Da, wo das Glück zuhause war
Werder Bremen – das war einmal hip, anders, cool, verspielt, unschuldig, witzig, trendy. Zu Werder Bremen bekannte sich, wer den Etablierten zeigen wollte, was eine Harke ist, ohne sich jedoch einem kleinen Liga-Mauerblümchen verschreiben zu müssen. Werder Bremen war vielerorts das Sammelbecken für Event-Fans, die auch außerhalb von Welt- und Europameisterschaften Fußballluft schnuppern wollten. Und heute? Heute ist Bremen vor allem eines: stinklangweilig.
Zum zweiten Mal in Folge wird Werder Bremen in der kommenden Saison zuschauen müssen, wenn fast die Hälfte der Bundesliga in den internationalen Wettbewerben tätig ist. Das allein ist kein Drama. Zu einem Drama wird es erst, wenn sich zum sportlichen Misserfolg immer mehr auch finanzielle Probleme gesellen. Das, was man in den letzten Jahren aus der Hansestadt hörte, war nicht gerade dazu angetan, von einer goldenen Zukunft im Weserknick zu träumen. Selbst der Exodus von verkaufsfähigem Spielermaterial für zum Teil aberwitzige Ablösesummen – beispielsweise Diego, Özil und jetzt bald Marin – schaffte es nicht die Lücken zu stopfen, die sich aufgetan hatten.
Eigentlich könnte mir das egal sein. Mehr noch: Eigentlich sollte ich als Anhänger des FC Schalke diesbezüglich mal schön die Fresse halten. Mach‘ ich aber nicht. Zu oft wurde mir in den letzten Jahren das vermeintliche Bremer Erfolgskonzept um die Ohren gehauen: Wenn die Mannschaft einen beschissenen Fußball spielt, muss sie einfach schöneren spielen! Wenn die Konkurrenz den Kader mit Geld weglockt, muss man einfach günstigere und bessere Spieler kaufen! Wenn man kein Meister ist, muss man es einfach werden! So simpel war das „Rezept Werder“ und erinnerte mich schon damals an den überlieferten Ausspruch Marie Antoinettes „Dann mögen sie eben Kuchen essen!“, den sie angeblich den nach Brot rufenden, hungernden Massen entgegen schmetterte.
Werder Bremen wird kleinere Brötchen backen müssen. Werder Bremen wird keinesfalls wie Schalke einen Schuldenberg von 200 Millionen Euro und mehr anhäufen. Aber die große Show ist weitergezogen. Ich will nicht behaupten, dass es mich besonders berührt. Aber insgeheim freut es mich schon, dass diejenigen, die Fußball auf ein Planspiel reduzieren wollten und in Bremen die Bestätigung ihrer These sahen, nun eingestehen müssen, dass zum Fußball manchmal eben auch Glück gehört. Werder – und so schließt sich der Kreis – wird vor allem nicht der letzte Verein sein, der dies zu spüren bekommt.
Morgen noch einmal Schalke, noch einmal Raúl, noch einmal Huntelaar auf der Jagd nach der Torjägerkanone. Ich freu‘ mich darauf. Lasst uns eine bemerkenswerte und auch glückliche Saison würdig zum Abschluss bringen.
Abgelegt unter Fußball allgemein,Schalke
12 Kommentare zu “Da, wo das Glück zuhause war”
Köstlich:) Ich sehe das ähnlich aber die machen das momentan sehr richtig das komplett neu aufbauen, bin gespannt was da über die nächsten 1-2 Jahre passiert.
Dass dich der sportliche Misserfolg insgeheim freut, überrascht mich. Muss eine super Saison für Schalke gewesen sein, wenn man ausnahmsweise mal keine Illusionen benötigt. Aber Schadenfreude, weil letztlich eben doch nur die große Kohle für eine große Show sorgen kann ? Und bei Schalke oft nicht mal das?
Ich habe indes nicht den Eindruck, dass sich in Bremen etwas geändert hätte, dass dort Panik und Aktionismus ausgebrochen wären oder die Phalanx aus Schaaf und Allofs zu bröckeln begänne. Das Transferglück – sofern es Glück war – ist abhanden gekommen. Sportlich gut für uns. Ansonsten scheint Bremen sich treu zu bleiben.
Freuen über Bremer Misserfolg ist zu viel gesagt. Ich finde es allerdings angenehm, dass ich mir nicht mehr alle zwei Tage „Schau‘ nach Bremen, die machen alles richtig!“ anhören muss. Bei der Betrachtung von Bremen hat mich seit Jahren diese „Alles schwarz / alles weiß“-Sichtweise gestört. Dass Bremen für einen Bundesliga-Spitzenclub eine erstaunlich schlechte Eigengewächse-Quote hatte, wurde beispielsweise immer außen vor gelassen.
Aber ja: Sie bleiben sich treu. Das ist anerkennenswert und ich bin gespannt, wie lange das noch so bleiben wird. Unter dem Strich ist es mir nämlich egal, was aus Bremen wird. Dauermeister oder Zweitligist – da schmiere ich mir in keinem der beiden Fälle extra Butter auf die Stulle. Aber festhalten, dass das „Prinzip Bremen“ fast ein Jahrzehnt lang auch auf dem Faktor Glück fußte, wollte ich schon.
Ich find das doof, dass Bremen so abgerutscht ist. Wie sollen wir denn demnächst deren Spieler wegkaufen, wenn die nur noch unteres Mittelmaß sind? 😉
Im Ernst, Bremen war wir schon immer relativ egal. Ich find die nicht besonders scheiße, aber auch nicht besonders toll. Aber für mich gehören die ganz klar in die Bundesliga.
Was ich an Bremen gut finde (fand) ist deren offensiver Fußball. Da muss ich zugeben, dass mich das zum Teil begeistert hat, dass denen ein 4:3 immer lieber war als ein ermauertes 1:0. Hier beginnt auch so ein bisschen das Bremer Problem der letzten beiden Jahre. Die kleinen Teams der Liga haben taktisch enorm zugelegt und können aus einer kompakten Defensive heraus auch gefährliche Angriffe starten. Dadurch wird der Bremer Offensivkraft der Schwung genommen und hinten ist Bremen unter Schaaf eine Katastrophe.
Wenn dann noch wenig Glück bei den teuren Transfers (C. Alberto, Wesley, Marin, etc.) hinzukommt und im Laufe einer Rückrunde die halbe Mannschaft verletzt ausfällt, dann kann man nicht international spielen. Bremen kann in dieser Saison froh sein, dass man eine gute Hinrunde gespielt hat und dadurch nicht nach hinten durchgerutscht ist!
Dass nun zum zweiten Mal in Folge ein europäischer Wettbewerb verfehlt wurde, ist für die Bremer Mannschaft eine mittlere Katastrophe. Die haben ganz bestimmt einen Kader, der sich nur durch regelmäßige Teilnahmen an der CL finanzieren lässt. Also muss nun ein Schnitt gemacht werden (Pizzaro, Wiese, Marin, etc.), damit man nicht in eine finanzielle Schieflage kommt.
In Bremen muss man nun beim Neuaufbau der Mannschaft schauen, dass man mal wieder einen Glücksgriff auf dem Transfermarkt tätigt. Außerdem muss man die Defensive mal endlich in den Griff bekommen. Dass das alles so klappt wage ich zu bezweiflen. Ich denke Bremen wird, ähnlich wie der HSV, die nächsten Jahre im Mittelfeld verbringen. Läuft es gut, kann man sich mal für die EL qualifizieren (was einen finanziell nicht weiterbringt), läuft es schlecht, dann wird man im Abstiegskampf stecken.
Ich bin mal gespannt, wie stark das Weserstadion (da haben die sich glaub ich auch ein bisschen übernommen) in den nächsten Jahren ausgelastet ist. Ich könnte mir vorstellen, dass die ganzen Eventfans, die seit 2004 den Bremern die Daumen drücken, das schwankende Schiff bald verlassen.
Sollte dem Duo Schaaf / Allofs nicht in der kommenden Saison eine Wende gelingen, werden auch in Bremen die Mechanismen greifen.
P.S. Rosenberg verlässt den SVW am Saisonende. Wäre das nicht einer, der Backup für den Hunter fungieren kann?
Das mit den „Die Spieler wegkaufen“ ist übrigens auch so’n Gerücht, das mich in den letzten Jahren gewurmt hat. In Bremer Kreisen geht das so weit, dass die ernsthaft behaupten, wir hätten deren Ex-Präsidenten umgebracht. De facto fallen mir mindestens genau so viele Spieler in den letzten zehn Jahren ein, die den umgekehrten Weg gegangen sind. Allerdings haben wir immer „fertige“ Spieler gekauft, während Werder zuletzt gerne in der Schalker Nachwuchsabteilung „wilderte“.
Und ja, am Weserstadion hat sich Werder in der Tat verhoben. Auch was das angeht sind sie also ein ganz normaler Club und uns Schalkern gar nicht so fern. Irgendwie beruhigend.
Tja die Bremer. Ich stand in Diskussionen oft alleine da, wenn ich sagte, dass das bremerische Rezept „MIT WENIG GELD GANZ VIEL SCHÖNEN FUSSBALL MACHEN“ reine Imagebildung sei. Nun zeigt sich , die Bremer Erzählung war ein geschickt gebasteltes Trugbild ums Geld.
Für eine erfolgreiche Nachwuchsarbeit fehlt den Bremern ein großes städtisches Einzugsgebiet. Bremen liegt auf dem flachen Land. Wo sollen die Talente da herkommen? Die Talente wachsen ja nicht auf der Wiese, sondern spielen spätestens ab der U12 in starken Teams in starken Bezirksligen und durchlaufen die lokalen und regionalen, und später die nationalen Leistungszentren.
@matt
ich finde du übertreibst ein wenig, wenn du von einem jahrzehnt glück schreibst.
@blues
Schalke hat ja eine recht gute Nachwuchsabteilung. Klar ist die Einwohnerzahl im Schalker Einzugsgebiet größer und daher die Talentdichte höher, aber dafür müssen wir uns diese Talente mit ungleich mehr Profivereinen teilen. Bremens Einzugsgebiet endet ja auch nicht an der Stadtgrenze, sondern geht in Niedersachsen weiter. Da würde ich jetzt keinen grundlegenden Nachteil der Bremer sehen.
@Matthias
Das ist ja das Bremer Problem, das die mit Schalke haben. Wir „kaufen“ denen die fertigen Spieler weg. Aber „kaufen“ ist der falsche Begriff. Wenn ich mich nicht irre haben drei Spieler (Rost, Ailton, Krstajic) den Weg von der Weser an die Emscher gewählt. Alle drei waren doch ablösefrei. Bremen hingegen hat uns Boenisch, Schmitz und Özil abgekauft und hat dafür in Summe ca. 10 Mio Euro gezahlt. Aber da Özil für ca. 15 Mio nach Madrid gegangen ist, haben die nen Transferplus von 5 Mio gemacht. Ohne unser ungeschicktes Verhalten beim Özil würde Bremen vermutlich schon pleite sein 😉
Dazu kommen dann die beiden Stevranovic-Brüder, die aber bei Bremen auch nicht über die Rolle als Ergänzungs-Ergänzungsspieler hinaus kommen.
Bremen hatte jahrelang viel Glück mit günstigen Spielern, die dann super eingeschlagen sind (Ailton, Diego, Micoud, Özil). Aber dann fing man an, viel Schrott für viel Geld zu holen (Arnautovic, Wesley, C. Alberto, Marin). Hinzu kamen in jedem Mannschaftsteil gestandene Nationalspieler, die ohne CL-Gelder nicht zu finanzieren sind / waren (Wiese, Mertesacker, Pizzaro). Dann bleibt halt nur noch eine Mannschaft mit absoluten Durchschnittsspielern (Boenisch, Prödl, Schmitz, etc.).
Ich bin, wie schon vorhin geschrieben, echt gespannt, was die Bremer nächste Saison reißen werden. Entweder gelingt der Neuanfang und man avanciert zur Überraschungsmannschaft, die doch wieder um die CL-Plätze spielt oder man wird sich ernsthaft nach unten orientieren müssen.
@derwahrebaresi
Bitte nicht am Wort festbeißen: „Glück“ im Sinne von „glücklicher Fügung“ und natürlich auch als „erarbeitetes Glück“. „Glück“ im Sinne von „hat alles super gepasst, was man sich so ausgedacht hat“ und vor allem auch als „kein Pech gehabt“. „Glück“ ist ein wesentlicher Bestandteil eines jeden Sports mit Ausnahme von Schach, eventuell.
Und dennoch war es „Glück“, dass beispielsweise Diego dermaßen einschlug und ebenso „kein Glück“, dass Wesley sich als Fehlgriff herausgestellt hat. Bei nüchterner Betrachtung der Spielerprofile hätte es auch genau andersherum ausgehen können.
Moin,
ich habe mich auch lange darüber geärgert das man aus Bremen immer suggeriert bekommen hat, die Spieler kämen alle wegen der schönen Stadt und den netten Leuten. Ich glaube kürzlich hat der Wurst-Uli so etwas Ähnliches über die Sauerländer gesagt. Von K. Allofs habe ich kürzlich mal gehört das man natürlich Champions-League Gehälter gezahlt hat, und ohne diesen Wettbewerb halt auch mit langfristigen Spielerverträgen leben musste. Ähnliches passiert meines Erachtens gerade bei unseren Nachbarn. Begehrlichkeiten einzelner werden nicht mehr dem Kollektiv „Mannschaft“ untergeordnet. Kakawa fragt sich wahrscheinlich auch warum ein Angebot nicht mit den kolportierten Zahlen der Reus Transfer vergleichbar sind. Letztes Jahr haben sie das noch hin bekommen und Chapmpions-League dafür scheinbar geopfert, dieses Mal wird das sicherlich nicht mehr gehen. Außer den Bauern schafft das irgendwie keiner und ich würde gerne mal sehen was bei denen los wäre, wenn die 2x hintereinander nicht CL Spielen würden.
PS. Das würde ich wirklich gerne sehen ;o)
Glück auf
@RWD Jojo Rost war lange Zeit der teuerste Torwarttransfer der Bundesligageschichte bis sich ein Schnapper vom Berger Feld anschickte diesen Rekord vor der jetzt endenden Saison zu brechen.
Nur der Vollständigkeit halber: Fabian Ernst und weiland Oliver Reck sind auch von Bremen nach Schalke gewechselt. (Irritiert mich ein bisschen, dass jeder sich an Ailton auf dem Pferd erinnert, aber nicht an Fabian Ernst)