Traue keinen Noten, die du nicht selbst vergeben hast

13. Mrz. 2012 | 8 Kommentare

Am Sonntag hatte ich die Ehre, für die Online-Sportredaktion der „Zeit“ das Spiel des FC Schalke 04 gegen den HSV als „Twitter-Reporter“ zu begleiten. Wie immer war es ein großartiges Erlebnis und auch wenn ein dritter Einsatz auf der Pressetribüne alles andere als Routine ist, so merkte ich doch, dass mir mittlerweile die Dinge etwas einfacher von der Hand gehen. Die Presse-Akkreditierung am Ausgabepunkt abholen, die Donnerhalle durch das Glasfoyer betreten, an den netten Ordnerinnen im Kostümkleidchen vorbei den Platz im Block „PR 12“ einnehmen, das technische Equipment aufbauen, die Mannschaftsaufstellung auf einem DIN A4-Blatt entgegennehmen und dann … warten.

Beim ersten Mal wummerte mein Herz dabei noch bis zur Halsschlagader und ich hatte Angst, als fachfremder „Eindringling“ enttarnt zu werden. Diesmal ging ich es deutlich lockerer an. Allerdings machte es mir das ganze Drumherum am Sonntag auch einfach. Denn sowohl mein erster Einsatz („Das erste Spiel gegen Magath“), als auch das zweite Mal („Die Rückkehr von Manuel Neuer“) standen unter besonderen Vorzeichen und hatten großes mediales Interesse erzeugt. Schalke gegen Hamburg war hingegen lupenreiner Bundesliga-Alltag. Das merkte man auch dem Treiben auf der Pressetribüne an.

Um mich herum nahmen nach und nach die hauptberuflichen Journalisten ihre Plätze ein. Ich war wohl irgendwie im „Hamburger Eck“ gelandet. Das machte sich weniger im Dialekt bemerkbar, mehr in den Themen der Gespräche. „Vom Mladen muss heute echt etwas kommen!“ oder „Der Ilisevic darf jetzt auch mal zeigen, was er kann!“ waren Forderungen, die mir um die Ohren flogen. Kurz vor dem Anpfiff mischten sich dann noch Flüche in das Hamburger Stimmengewirr. „Hey, kannst du mir mal das WLAN-Passwort sagen, ich komme irgendwie nicht mehr ins Netz hier“, fragte mich mein Nebenmann. Konnte ich nicht. Ich vertraue dem Arena-Hotspot nicht und fahre stattdessen zweigleisig: Ein „Pro-7-Surfstick“ mit Vodafone-Netz und einer 12-Stunden-Flat für 1,99 Euro für das Netbook und mein Android-Smartphone mit E-Netz. Das garantiert zwar auch keine konstante Breitbandverbindung, aber zumindest eines der beiden Geräte schafft es dann doch immer in eine funktionierende Funkzelle. Gut für mich, wenig zielführend für die Jungs aus Hamburg. Irgendwoher haben sie dann doch das WLAN-Passwort bekommen.
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Spielbeginn, frühes Tor für Schalke, Hamburger Drangphase, zweites Tor für Schalke, drittes Tor für Schalke, Anschlusstreffer, Halbzeitpfiff – die ersten 45 Minuten vergingen recht flott und die gesamte Pressetribüne  – naja, zumindest die Computernomaden unter den Anwesenden – bearbeitete hektisch die Keyboards. In der Halbzeitpause kommt es um mich herum zu so etwas wie der großen Hamburger Presserunde. Die erste Halbzeit wird diskutiert und die Spieler des HSV kommen dabei nicht gut weg. „Hast du den Kacar mal beobachtet? Der steht die ganze Zeit nur rum! Der bekommt von mir auf jeden Fall eine Sechs, auch wenn er gleich noch ein zweites Tor macht“, kündigt der eine an. „Petric? Petric? Kann der überhaupt einen Zweikampf gewinnen? Der ist auch Sechs“, schließt sich der andere an. „Ilisevic kostet sechs Millionen und kann gar nichts. Der ist noch schlechter als Petric und Kacar zusammen“, erwidert der nächste. Und ich sitze dazwischen und bin erstaunt. Hieß es nicht immer, nur wir Schalker könnten ausschließlich himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt? Naja, zumindest in der Hamburger Medienlandschaft haben wir da anscheinend ein paar Brüder im Geiste.

Überhaupt – die Notengebung. Nach dem Spiel werde ich auf dem Weg in den Arena-Keller zufällig Ohrenzeuge, wie diese Noten telefonisch in eine Redaktion übermittelt werden: „Hier, der … ähhh … Dings hier … der Höger! Ja, der war ganz OK, dem kannste eine drei geben. Fehlt noch wer? Ja, oh stimmt! Jurado. Der war ja auch dabei. Hmm… keine Ahnung. Macht mal irgendwas zwischen drei und vier. Ach nee, macht doch besser mal eine vier. Der hat ziemlich viel gefoult, glaube ich.“

Nun ist es wirklich nicht so, dass ich bislang der Illusion erlegen war,  Spielernoten wären das Resultat stundenlanger Redaktionssitzungen, eingehender Videoanalysen und basisdemokratischer, geheimer Abstimmungen. Aber dass die Einzelbewertung derart lapidar als Neben-Nebenprodukt der eigentlichen Tätigkeit entsteht, fand ich doch erstaunlich und – gemessen an der Bedeutung, die den Noten oft beigemessen werden – auch ein Stück weit bedenklich. Aber vielleicht erlebte ich zufällig nur einen krassen Einzelfall. Ich weiß es nicht.

In der Mixed-Zone auf der anderen Seite des Spielertunnels ist diesmal viel weniger los als bei meinen ersten Einsätzen. HSV-Sportdirektor Frank Arnesen kommt vorbei und gibt zunächst einmal dem HSV-TV ein langes Videointerview im Flüsterton. Erst danach wendet er sich der schreibenden Presse zu. Heiko Westermann hält exakt dieselbe Reihenfolge ein. Die Schalker Spieler lassen auf sich warten. Was bei den Jungs und Mädels vom Fernsehen passiert, sieht man neuerdings nicht mehr. In der Hinrunde konnte man noch in den hell erleuchteten Bereich der TV-Interviewboxen von „Sky“ und „Liga total“ schauen. Am Sonntag versperrte eine Stellwand den Blick auf die Akteure. „Die steht schon länger da und keiner weiß, was das soll“, erklärt mir ein wartender Journalist auf meine Frage und zuckt resignierend mit den Schultern.
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Plötzlich scheppert es neben mir. Maskottchen „Ährwin“ hat versucht, sich unter einem Absperrband hindurch quer durch die Mixed-Zone zu quetschen, bleibt aber mit einem Teil seines riesigen Plüschkopfes hängen und versetzt einen kleinen Aufstell-Stützpfeiler in bedenkliche Schwingung. Ich will gerade helfend einschreiten, da eilt ein sportlicher junger Herr im Trainingsanzug herbei und kommt mir zuvor. „Jetzt lass dir doch mal helfen und dich befreien“, lacht Christoph Moritz und zieht mit Ährwin von dannen. Witzig.

Die Mixed-Zone gibt jedoch ansonsten nicht viel her, also entschließe ich mich, den PK-Raum aufzusuchen. Kaum bin ich angekommen, beginnt auch schon das, was man landläufig als „Pressekonferenz“ bezeichnet. Doch wenn man ehrlich ist, waren es jeweils nur zwei Statements der Trainer. Schalkes Trainer Huub Stevens zeigte sich mit dem Ergebnis zufrieden, nicht aber mit der Spielweise. Hamburgs Übungsleiter Thosten Fink haderte mit dem Resultat aber nicht mit dem Spiel seiner Mannschaft. Das war’s auch schon. Keine Nachfrage der anwesenden Journalisten, nach knapp drei Minuten ist alles auch schon wieder vorbei. Pressesprecher Thomas Spiegel sagt Dankeschön und verkündet noch schnell die Gewinner des Journalisten-Tippspiels, die ein paar Liter Veltins-Freibier mit nach Hause nehmen dürfen. Wie gesagt: Am Sonntag war es offensichtlich purer Bundesliga-Alltag.

Nachfolgend noch ein paar Fotos vom Sonntag. Nicht nur von mir, auch von Bene, der in der Nordkurve beinahe direkt hinter dem Tor stand. Sämtliche Fotos lassen sich mit einem Mausklick vergrößern.
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8 Kommentare zu “Traue keinen Noten, die du nicht selbst vergeben hast”

  1. Diego_04am 13. März 2012 um 09:25 1

    Tolle Einblicke.
    Offenbar warst du der einzige, der in der Runde der Journaille professionell gearbeitet hat.

  2. Benjaminam 13. März 2012 um 09:31 2

    Ich frage mich ziemlich oft, wie diese Noten wohl zustandekommen mögen. Danke für den Einblick! 😉

  3. schalker71am 13. März 2012 um 10:09 3

    Hallo? Ich hab auch professionell gearbeitet dort! Aber trotzdem willkommen in der grauen Welt der Notengebung…

  4. Matthiasam 13. März 2012 um 10:14 4

    Offenbar warst du der einzige, der in der Runde der Journaille professionell gearbeitet hat.

    Genau diesen Eindruck wollte ich nicht vermitteln und es wäre auch falsch gegenüber denjenigen, die tatsächlich ihr Brot als Reporter hinter den Kulissen des glitzernden Bundesliga-Geschäfts verdienen. Das sind eben auch erstmal nur ganz normale Menschen und jeder von uns kennt den Effekt, dass man den täglichen Job ganz anders angeht als das Hobby.

    Ich find’s als alter Zeitungsmensch (10+ Jahre im Lokalen gearbeitet, also nicht die große Bühne) allerdings wirklich schade, was aus dem schreibenden Journalismus geworden ist. Nicht im Sinne von „Früher war alles besser“, aber doch im Sinne von „Früher war alles entschleunigter“. Wenn man heute Bundesliga auf „Sky“ schaut und nebenbei Twitter laufen lässt, dauert es exakt 3 Minuten, bis bspw. DerWesten den ersten langen Spielbericht heraushaut. Und allerspätestens eineinhalb Stunden später sind auch schon die ersten drei Hintergrundberichte online. In einer solch‘ kurzen Zeit kann man sicherlich an einem besonders guten Tag mal Qualitätsjournalismus abliefern, aber eben nicht immer. Manche Dinge brauchen ihre Zeit. Das merke ja bereits ich, wenn ich nach einem Sonntagabendspiel noch vor dem zu Bett gehen meinen Blogbericht verfasse. Da fehlt dann einfach die Zeit zur Reflexion und ich habe ja nach dem Schlusspfiff immerhin noch die gesamte Rückfahrt (ca. 3 Stunden) um wieder herunterzukommen.

    Kurzum: Ich kritisiere nicht die Journalisten an sich, aber mir missfällt das System, das heute viel zu sehr auf Geschwindigkeit setzt. Die Journalisten sind in diesem System eher die Leidtragenden denn die Schuldigen.

  5. Diego_04am 13. März 2012 um 15:22 5

    Das hat mich nicht davon überzeugt, gänzlich falsch zu liegen. Es gibt sicher Ausnahmen, schalker71, doch ich denke mal, einem Großteil der Zunft kommt es gelegen, dass nur noch oberflächlich gearbeitet werden muss.

    Das ist doch bei den Leuten am Mikrofon nicht anders. Was könnten die uns alles erzählen mit ihrer Sicht aus der Totalen, mit ein bisschen Taktikschulung. Aber meist sind sie furchtbar schlecht vorbereitet, erzählen uns, dass irgend ein Spieler bei den letzten sechs Begegnungen in der zweiten Halbzeit mehr Ballkontakte hatte als in der ersten (wobei er jeweils erst in der 60. Minute eingewechselt wurde). Oder beten irgendetwas herunter, was sie woanders aufgeschnappt, aber gar nicht verstanden haben („die Abwehr verschiebt gut“). Und sind zu allem Ãœberfluss noch offenkundig parteiisch. Beklagenswert.

  6. Andi M.am 13. März 2012 um 19:14 6

    Das Passwort fürs Wlan lautet übrigens ********.
    Danke für den schönen Bericht.

  7. meinzuam 13. März 2012 um 21:59 7

    Danke für diesen Einblick in eine für mich absolut fremde Welt. Sehr nett geschrieben.

  8. Carlito69am 17. März 2012 um 20:55 8

    Schöner Blick hinter die Kulissen! Danke dafür! 😉