„Du säufst zu viel!“
Irgendjemand (ich meine, es war Christoph Biermann) hat einmal die provokante Behauptung aufgestellt, Marcel Reif sei bei den meisten Fußballfans so unbeliebt, weil er immer die reine Wahrheit sage. Seitdem versuche ich stets etwas genauer hinzuhören, wenn mir „Premiere“ bei einem Schalker Auswärtsspiel den grauhaarigen Herrn mit Kaiserslauterer Fußballwurzeln vorsetzt. Gestern beispielsweise. Allein – die weise Wahrheit seiner Worte will sich mir nicht erschließen. Bereits nach zweieinhalb Minuten stellte Reif gestern mit staatstragendem Timbre fest, Schalke sei viel zu passiv und offensichtlich nur für einen munteren Betriebsausflug unter weiß-blauen Münchner Himmel angereist. Eine Viertelstunde später begann er, jeden einzelnen Eckball der Münchner zu einem Beweis ihrer hoch überlegenen Spielanlage hochzustilisieren. Als dann aber Halil Altintop für zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr unterlegene Gelsenkirchener zum 1:0 traf (Kopfball nach Ecke von Pander, 21. Minute), begannen die Leiden des jungen R. Mit sicherlich ebenso deprimiertem Gesicht, wie er nach Abpfiff das Spiel vor der FC-Bayern-Sponsorenwand im Gespräch mit seinen Kollegen im Studio Revue passieren ließ, verfolgte Reif das Werken seiner Bayern und musste einsehen: Irgendwie war es sogar ein verdienter Sieg, den Schalke gestern bei den „Sternen des Südens“ gelandet hatte. „Ui, der schaut aber ganz schön zerknittert drein“, wunderte sich selbst der nicht für seine übermäßige Neutralität bekannte Franz Beckenbauer im „Premiere“-Studio. Ohne Frage: Marcel Reif erlebte gestern einen ganz schlimmen Tag. Und – allmählich ist das bei ihm ja auch Tradition – der Zorn des Fußballweisen entlud sich einmal mehr an anderen. „Su säufst zu viel“ brüllte er unvermittelt in der 80. Minute ins Mikrofon. Zunächst vermutete ich, dass diese Schmähung einem Journalisten-Kollegen gelte, der es gewagt haben könnte, auf dem Weg zum stillen Örtchen das Blickfeld Reifs zu kreuzen. In der offiziellen Darstellung von „Premiere“ war es jedoch ein böser, angetrunkener Fan, der Reifs Reaktion hervorgerufen hat. Na denn. Merkt man diesen Zeilen eigentlich eine gehörige Portion Schadenfreude an? Falls ja: So ist es auch gemeint! Auch wenn sich der gestrige Sieg am Ende der Saison als Muster ohne Wert herausstellen sollte, so tut es doch einfach nur gut, einen Dreier aus der Allianz-Arena mitgenommen zu haben. Manuel Neuer, der in Memorian Oliver Kahn nach dem Abpfiff die Eckfahne fällte, setzte dem noch das Sahnehäubchen auf. Kurzum: Es war ein wunderbarer Fußballtag. Allerdings nicht für die Bayern und auch nicht für Marcel Reif.
Personell gab es keine Überraschungen auf Schalker Seite. Wie bereits in den letzten Spielen schickte das Schalker Trainertrio Büskens, Mulder, Reck die Königblauen mit drei Stürmen (Sanchez, Farfán und Kuranyi) auf das Feld. Hinter dem Offensivgespann wurde erneut Halil Altintop mit der Federführung im offensiven Mittelfeld betreut, in der Abwehr erhielt Christian Pander wie zuletzt die Möglichkeit, sich neben Rafinha, Krstajic und Westermann auszuzeichnen. Doch genau Christian Pander war es, der bei mir in den Anfangsminuten für einen erhöhten Puls sorgte. Mit einigen schlampigen Pässen, die eine leichte Beute für die zunächst sehr offensiven Münchner waren, sorgte Pander für Unruhe in den eigenen Reihen und veranlasste Marcel Reif zu seinem frühen Betriebsausflugs-Vergleich. Doch nach etwa 15 Minuten hatte sich Pander gefangen. Seine Aktionen wurden sicherer, klarer, und im gleichen Maßstab, wie Panders individuelle Formkurve anstieg, wurde auch das Schalker Spiel besser.
Nach 21 Minuten jubelt Schalke. Es war der erste echte Angriff der Königsblauen, der zu einem Eckball von links führte. Pander zirkelt den Ball scharf in den Fünfmeterraum, Bayern-Keeper Butt fühlt sich ebenso wie der Rest der Gastgeber-Hintermannschaft nicht zuständig, Altintop wuchtet die Kugel per Kopf in die Maschen. So einfach und effektiv kann Fußball sein, so einfach und effektiv kann Schalke spielen, wenn man mit dem Selbstbewusstsein aus drei Siegen in Folge antreten darf.
In der Folgezeit war es ein Spiel auf Augenhöhe. Schalke verstand es, die Münchner Schlüsselfiguren Ribery und Toni komplett aus dem Spiel zu nehmen, der Rest des Münchner Kaders genügt ohnehin nicht höheren Ansprüchen. Ohne ihre kreativen Köpfe taumelte der große FC Bayern fortan durch das Stadion wie eine billige Kopie von Frankensteins Monster kurz nach der Erweckung. Schalke musste noch nicht einmal mauern, es reichte eine konzentrierte Leistung, um die Hausherren vom Tor fernzuhalten. Gelang es den Bayern dann doch einmal, einen Ball in Richtung des Schalker Tores zu wuchten, fanden sie in Manuel Neuer ihren Meister. Je länger die Partie dauerte, desto gefährlicher wurden die „Nadelstiche“, die Schalke setzte. Sanchez‘ Dribbling durch den schwerfälligen (weil offensichtlich angeschlagenen) Lucio hindurch und der folgende Torschuss Kobiashvilis nach etwa 60 Minuten hätte das 2:0 bringen müssen. Jedoch zeigte auch Hans-Jörg Butt, warum er sein Geld als Torhüter verdient.
Schalke hatte die Partie locker im Griff, schien sich dann aber nach 70 Minuten selbst zu schwächen. Ein ziemlich dummes weil überzogenes Einstiegen von Jermaine Jones gegen van Bommel bescherte dem Schalker Arbeitstier die gelb-rote Karte. Eine Abwehrschlacht in Unterzahl wurde es dennoch nicht, weil sich nur Sekunden später auch Ribery die zweite Verwarnung abholte und vorbei an Uli Hoeneß‘ hochrotem Kopf in den Kabinengang spazierte.
Tja, und dann waren die 90 Minuten inklusive dreiminütiger Nachspielzeit vorbei und Schalke durfte feiern. Der beeindruckenden Siegesserie von „Muskens“ ist ein weiterer Dreier hinzugefügt und auch wenn es angesichts der Ergebnisse der Konkurrenz nicht mehr unbedingt den Anschein hat, als sei in dieser Spielzeit noch viel für die Knappen zu holen, so bleibt doch eines festzuhalten: Nach Monaten der Bauchschmerzen unter dem Rutten’schem Rumpelfußball macht es endlich wieder richtig Spaß, die Blauen kicken zu sehen. Und das ist unabhängig vom Tabellenplatz immer noch das Wichtigste.
Den professionellen Rückblick auf das gestrige Geschehen überlasse ich mit großer Freude den Schreibern der „Süddeutschen Zeitung„, die sich monatelang über den „Chaos Club Schalke“ ausgelassen haben und nun feststellen müssen, dass vor ihrer eigenen Haustür der Busch längst meterhoch brennt. Wer sich am Schalker Sieg bei den Bayern nicht sattsehen kann, surft zum „Schalke 04-TV“ auf Maxdome.
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5 Kommentare zu “„Du säufst zu viel!“”
tja Hochmut kommt vor den Fall. Ein verdienter Sieg und selbst der Fc. Grün-Weiss Underberg in gestalt von Herrn Lattek hat sich im DSF zu nicht übermässigen Kommentaren leiten lassen. Herr Reich dachte sicher an seine Werbegelder. Soll es halt so sein, was zählt sind 3 Punkte. Wenn Schalke damit das Abo der Bayern für die championsleague gekippt hat um so besser….
Ein toller Sieg, eine tolle Aktion von Neuer, einfach ein schöner Tag für S04. Es steigert das Selbstvertrauen der Mannschaft, das ist das Wichtigste. Einen Marcel Reif Ranicci zu bewerten, halte ich für sehr schwer. Selbst Bayernfans meinen, er würde immer gegen den fcb quatschen. Sinnfrei aber auch die Werbung, in der man zum Bier eine Milch gratis „auf die Hause“ bekommt. Aber das kann Kunst sein, wie sein Reden auch, und Kunst muss man nicht verstehen. Also freue ich mich über den Sieg und lasse das evtl. kunstvolle und schon preisgekrönte Gesabbel an meinen Ohren abperlen. Richtig schlecht fand ich gestern wieder den Herrn Zeigler im wdr. Der ist so lustig wie ein olles Fischbrötchen, welches wahlweise zum Bier und zur Milch gratis noch zusätzlich „auf die Hause“ gereicht wird. Aber das könnte dann im Zweifel auch schon wieder Kunst sein.
Nun müssen wir abwarten was noch möglich ist, aber bitte nicht schon wieder mit dem Rechnen anfangen…
GLÃœCK AUF!
Stimmt, Zeigler enttäuscht mich jede Woche ebenfalls aufs Neue. Seine „Wunderbare Welt des Fußballs“ war/ist als 3-minütiges Radiofeature immer wieder ein Ohrenschmaus, bei der TV-Sendung hat er es nie auch nur ansatzweise in diese Sphären geschafft. Schade eigentlich, denn es war durchaus ein interessantes TV-Konzept, das mittlerweile aber irgendwo zwischen Billig-Talkshow, Aneinanderreihung von Kalauern und stammelnden Anrufern ohne eigene Meinung abgerutscht ist. Ich bin gespannt, was der WDR in der kommenden Saison plant, wenn es darum geht, die Sonntagsspiele exklusiv im Free-TV zu präsentieren. Seit dem Aus für „Sport im Westen“ liegt bei den Kölnern zu vieles brach in Sachen aktueller Sportberichterstattung.
Aber immerhin hat der WDR mit „Sport Inside“ am Montagabend das mit Abstand beste Hintergrund-Sportmagazin im Programm. Heute abend übrigens mit einem Bericht über das 6:6 zwischen Schalke und Bayern im Pokalhalbfinale 1984.
Der Zeigler, paaahh. Der Zeigler kann gar nichts.^^
Völlig richtig dein Kommentar zu diesem ach so Neutralen Kommentator von Premiere.Der Mann weiß ALLES .Aber ich weiß am Samstag das tat im richtig weh , dem “ Neutralen“.