsätzen der Menschen- und Mitarbeiterführung.
Ach Matthias, Du sprichst die Wahrheit aus.
Komisch, daß uns immer die „blaue Brille“ (hätte es nicht richtig blau-weiße Brille heißen müssen?) nachgesagt wird. Wenn es aber um die Herren Klose und Gomez geht, hat da der Herr Löw nicht die rot-weiße Brille auf?
Im übrigen hat sich Kevin gestern für die Art und Weise wie er es gamacht hat entschuldigt und zugegeben, daß er Fehler gemacht hat. Während Herr Löw nicht mal annähernd in der Lage war, zum Thema Kuranyi Stellung zu beziehen, außer das die Sache beendet ist. Vielleicht sollte der auch mal überlegen, ob er was falsch gemacht haben könnte, daß er diese Reaktion provoziert hat.
Im übrigen bin ich derselben Meinung wie Matthias, daß er sich das mit keinem anderem Spieler erlaubt hätte. Genauso bin ich der Meinung, daß andere Spieler nicht sofort aus der Nationalelf geflogen wären, hätten sie dasselbe wie Kevin getan. Bei Oliver Kahn wäre dann ein „der ist halt emotional, das müssen wir akzeptieren“ gekommen und damit wäre die Sache reledigt gewesen.
„Ich schätze, Timo Hildebrandt wird da ebenfalls seine Meinung zu haben.“
Ich gebe zu, ich war nie ein Fan von Timo Hildebrandt, aber wie der aus dem Kader geflogen ist, war auch nicht wirklich die feine Art, bin mal gespannt wer als nächstes dran ist.
Man sollte mal jemanden, der aber auch überhaupt nichts mit Fußball zu tun hat, fragen, wie er diese Dinge beurteilt. Nicht den Herrn Bruchhagen aus Frankfurt oder den Bildreporter Wallraff, meinetwegen den Herrn Reich-Ranicci oder die Hella von Sinnen. Besser wäre ein fußballdesinteressierter Arbeitsrechtler, der den Fall Kuranyi auf Mobbing untersuchen soll. Und wenn der mir besätigt, dass ich die Dinge durch eine blau/weiß/rosa Brille betrachte, dann werde ich meine Meinung überdenken. In diesem Fall wäre ich aber trotzdem froh, einseitig im Sinne des bei Schalke spielenden und auch nicht immer von mir und auch anderen Fans besonders gefeierten Stürmers gedacht zu haben.
@matthiaß
Sehr schön festgestellt.
Es steckt sehr viel Richtiges in Matthias Aussagen, aber warum wird hier ein egozentrischer Millionär so stark verteidigt. Er ist einfach kaum Teamfähig und neigt sehr dazu, sich zu überschätzen. Denkt auch mal an seine miese Aktion gegen Slomka, als er diesen nach seiner berechtigten Auswechselung durch Mißachtung beleidigte, fast schon demütigte. Also, ich bin ja mit Herz und Seele Schalker und halte auch noch zu Spielern, die sich in einer Formkrise befinden. Auch würde es mich sehr freuen, wenn Kevin endlich wieder zu alter Form findet.
Chiao