Schalke in der „Medialen Wirklichkeit“

12. Feb. 2009 | Kommentare deaktiviert für Schalke in der „Medialen Wirklichkeit“

Weil Journalisten ungeprüft von Wikipedia abschreiben und Wikipedia journalistische Texte als glaubwürdige Quelle betrachtet, wurde der erfundene Vorname schnell zur medialen Wirklichkeit.

Seit Anfang der Woche hat Deutschland einen neuen Wirtschaftsminister. Der ist nur ein paar Jahre älter als ich, ist adelig, hat lustig viele Vornamen – und um den soll es hier eigentlich gar nicht gehen. Das obige Zitat stammt aus dem BildBlog-Beitrag „Wie ich Freiherr von Guttenberg zu Wilhelm machte„. Der Gastbeitrag stammt von einem anonymen Internetuser, der kurz nach der Bekanntgabe, dass von Guttenberg Wirtschaftsminister werden sollte, auf Wikipedia.de surfte, um sich dort über den neuen Mann in Berlin zu informieren. Dabei stolperte der Unbekannte über die vielen Vornamen und fügte in einem schelmischen Anfall einfach noch einen frei erfundenen hinzu – wobei „Wilhelm“ in Adelskreisen so ungewöhnlich wirklich nicht ist. Ungefähr zeitgleich machten sich die „Qualitätsjournalisten“ daran, etwas über den bis dato doch recht unbekannten von Guttenberg in Erfahrung zu bringen und befragten dabei ebenfalls die – nun ja manipulierte – Wikipedia. Und weil Journalisten eine obskur anmutende Ansammlung von Vornamen ebenso witzig finden, wie der normale Internetsurfer, wurde der Buchstabensalat vor dem zu Guttenbergschen Nachnamen einfach per „Copy & Paste“ übernommen und in vielfältiger Weise wiedergegeben, oftmals sogar als wörtliche Rede des neuen Wirtschaftsministers. Inzwischen war allerdings auf der Wikipedia eine Diskussion entbrannt, ob der erst kurz zuvor hinzugefügte „Wilhelm“ tatsächlich authentisch sei. Diese Diskussion wurde schließlich mit dem Hinweis für beendet erklärt, dass es in den „Qualitätsmedien“ ebenfalls nur so von Wilhelms wimmele. Und so kam es zur eingangs erwähnten „Medialen Wirklichkeit“, die letztendlich nichts anderes ist, als die Frage nach dem Huhn oder dem Ei.

Gestern Abend war für eine Stunde der Rauswurf von Kevin Kuranyi beim FC Schalke 04 eine „mediale Wirklichkeit“. Kein anderer als der Verein selbst hatte diesen Rauswurf auf seiner Website als Eilmeldung bekannt gegeben. Die Online-Redaktion der BILD übernahm die Meldung wortwörtlich, andere Medien schrieben – wie üblich – bei BILD ab, und schon machte die Meldung die große Runde (mehr dazu im Königsblog). Der FC Schalke 04 sollte stolz auf seine Website sein, schließlich war der gestrige Kuranyi-Rauswurf ein Beweis dafür, wie gut das Medium von Journalisten angenommen wird. An Peter Peters Stelle würde ich mich fragen, ob es sich überhaupt noch lohnt, Pressemeldungen einzeln via Fax zu versenden oder spezielle Publikationsdienste zu bemühen, wo es doch ganz offensichtlich auch anders (und kostengünstiger) geht.

Machen wir die Sache kurz: Natürlich ist Kevin Kuranyi nicht gefeuert worden und natürlich war die Meldung eine „Ente“. Die Schalker Website, die mit dem bekannten und beliebten CMS-System Typo3 betrieben wird, war lediglich von Unbekannten manipuliert worden, die sich Zugang zum Content verschafft und die „Eilmeldung“ online gestellt hatten. Ich weigere mich, in diesem Zusammenhang von „gehackt“ zu reden, da es sich lediglich um die Ausnutzung einer seit drei Tagen bekannten Sicherheitslücke in der aktuellen Typo3-Version handelte. Derzeit ist www.schalke04.de bis auf eine kastrierte Startseite nicht erreichbar, was darauf hindeutet, dass die Verantwortlichen gerade eine neue, (vorerst wieder) sichere Typo3-Version aufspielen.

wartungsarbeiten

Und was lernen wir nun aus der Geschichte? Bis auf die Tatsache, dass es für beliebte Open-Source-CMS-Systeme keine 100%ige Sicherheit gibt, eigentlich gar nichts. Ein Vorfall wie dieser könnte jederzeit und überall wieder so passieren. Vielleicht in den nächsten Wochen nicht unbedingt auf Schalke, weil dann selbst beim letzten Journalisten und Internetuser die Alarmglocken klingeln sollten. Vielleicht auch nicht unbedingt bei Typo3, weil die Webmaster in nächster Zeit sicherlich wieder genauer die einschlägigen Foren durchforsten und lieber ein Sicherheitsupdate zu viel als eines zu wenig aufspielen werden. Aber irgendwann wird wieder eine Website kurzzeitig manipuliert und dann geht alles wieder von vorne los. Davon kann sich niemand freisprechen. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der die Wirklichkeit von den Medien bestimmt wird und das Internet der mit Abstand wichtigste Zweig dieser Gattung ist.

Ãœbrigens: Die Falschmeldung auf der Schalker Website überlebte dem Vernehmen nach gerade einmal eine Stunde – und das nach Feierabend. Wie ich finde, war dies eine erstaunlich schnelle Reaktionszeit der Schalker Web-Redaktion. Und das meine ich wirklich und ernsthaft völlig ohne Häme.

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